Kulturpolitik: Interview mit dem MdEP Christian Ehler

Das Ende der Gemütlichkeit

28. Mai 2021
von Torsten Casimir

Seit 2004 ist Christian Ehler (CDU) Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Kultur und Kreativwirtschaft. Diesen Montag eröffnet Ehler in Potsdam die Fachkonferenz „Schreiben und Publizieren im digitalen Zeitalter“.

Kultur, insbesondere auch die Buchkultur, wird oft als Europas Aushängeschild behauptet. In der Pandemie ist aber nicht nur in Deutschland zu beobachten, dass Kulturschaffende und Kreative Mühe haben, für ihre schwierige Lage Verständnis zu finden. Klaffen Reden und Taten kulturpolitisch auseinander?
Christian Ehler: Etwas überspitzt formuliert, gilt das traditionelle gesellschaftliche Bekenntnis zur Kultur, auch zur Buchkultur relativ uneingeschränkt nur noch für die Generation Ü50. Die fatale Diskussion um das Copyright hat uns deutlich gemacht, dass gerade in der jüngeren Generation ein grundlegendes Verständnis für Künstler und Kulturwirtschaft nicht mehr so stark verankert ist. Verleger, Autor, Lektor sind als Begriffe nicht mehr selbstverständlich. Die habituelle Erfahrung, ein Buch in den Händen zu halten wird bei jungen Menschen einfach nicht mehr mehrheitlich geteilt. Die bildungsbürgerliche Bücherwand als Einrichtungsstyle ist nicht mehr Ausdruck des Lebensgefühls dieser Generation.

Wie muss Kulturpolitik sich ändern, um dem Wandel gerecht zu werden?
Ehler: Die immer noch weitgehend von über 50-Jährigen geprägte Kulturpolitik in Deutschland verharrt in den rituellen Gräben von Links und Rechts - und stellt zunehmend ratlos fest, dass man sich da noch viel näher ist, als mit der digitalen Generation der Zehn- bis 30-Jährigen. Grundsätzliche künstlerische Qualitätsbegriffe sind infrage gestellt. Verlage verlieren vermeintlich ihre qualitative Gatekeeper Funktion. Jeder kann sich als Autor fühlen, frei und kostenlos zugänglich für alle in der weiten Welt der sozialen Medien. Die Dokumentation des im Internet Lesbaren vermittelt eine neue Illusion des Publiziert-Seins, jenseits des klassischen Verlagswesen und ohne den alten Makel des Selbstverlegten zu tragen.

Aber während die Wertschöpfung beim Urheber bleibt, fließen die Erlöse zu den Plattformen.
Ehler: Das ist so, weil sich ein historischer Kontrakt zwischen Kunst und Publikum auflöst, der eine wenigstens auskömmliche Existenz des Künstlers, als Gegenleistung für die Zugänglichkeit seines Werkes garantiert. Darin war auch immanent die wirtschaftliche Existenz aller an diesem Prozess Beteiligten eingeschlossen. Das Mantra der allgegenwärtigen, kostenlosen, vermeintlich partizipatorischen Zugänglichkeit zu allen kreativen Inhalten in den digitalen Medien hat nicht nur die Wertschöpfungskette des traditionellen Kulturbetriebes in Frage gestellt, sondern auch den ökonomischen, wie auch gesellschaftlichen Konsens über die Bedeutung von Kultur und Kulturwirtschaft.

Die verständliche und empörte moralische Überlegenheit des Opfers hilft aber bei dieser Diskussion nicht weiter, denn in der Tat wird das Verhältnis von Gesellschaft zu Kultur nach Covid und vor dem Hintergrund der Digitalisierung unserer Gesellschaft neu verhandelt.

Die Politik kann das Problem inzwischen gut beschreiben. Aber wie will sie es lösen?
Ehler: Politik reflektiert diese gesellschaftliche Auseinandersetzung im besten und im schlechtesten Sinne. Auf der einen Seite: die großen Ausgabenprogramme und die erkennbare Sorge um Kultur und Künstler in Bund und Ländern; auf der anderen Seite die beträchtliche Verunsicherung, ob diese Sorge weiterhin ungeteilter Konsens unserer Gesellschaft ist. Die Fahnenflucht eines Teils der linken wie der liberalen Kulturpolitik zum Schaden von Autoren und von Verlagen bei der Copyright Diskussion ist sicherlich in Teilen opportunistischer Natur - in der Hoffnung auf Wählerstimmen bei einer lautstarken digitalen Netzgeneration. Die verständliche und empörte moralische Überlegenheit des Opfers hilft aber bei dieser Diskussion nicht weiter, denn in der Tat wird das Verhältnis von Gesellschaft zu Kultur nach Covid und vor dem Hintergrund der Digitalisierung unserer Gesellschaft neu verhandelt. Und nie in den letzten 30 Jahren sind bildende Künstler, Musiker, Autoren und auch Verleger so entschlossen in eine politische und gesellschaftliche Diskussion eingetreten, wie vor und jetzt nach Covid.

Wo liegt für Sie der Kern des Konflikts?
Ehler: Ich sehe die Konfliktlinien weniger zwischen den Kulturschaffenden und dem vermeintlichen politischen Establishment, sondern der Konflikt liegt in einem denkwürdigen Amalgam aus einem Teil der jüngeren „Generation Internet“ und dem skrupellos eingesetzten Lobby-Apparat monopolitischer Internetgroßkonzerne. Als im öffentlichen Diskurs zumindest bei der Lautstärke die Dinge bedrohlich wurden, entdeckten viele zum ersten Mal wieder die vergessene Schönheit des demokratischen Parlamentarismus. Nie bevölkerten mehr Verleger und Autoren die vergessene Agora westlicher Demokratien, nämlich seine Parlamente. Und sie waren erstaunlich erfolgreich. Lange nicht mehr haben Parlamentarier mehr gestritten um die wirtschaftliche, aber auch künstlerische Zukunft der Kulturwirtschaft in Europa. Covid ist wirtschaftlich wie menschlich ein Desaster für den Kulturbetrieb gewesen, und ich kenne niemanden in der Politik, der das nicht verstanden hat.

Und doch fühlen sich weite Teile der Kultur im Stich gelassen.
Ehler: Ich glaube nicht an eine vermeintliche Sprachlosigkeit zwischen Kultur und gegenwärtiger Politik. Ich glaube, die Covid-Krise ist wie ein zusätzlicher Brandbeschleuniger für eine viel grundlegendere Neu-Kalibrierung zwischen einem stark im Umbruch befindlichen Kulturbetrieb und einer stärker polarisierten Gesellschaft, die beide um eine Neubestimmung ihres Verhältnisses ringen. Das ist gelegentlich zugegeben furchterregend, aber auch spannend und voller Chancen, weil es Kunstbetrieb wie Kulturpolitik aus der Gemütlichkeit der etablierten Nischen jagt und die Bedeutung von Kunst und Kultur wieder in den Mittelpunkt einer politischen und damit gesellschaftlichen Diskussion rückt. Und da gehört das Thema auch genau hin.

Fachkonferenz in Potsdam

„Schreiben und Publizieren im digitalen Zeitalter“

Erstes Branchentreffen „in echt“ nach langer Durststrecke, in der pandemiebedingt nur virtueller Austausch möglich war: Zu Beginn der Lit.potsdam findet an diesem Montag, 31. Mai, im Garten der Villa Schöningen in Potsdam die Konferenz „Schreiben und Publizieren im digitalen Zeitalter“ statt. Zu den Diskutanten und Referenten gehören neben Christian Ehler der KI-Experte Peter Seeberg, der frühere Rowohlt-Geschäftsführer und künftige Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins Peter Kraus vom Cleff, die Schriftstellerin und Übersetzerin Zoë Beck, die Buchhändlerin Maria-Christina Piwowarski (Ocelot) und Karina Fenner vom Verlag Voland & Quist. Die Fachpanels moderiert Torsten Casimir vom Börsenblatt.