Mir bleibt das Lachen im Halse stecken und ich beginne mich zu fragen, wie die Redaktionssitzung beim SWR wohl ablief, auf der dieses Format beschlossen wurde. War es ein Zoom-Meeting und alle hatten Corona-Fatigue, oder haben alle Mails gecheckt und keiner erinnert sich? Gab es gar kein Redaktionsmeeting? Warum hatte von den vielen von mir so geachteten Redakteur*innen keine*r den Mut, zu sagen, dass der Kaiser nackt ist und das Ganze der Humor von zugegebenermaßen wortgewandten, aber eben doch Stammtischparolen? Glaubt ernsthaft einer, das sei eine Verjüngung der Literaturkritik?
In wie vielen heftigen Diskussionen habe ich die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verteidigt, wie oft die Markenqualität "meiner" Sender SWR 2, HR2, WDR 5, Bayern 2, NDR Kultur DLF und anderer gepriesen. Wie besorgt habe ich den Bürgerentscheid in der Schweiz verfolgt, in dem die Rundfunkgebühren abgeschafft werden sollten und wie habe ich gejubelt, als sich über 70 Prozent der Schweizer für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks samt der Gebühren aussprachen. Gerade weil dank der Rundfunkgebühren nicht jeder Unsinn zur Volksbelustigung und zum Generieren von Klicks mitgemacht werden muss.
Wo also waren die Stimmen der Markenverantwortung, als der Anti-Kanon beschlossen wurde? Wo will der SWR hin mit Formaten wie diesem?
Hinter uns liegen 16 Pandemie-Monate, Buchhandlungen mussten schließen, Unternehmen um ihre Existenz bangen. Die Menschen suchten und fanden Halt und Ablenkung im Buch, Verlage brachten trotz aller Unsicherheit und abgesagter Buchmessen viele lesens- und besprechenswerte Bücher heraus – und mein geschätzter Morgensender schießt schwungvoll längst vergilbte Trivialliteratur ins Abseits des Krisen-Jahres?
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Literaturkritiker heißen Kritiker und nicht Lobhudler – und das ist gut so. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich erneuern, wenn er relevant bleiben will – also neue Wege suchen. Wer Neues wagt, setzt sich Kritik aus und macht Fehler. Das gehört dazu. Und ist kein Beinbruch.
Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass die geballte Kompetenz, Intelligenz und Erfahrung der Literaturredaktion des SWR in einer Redaktionssitzung, die diese Bezeichnung verdient, zu dem Schluss kommt, Mein Kampf, Kassandra, Coelho, Fitzek und den Tod des Märchenprinzen zum Gegenstand einer effektüberladenen Verriss-Parade zu machen.
Am Freitagnachmittag wurde das erste Filmchen Offline gestellt.
Die Animation werde geändert, der buchsprengende oder anzündende Blitz gecancelt. Ich wünsche mir, dass in einem der nächsten Redaktionsmeetings darüber gesprochen wird, was die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer Zeit von Hate Speech und Fake News, Corona und Hochwasserkatastrophen ist. Darüber, welche Verantwortung Sender für ihre etablierten und geschätzten Marken haben. Und darüber, ob billige Lacher über Gegner weit unter Niveau die adäquate Währung sind. Wenn das so sein sollte, dann sind auch Sie, lieber – nein geliebter – SWR nicht weit von einem Fitzek entfernt, der vermeintlich größten anzunehmenden literarischen Peinlichkeit auf kleinstem Raum…
Interessanter dürfte an dieser Stelle also dann die Frage sein, was einen SWR geritten hat, solch ein Format zu entwickeln. Glaubt das ÖRF ernsthaft, dass über solche Formate Quote zu machen ist und via Verschränkung mit der Mediathek ein jüngeres Publikum angesprochen werden kann, wie es allenthalben als Zielvorgabe herausposaunt wird?
Das Problem ist nicht Denis Scheck (persönlich konnte ich bei einigen Beiträgen recht gut lachen), auch wenn die Vorgehensweise durchaus diskussionswürdig ist. Aber das eigentliche Problem besteht in der Frage danach, wie und als was öffentlich und rechtlich bezahlte Sendeanstalten ihren Kulturauftrag und ihre Kultur- und Literaturbeiträge tatsächlich verstehen und wahrnehmen.
Jens Bartsch – Buchhandlung Goltsteinstraße in Köln
nun bleibt doch mal schön flauschig... Ob man Schecks Meinung nun teilt oder nicht zu einzelnen Büchern, ob man ihn mag oder nicht - unterhaltsam ist er für viele durchaus. Steht den irgendwo in einem Buchhändler-, Verleger- oder Kritikerhandbuch geschrieben, dass Kritik nur positiv sein darf. Nein.! Erinnert sich noch jemand an Marcel Reich-Ranicki und seinen erfolgreichen Band "Lauter Verrisse" in Nachfolge seiner "Lauter Lobreden"? An das Spiegel-Titelbild, auf dem MRR einen Roman von Grass zerreißt? Auch ein gelungener, ein pointierter Verriss schafft Aufmerksamkeit für das Medium Buch - ich kenne nicht wenige LeserInnen (und zähle selber dazu) die sich schlecht besprochene Bücher kaufen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.. "Erst durch das Lesen lernt man, wie viel man ungelesen lassen kann" (Wilhelm Raabe)