Interview mit Leif Greinus und Gunnar Cynybulk

"Die Branche ist solidarischer, als man denkt"

21. März 2022
von Nils Kahlefendt

63 Verlage – von Argument bis Zweitausendeins – waren bei der Leipziger buchmesse_popup dabei. Die Verleger Leif Greinus und Gunnar Cynybulk, die Initiatoren der Bücherschau, ziehen im Interview Bilanz. 

Es ist Sonntag, der 20. März, kalendarischer Frühlingsanfang, postkartenblauer Himmel. Die pandemische Lage von nationaler Tragweite endet, bei Rekordinzidenzen läuft in der Kulturfabrik Werk 2 im Süden von Leipzig Tag Drei der Popup-Buchmesse. Die Stimmung ist heiter und gelöst, manche Gesichter sind vom Partysamstag noch ein wenig gezeichnet. Hinter einer Tür mit der Aufschrift "Computer-Club für Senioren" geht es eine knarzende Stiege hinauf ins temporäre Büro der Popup-Buchmesse-Erfinder Leif Greinus (Voland & Quist) und Gunnar Cynybulk (Kanon).

 

Herr Greinus, Herr Cynybulk, wie geht es Ihnen?
Gunnar Cynybulk: Sonnig. Aber müde.
Leif Greinus: Ich war immer brav, habe gestern aber mal übertrieben: Der Verbrecher-Abend im Conne Island. Es wurde getanzt, als gäbe es kein Morgen.

Wie fällt die Bilanz nach drei Tagen Buchmesse Popup aus?
Cynybulk: Dass es funktionieren würde, wussten wir eigentlich, bevor es losging. Natürlich fragt man sich im Vorfeld: Wie wird die Atmosphäre in der Halle? Wie ist die Stimmung bei den Ausstellern, drückt irgendwen der Schuh? Macht das Publikum mit? Aber ich glaube, wir können hochzufrieden sein.

Wieviel Besucherinnen und Besucher sind gekommen?
Greinus: Knapp 10.000, verteilt über die Messehalle und unsere drei Spielstätten. 

Es waren 63 Verlage – von Argument bis Zweitausendeins – beteiligt, mindestens doppelt so viele wären gern gekommen.
Greinus: Innerhalb von 48 Stunden waren 120, kurze Zeit später 150 Bewerbungen reingerauscht. Das ging fix.
Cynybulk: Suhrkamp, Klett-Cotta und Aufbau hatten ihrerseits eigene Messe-Überlegungen angestellt, aber wir waren wohl schon etwas weiter. So haben sich die unabhängigen Großen mit uns zusammengetan. Auf diese Weise haben wir einen recht eindrucksvollen Schulterschluss von größeren, mittleren und kleineren Verlagen hinbekommen. 

Mussten Sie Enttäuschungen wegmoderieren?
Cynybulk: Wir haben versucht, unser Handeln transparent zu erklären. Wir haben uns fokussiert auf Publikumsverlage; Kinderbuchverlage oder Hörbuchverlage hätten leider den Rahmen gesprengt.
Greinus: Manche waren auch enttäuscht. Die haben sich aber wahrscheinlich nicht klargemacht, dass man nicht locker mal 200 Verlage anruft, wenn man nur Stunden Zeit hat. Die Platzierung der Stände ist immer ein heikles Thema, das wissen wir ja von uns selbst. Und auch da mussten wir dann kurzfristig noch mal umstellen, weil sich das Hallen-Layout in letzter Minute geändert hat. Letztlich war allen klar, dass wir auch improvisieren – insofern konnte uns keiner ernsthaft böse sein.

Was erzählt diese Popup-Geschichte über unsere Branche?
Greinus: Dass sie eng verwoben ist. Und solidarischer, als man denkt. 

Sie hatten die Idee zur popup-Buchmesse, umsetzen kann man so ein Projekt aber wohl nur mit einem funktionierenden Orchester…
Greinus: Das Lesungsprogramm wurde von Anna Jung (Jung und Jung), Kristine Listau (Verbrecher Verlag) und Verena Knapp (Klett-Cotta) organisiert, Mathias Voigt (Literaturtest) hat sich um die Presse gekümmert, ohne Paul Simang, der die ganze Produktion mit höchster Taktzahl gestemmt hat, hätten wir’s nicht geschafft.

Dass Sie, Leif Greinus, mit "Literatur jetzt!" in Dresden Festival-Erfahrung haben, hat offensichtlich auch nicht geschadet…
Greinus: Ich wusste, worauf ich mich einlasse… Eine Halle zu bespielen ist mir nicht fremd (lacht).
Cynybulk: Beim Streaming haben uns Sonja Longolius und Janika Gelinek vom Literaturhaus Berlin großartig unterstützt. Die großen Veranstaltungen aus der Halle D wurden live übertragen und sind auf literaturkanal.tv und unserer Homepage auch weiterhin anzuschauen.

Gab es eigentlich Reaktionen von Kolleginnen und Kollegen aus den großen Verlagen, die die Messebeteiligung storniert hatten?
Cynybulk: Es waren nicht nur der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig und Carsten Schneider, der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung, hier. Auch Oliver Zille und sein Team, Lektoren und Verlagsleiter von Konzernverlagen haben sich sehen lassen. Was ich sehr schön fand. Einige haben die Absage bedauert, andere waren schon recht angefasst aufgrund des zeitweiligen Konzern-Bashings. Von dem wir uns ja deutlich distanziert haben. Ich glaube, da spricht die Veranstaltung für sich. Und ja, zwei Konzernverlage, die unter den Absagenden waren, wollten hier mitmachen – was uns schon verwundert hat.

Wie viele Popup-Buchmessen wollen Sie noch organisieren?
Cynybulk: Möglichst keine.
Greinus: Die Leipziger Buchmesse wird 2023 wieder regulär stattfinden und die buchmesse_popup staubsicher verpackt. Wir schmeißen allerdings nichts weg! Wenn wieder mal irgendwo eine Buchmesse abgesagt wird, haben wir eine schnell umzusetzende Alternative im Koffer.