Helena Bommersheim und Mirjam Berle im Interview

Die Branche muss durchlässiger werden

16. März 2022
von Torsten Casimir

Fachkräfte sind eine knappe Ressource. Das hat demografische Gründe, aber auch Ursachen in der Art, wie eine Branche ihre Arbeitswelt gestaltet, erläutern Helena Bommersheim und Mirjam Berle von Bommersheim Consulting.

Die Buchbranche hat ein Problem, Fachkräfte zu halten und zu gewinnen. Ist das ein Sonderfall dieser Branche, insbesondere im IT- und Digitalsektor?
Helena Bommersheim: Das ist kein IT-Thema, sondern ein Thema, das alle Branchen trifft. Wir müssen auch sehen, dass wir aus demografischen Gründen keine Chance haben, alle diejenigen, die rausgehen, adäquat zu ersetzen. Die Schere zwischen Renteneintritt und Erwerbseintritt geht auseinander. Da entsteht ein Gap, und die Frage ist, wie es – nicht nur – der Medienbranche gelingt, darauf eine Antwort zu geben. Wir haben zu wenig Menschen für den Arbeitsmarkt. Das trifft die Unternehmen und die Führungsteams hart.

Verlagsherstellung zum Beispiel studieren junge Leute in Stuttgart, in Leipzig und anderswo, aber die Absolventen gehen keineswegs überwiegend in die Verlage. Haben wir da nicht doch ein Branchenproblem?
Bommersheim: Ich bin da zurückhaltend. Im Bereich Produktion haben Sie natürlich ein Branchenproblem. Wir qualifizieren, sind dann aber nicht in der Lage, überzeugende Jobangebote zu formulieren. Angebote anderer Branchen scheinen attraktiver zu sein, so dass die Menschen eher dort andocken. Gerade im Bereich Herstellung verknüpfen sich viele Skills miteinander, technologische, digitale, analoge Kompetenzen. Das wird in vielen Branchen händeringend gesucht – was bedeutet, dass diese Absolventen eine große Auswahl an Jobofferten haben.

Frau Berle, Sie haben nach Ihrer Zeit bei Thalia bei einem Reifenhersteller angeheuert, später beim Deutschen Fußball-Bund. Was war Ihr Motiv, die Buchbranche zu verlassen?
Mirjam Berle: Mein Wunsch nach Weiterentwicklung. Ich bin nicht gegangen, weil ich die Branche nicht mehr mochte, im Gegenteil. Für mich war entscheidend, in den Positionen, in die ich gewechselt bin, hinzuzulernen, gestalten und wirken zu können. Diesen Weg gab es in der Medienbranche in der Form für mich so nicht.

Warum nicht?
Berle: Wenn ich mich verändere, mache ich diese Veränderung am liebsten so, dass das Wasser, in das ich springe, kalt genug ist, um mich bewegen zu müssen. Mein Metier ist die Unternehmenskommunikation. Die ist in der Buchbranche nach meiner Wahrnehmung stark inhaltsorientiert. Mein Interesse liegt jedoch darin, gemeinsam mit der Unternehmensführung Veränderung zu begleiten und kommunikativ auch durch Krisenzeiten zu führen.

Kommt das Thema Change in der Buchbranche zu kurz?
Bommersheim: Ich glaube, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, wie notwendig Veränderungen sind. Jedoch sind wir an vielen Stellen noch nicht an dem Punkt, dass wir es auch in die Umsetzung bringen. Überall reden wir davon, dass wir die Silos einreißen müssen, mehr Kollaboration wagen, Räume schaffen für Neues. Was mir immer wieder auffällt: Die Durchlässigkeit, die sich Menschen für ihre persönliche und berufliche Weiterentwicklung wünschen, gestattet ihnen die Branche noch nicht.

Haben Sie ein Beispiel?
Bommersheim: Wenn wir etwa in der Konsumgüterbranche über Produktentwicklung reden, wird das ganzheitlich gedacht: von der Produktentwicklung über Zielgruppen bis zur Vermarktung. Wir in der Medienbranche trennen das immer noch zu sehr. Kommt jemand aus der Vermarktung und sagt, ich würde gerne mal im Lektorat oder in der Redaktion arbeiten, dann gibt es meistens noch diese gläsernen Türen; man kann reinschauen, aber man kann sie nicht wirklich öffnen. Wir sind noch zu starr in der Beschreibung von Positionen. Die Ressourcen, die die Menschen haben und die sie für sich persönlich entwickeln wollen, müssen wir sehen lernen und ernst nehmen.
Berle: Ich bin ein sinngetriebener Mensch. Für mich ist es wichtig, dass die Arbeit, die ich mache, meinen Werten gerecht wird. Kommunikation mache ich, weil mir das Ziel dahinter wichtig ist: Etwas zu verändern, Menschen auch in höchsten Führungspositionen durch schwierige Phasen zu begleiten. Und da hat Helena Bommersheim einen wichtigen Punkt: Das Reduziertwerden auf eine Fachkompetenz (was übrigens in anderen Branchen ganz ähnlich passiert) und das Nichtsehen von 360-Grad-Eigenschaften, die eine Person mitbringt – das ist ein limitierender Faktor.
Bommersheim: Wir brauchen die Verbindung von Fachkompetenz und Sinnbedürfnis. Vor diesem Hintergrund sollten wir unser Narrativ überdenken.

Was, glauben Sie, ist denn im Augenblick das Narrativ der Branche?
Bommersheim: "Wir tun das Richtige. Wir sind auf der guten Seite." – Nur, das reicht nicht mehr aus. Ich glaube auch nicht, dass wir mit solch einer Selbstbeschreibung alle Mitarbeitenden im gesamten Unternehmen mitnehmen. Genauso wenig verfängt sie extern.

Nehmen Sie das aus Ihrer Außenperspektive auch so wahr, Frau Berle?
Berle: Von außen nehme ich eher eine klagende Tonalität wahr. Die Menschen fühlen sich jedoch nicht zu den Klagenden hingezogen. Das macht ihnen wenig Lust darauf, in die Branche zu kommen. Wie wäre es, wenn wir mehr positive Botschaften senden? Zum Beispiel: Wir gestalten die Welt in Wort und Tat und nehmen Einfluss auf die Welt von morgen.

Das betrifft die Tonalität. Aber was wäre unser inhaltliches Angebot?
Bommersheim: Die Botschaft des Mitgestaltens der Zukunft ist ein guter Impuls. Noch ein anderer Gedanke kommt hinzu: Es geht auch um Selbstbefähigung und Selbstwirksamkeit. Eine Kollegin von mir nennt das "den Raum halten".

Was meinen Sie mit selbstwirksam?
Bommersheim: Ein Beispiel: Nach der Absage der Leipziger Buchmesse haben sich schnell Menschen zusammengefunden und sind gemeinsam wirksam geworden. Sie haben eine gestaltende Haltung gezeigt und damit in der eher negativ konnotierten Situation die Chance gesehen und sie mutig genutzt. Das ist vorbildliche Selbstwirksamkeit.

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