Digitale Konferenzen

Fieberfrei

16. Oktober 2020
von Michael Roesler-Graichen

Das Konferenzprogramm der Frankfurter Buchmesse lief in diesem Jahr digital, wie fast die gesamte Messe. Wo liegen die Vorteile? Was wurde vermisst? Impressionen am Laptop.

Die Verlegung der Frankfurter Buchmesse ins Netz ist für viele Wissenschaftsautor*innen, Verleger*innen und Dienstleister keine neue Erfahrung in diesen Monaten. Seit Beginn der Covid-19-Pandemie haben die meisten Wissenschaftskonferenzen weltweit online stattgefunden. Und so sind die Fachprogramme und -konferenzen der „Special Edition“ nicht für alle eine neue Erfahrung. Für andere, die noch 2019 auf Buchmessepodien saßen oder in Konferenzräumen Branchenkollegen trafen, allerdings schon. Sie vermissen die persönliche Begegnung, das ernsthafte Gespräch oder auch das lockere Geplauder über dies und das, die Frage „Wissen Sie schon, dass …“?

Was außerdem fehlt: Das Buchmessefieber, das einen ergreift, wenn man eine volle, wimmelnde Halle betritt mit ihren abertausend Reizen und Gesprächsanlässen. Die Mischung aus Adrenalinschüben und Endorphin-Ausschüttungen. Die unverhofften Begegnungen, die sich Tag für Tag zu persönlichen Messegeschichten verdichten.

Stattdessen findet alles auf digitalen Bühnen statt, in einem Guckkasten mit einem oder vielen Fenstern, aus dem jeweils ein Sprecher oder Moderator zum unsichtbaren Publikum spricht – eine Zuhörerschaft, die potenziell über den ganzen Globus verteilt ist, und die die Diskussionen in unterschiedlichen Zeitzonen verfolgt. Das ist auf jeden Fall ein Unterschied zu bisherigen Konferenzen auf der Frankfurter Buchmesse: Die digitalen Konferenzen und Events haben eine nie dagewesene Reichweite, und es nehmen Menschen an ihnen teil, die bisher nie die Chance hatten, nach Frankfurt zu kommen, wie Juergen Boos sagt. Bei einer Verlegerkonferenz am vergangenen Montag hätten sich 800 Menschen weltweit zugeschaltet. Bei einem Präsenztermin in Frankfurt wären es normalerweise um die 200 gewesen.

Doch all dies spielt sich am Büroschreibtisch oder im Homeoffice ab, ohne die Chance, jemandem ein Hallo zuzurufen, zuzuzwinkern oder eine Visitenkarte zuzustecken. Es werden lediglich Einblicke in Privaträume gewährt: eine Grünpflanze, deren tatzenförmige Blätter bedrohlich ins Bild ragen, ein volles, turmhohes Bücherregal, ein cooles Loft mit Waschbeton-Wänden – davor oder daneben jeweils der Sprecher. Immerhin gibt es die Möglichkeit, über die Plattform Slido Fragen zu stellen (die Chat-Funktion von Zoom ist hingegen abgeschaltet). Und einige Konferenztermine werden zudem mit Networking Sessions fortgesetzt.

Eine von Rechtemanagern weltweit gut besuchte Konferenz war „Rights and Licensing“ am Eröffnungstag (Dienstag), mit der die „Frankfurt Conference“ eröffnet wurde. Jo Henry, die Geschäftsführerin des britischen Fachmediums „Book Brunch“, brachte den digitalen Kulturwandel gleich zu Beginn auf den Punkt: „Die Kollegen nicht persönlich treffen zu können, ist ein kritischer Punkt für Rechteleute.“ Gerade wenn es etwa um vertrauliche Gespräche über ein Manuskript geht.

Der Literaturagent Andrew Nurnberg, dessen gleichnamige Agentur in vielen Ländern aktiv ist (China, Russland, Frankreich, Rumänien etc.), gab einen Überblick darüber, wie einzelne Buchmärkte bisher durch die Corona-Krise gekommen sind. Wo Autoren in Schwierigkeiten geraten seien, habe man ihnen so gut wie möglich geholfen. Nurnberg vermisst im digitalen Raum die nötige Betriebstemperatur: „I need the hot-house atmosphere in Frankfurt.“ Zudem bekomme man auf einer Plattform nicht die entscheidenden Gerüchte mit, die für das Rechtegeschäft so wichtig sind.

 

I need the hothouse atmosphere in Frankfurt.

Andrew Nurnberg, Nurnberg Associates

Antoine Tanguay (Alto) und Florence Bisch (Groupe Homme) führten in einer anschließenden Runde in die besonderen Verhältnisse des Buchmarkt in Québec ein, dessen 300 Verlage jährlich 6.000 Bücher produzieren, der aber zugleich viele Titel aus Frankreich importiert. Janie Yoon (House of Anansi Press) nannte ein paar Zahlen zum englischsprachigen Buchgeschäft in Kanada, das jährlich 10.000 Titel kanadischer Autor*innen produziert. Neben den Konzernverlagen gibt es rund 200 unabhängige Verlagshäuser in Kanada, die englischsprachige Titel verlegen.

Einblicke in die Vielfalt des spanischen Buchmarkts gaben die Agentinnen Sandra Pareja und Anna Soler-Pont. Das Besondere, woran man bei Spanien nicht sofort denkt: Es ist ein viersprachiges Land, und es werden neben spanischen (kastilischen) und katalanischen Titeln auch Bücher in Baskisch und Galizisch verlegt. Schön, wenn man bei einem solchen Digitalevent en passant seine Landeskenntnisse auffrischen kann.

Die nächste Runde am Dienstagnachmittag, „Covid 19, Copyright and the Creative Economy“, wurde Opfer technischer Probleme. Womöglich hatte ein Server, der drei Bühnen parallel mit Zoomkonferenzen bespielen sollte, den Geist aufgegeben. Nicht weiter tragisch, die Veranstaltung wurde am Messefreitag nachgeholt.

Solche Pannen, wie sie allen Homeoffice-Erfahrenen bekannt sind, gab es in dieser Woche immer wieder. Aber auch ein schwarzer Bildschirm, ein eingefrorener Redner oder ein lautes „Fuck!“ aus dem Off, weil die Präsentation nicht läuft, gehören zu einer digitalen Messe, die vorher niemand testen konnte.

Die Frankfurt Conference hatte noch zahlreiche andere Themen zu bieten, etwa zum Audiomarkt und der Rolle von Streamingdiensten und Podcasts, zur Relevanz von Metadaten für Vertrieb und Rechtegeschäft in der Content-Industrie, über die Selbstbehauptung kleiner Sachbuchverlage aus aller Welt während der Corona-Krise. Dazu mehr im Messeberichtsheft des Börsenblatts.