Interview mit Susanne Barwick, Rechtsabteilung Börsenverein

"Gendern von Manuskripten nur mit Einverständnis"

13. April 2021
von Michael Roesler-Graichen

Darf ein Verlag das Manuskript einer Autorin oder eines Autors gendern? Nur mit dessen Einverständnis, erläutert Susanne Barwick, stellvertretende Justiziarin des Börsenvereins. Die beste Lösung sei, dies im Verlagsvertrag zu regeln.

Das Gendern von Texten ist immer häufiger zu beobachten. Darf ein Verlag das Manuskript eines Autors oder einer Autorin ohne deren Wissen nachträglich gendern und so veröffentlichen?
Nein, das wäre meines Erachtens ohne Einverständnis des oder der Autor*in nicht möglich. Letztendlich ist das Gendern zurzeit eher noch eine Stilfrage, bei der es - anders als vielleicht bei der Rechtschreibung - keine richtige oder falsche Schreibweise gibt. Der Verlag kann also nicht argumentieren, dass nur ein gegenderter Text eine Erfüllung des Verlagsvertrages darstellt. Aus meiner Sicht kann sich der Verlag auch nicht auf ein Bearbeitungsrecht berufen, wenn er sich dieses hat einräumen lassen. Denn auch in diesem Fall hat er Beeinträchtigungen des Werkes zu unterlassen, die geistige und persönliche Rechte des oder der Autor*in am Werk gefährden. Mit dem Gendern wird aber - jedenfalls zurzeit - letztendlich auch eine politische Aussage getätigt. Es muss daher dem oder der Autor*in überlassen sein, wie er oder sie einen Text verfasst, dies ist Ausfluss seines bzw.  ihres Urheberpersönlichkeitsrechtes.

Ist es erlaubt, eine ältere Übersetzung im Zuge einer Überarbeitung an Genderregeln anzupassen?
Hier gilt das Gleiche wie für Autor*innen. Übersetzer*innen sind Urheber*innen, und auch hier sollte das Einverständnis der Übersetzer*innen nachträglich eingeholt werden. Anders wäre es vielleicht nur, wenn auch der Originaltext gegendert wäre und der oder die Übersetzer*in dies nicht beachtet hätte.

Muss in beiden Fällen die Zustimmung des Rechteinhabers oder der Rechteinhaberin eingeholt bzw. von vornherein in den Verlagsvertrag aufgenommen werden?
Ja, wenn der Verlag auf das Gendern wert legt, sollte er dies gegenüber den Urheber*innen schon im Vorfeld offenlegen und auch im Verlagsvertrag verankern. Das Gleiche gilt übrigens, wenn ein Verlag das Gendern ablehnt. Denn auch in diesem Fall würde sich grundsätzlich der oder die Autor*in durchsetzen, der oder die ein gegendertes Manuskript abgibt. Wenn also ein Verlag gegen Gendern ist, weil es aus seiner Sicht z.B. die Lesbarkeit stört, so muss auch dies klar im Verlagsvertrag zum Ausdruck kommen. Sonst muss der Verlag das Manuskript in gegenderter Fassung veröffentlichen.

Kann ein Urheber oder eine Urheberin die Auslieferung eines Werks stoppen, wenn er / sie ausdrücklich das Gendern seines / ihres Textes abgelehnt hat?
Ja, das wäre aus meiner Sicht die Konsequenz, wenn man Gendern als Ausdruck des Urheberpersönlichkeitsrechts versteht. Es mag sein, dass dies irgendwann nicht mehr der Fall sein wird. Heutzutage ist es zum Beispiel normal, dass ein Manuskript in "neuer Rechtsschreibung" abgegeben wird. Hierzu finden sich auch kaum noch Vereinbarungen im Verlagsvertrag. Zu der Zeit, als die Rechtschreibreform neu war, war dies aber nicht selbstverständlich, und Autor*innen haben zum Teil darauf bestanden, dass das Werk in alter Rechtschreibung gedruckt wird. Auch damals wurde es dann üblich, im Verlagsvertrag zu vereinbaren, dass das Manuskript in neuer Rechtschreibung zu erstellen ist.