Kolumne von Martina Bergmann

Über Regionalbahnen und Konsum

20. August 2020
von Börsenblatt

Einzelhandel ist jeden Tag das Abenteuer Regionalbahn. Er ist bunt, bescheuert, wunderbar und einigermaßen krisenfest, meint die Martina Bergmann. Von der Kommunalpolitik wünscht die Buchhändlerin und Autorin aus Borgholzhausen sich nur eins: Konsum.

Letzten Herbst etwa um diese Zeit war ich auf Reisen. Ich kehrte im ICE von irgendwo zurück; Lesereise. Es war voll und warm, und natürlich klappte etwas nicht. Verschiedene Personen regten sich furchtbar auf. Als der Zug in Hamm zu halten kam, stieg ich aus. Ich hatte einen schönen Abend gehabt, ein nettes Hotel bewohnt, und ich wollte einfach, dass diese Reise gut zu Ende geht. Kein Gemecker von irgendwem ganz besonders Wichtigem in Dringlichkeiten Richtung Berlin. Ich dachte, im schlimmsten Fall stehe ich eine Stunde in Hamm und halte meine Nase in die Sonne. Es kam dann aber eine Regionalbahn. Doppelstöckig, schmutzig, keine Steckdose für mein Handy und natürlich kein WLAN. Alles, was man nicht so gerne hat. Einem Impuls folgend, stieg ich dennoch ein.

Der Zug setzte sich in Bewegung und fuhr am ICE vorbei. Ich will nicht sagen, schnell. Aber er fuhr. An Bord viele Kinder, alle fröhlich. Eine Gruppe Personen mit Hasenohren aus Plüsch (betrunken, Junggesellinnen-Abschied). Eine gewisse Chantal mit Liebesschwierigkeiten, von denen sie zu Cindy redete. WhatsApp-Sprachnachrichten, und weil es in dem Zug ohnehin nicht leise war, diktierte sie dagegen an. Ich weiß jetzt alles. Dazu Fußball-Fans. So ging das in dieser Regionalbahn, und als ich nach einer Stunde in Bielefeld eintraf, hatte ich zu meiner eigenen Überraschung gute Laune. Ich sagte das beim Aussteigen zu der Schaffnerin, und diese grinste. "Man wird gelassen", meinte sie.

Zu Schulbeginn musste ich nun wieder daran denken. Es war letzte Woche sehr, sehr warm. Die Kinder hatten echt lange keine Schule besucht. Touristen waren auch zugegen, und dann gab es Kapriolen, weil der Bürgermeister das Freibad hatte schließen lassen. Dreharbeiten des WDR über den Wassermangel in Borgholzhausen bei 35 Grad. Es waren die perfekten Zutaten, um sich die ganze Woche nur zu ärgern. Aber: Es war schön. Ich verließ abends schweißklebend und hitzemüde meinen Packraum; am Dienstag bin ich um halb acht auf dem Sofa eingeschlafen und erst anderntags erwacht. Sofort ging es weiter, 97. Geburtstag einer Lieblingskundin. Absagen, wegen der paar Hitzegrade? Keine Option für sie.

Als nächstes stehen Kommunalwahlen an. Parteien und die Wahlkreiskandidaten stellen sich vor. Natürlich wollen sie alle unser Bestes. Ich sage das ohne Ironie, denn tatsächlich ist Kommunalpolitik eine Fleißarbeit, der die meisten Mandatsträger mit Hingabe nachgehen. Sie kümmern sich um junge Familien in den Neubaugebieten, um Schulbusse, eine Hundewiese und den Breitensport. Manchmal sogar um Kultur, worin auch immer sie hier besteht. Dazu das Raunen um den Einzelhandel, der danieder liegt. Maßnahmen, Stützung, Gelder.

 

"Einzelhandel ist bunt, bescheuert, wunderbar und einigermaßen krisenfest." 

Unterstützung des Einzelhandels ist schlicht Konsum

Diese Stelle ist bei mir neuralgisch. Die sogenannte Unterstützung des vermeintlich notleidenden Einzelhandels ist nämlich nicht all das Gerede. Sie wäre schlicht und ergreifend Konsum. Privateinkäufe wie Aufträge der Institutionen. Folgende Maßnahmen hingegen sind keine Unterstützung: Mit viel Beton einen weiteren Supermarkt errichten. Der Betreiber am Ort ist nett, bildet aus, bringt sich ein. Der braucht keinen Mitbewerber! Ebenso das Büchereiwesen. Bibliotheken sind super. Wenn sie denn geöffnet haben. Wenn sie ihr Budget zu dem gebrauchen, wofür es vorgesehen ist. Konsum, siehe oben. Privateinkäufe und Aufträge der Institutionen. Internet ist noch so ein Thema. Sehr modisch diesbezüglich: Plattformen. Arbeitsgruppe zur Beratung über die Erstellung einer Plattform. Dass der gesunde Teil des inhabergeführten Einzelhandels ohne digitales Engagement überhaupt nicht mehr zu denken ist, ignoriert man geflissentlich. Die Kommunalpolitik kann ja auch nichts dafür, dass die Einzelhändler sich im Internet vollkommen frei bewegen.

Man kann diese Liste relativ beliebig fortsetzen, vermutlich für jede Kleinstadt in der westdeutschen Provinz. Uns fehlt oft weniger als Politiker meinen. Aber woher sollen sie es wissen? Man sieht sie nicht genügend. Politik funktioniert vielleicht wie ein ICE, aber Einzelhandel ist jeden Tag das Abenteuer Regionalbahn. Er ist bunt, bescheuert, wunderbar und einigermaßen krisenfest. Wie gut, dass ein Bürgermeister neben dem Freibad nicht auch noch Einzelhandelsbetriebe zu verantworten hat. Dazu braucht es nämlich, wie die Schaffnerin zutreffend sagte, recht viel Gelassenheit.