Michael Krüger zum Tod des italienischen Lektors

"Der arme Heinrich": Ein Nachruf auf Enrico Ganni

24. Juli 2020
von Börsenblatt

Er hat große Namen der deutschen Literatur nach Italien geholt: Enrico Ganni, Germanist, Übersetzer und Lektor im Einaudi Verlag in Turin. Der ehemalige Hanser-Verleger Michael Krüger zieht den Hut vor seinem Freund, der am 17. Juli im Alter von 70 Jahren gestorben ist. 

Vor ein paar Wochen hat an dieser Stelle meine Suhrkamp-Kollegin (und Freundin) Petra Hardt dem italienischen Übersetzer Enrico Ganni zum 70.Geburtstag gratuliert, jetzt muss ich schon den Nachruf schreiben. Je älter man wird, desto öfter muss man sich dieser traurigen Pflicht unterziehen - auch wenn man weiß, dass mit dem Anschwellen des Ordners "Nachrufe" die eigene Lebenserwartung ihrem Ende zugeht.

Nun also Enrico Ganni, der arme Heinrich, wie ich ihn nannte, wenn wir über die Plagen des Lebens klagten, er Heinrich-Heine-mäßig ironisch-elegant, ich eher à la Hiob dumpf-anklagend. Aber wir meinten natürlich dasselbe: Die Flut schlechter und mittelmäßiger Bücher nimmt zu, die guten und herausragenden Werke werden weniger, aber, und das war der Grund der Klage, trotz aller Anstrengungen ist dieser Tatbestand nicht mehr umzudrehen: Die Menschheit ist mit mittelmäßigen Dingen zufrieden, sie will es nicht anders.

Das Interesse in italienischen Verlagen an deutscher Literatur und Geistesgeschichte war immer ausgesprochen hoch - und Enrico hat diese Tradition auf wunderbare Weise fortgeführt.

Michael Krüger, Autor und ehemaliger Hanser-Verleger

Die (gute) deutsche Literatur hatte in Italien immer ein paar herausragende Vermittler in den Verlagslektoraten. Es begann mit dem berühmten Roberto "Bobi" Bazlen, dessen Verlagsgutachten (vor allem für Adelphi) nach seinem Tod geradezu Kult und gesammelt immer wieder neu aufgelegt wurden: eine Art subjektiver deutscher Literaturgeschichte, wie sie klüger und anregender nicht denkbar ist.

Es gab bei Feltrinelli (wo beide Verleger, Inge und Giangiacomo, deutsch sprachen, und Carlo Feltrinelli, der jetzige Verleger, deutsch spricht) den berühmten Enrico Fillipini, der auch als Brecht-Übersetzer und polemischer Essayist bekannt war. Es gibt gottlob immer noch den Verleger Roberto Calasso,den Freund Ingeborg Bachmanns, der wohl nicht nur der beste Kenner der deutschen Philosophie, sondern auch der Literatur der k.u.k.-Zeit ist - aber ganz nebenbei auch noch ein Spezialist für indische Religion und vieles andere. Kurz, das Interesse in italienischen Verlagen an deutscher Literatur und Geistesgeschichte war immer ausgesprochen hoch - und Enrico hat diese Tradition auf wunderbare Weise fortgeführt.

Goethe, Fontane, Musil, Kafka, Brecht, Grass, Enzensberger, Grünbein: In dieser Klasse war er unterwegs.

Michael Krüger

Wenn man sich die Liste der Bücher anschaut, die er selbst übersetzt hat, kann man nur freudig und respektvoll den Hut ziehen: Goethe, Fontane, Musil, Kafka, Brecht, Grass, Enzensberger, Grünbein - in dieser Klasse war er unterwegs.

Und weil er einmal in Frankfurt am Gymnasium (und damit vollkommen zweisprachig) war, war er auch als Lehrer und Professore unterwegs, und auch das Goethe-Institut hat von seinen enormen Kenntnissen profitiert. Aber hinzu kommen die vielen Editionen, vor allem seine akribische Arbeit an der Edition der Werke Walter Benjamins, die ohne seine Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur nicht den Status erlangt hätte, den sie heute hat.

Dabei war er die Bescheidenheit in Person. Er war so bescheiden und höflich, dass er sogar manchmal meine Versuche, einen italienischen Satz zu formulieren, mit der Bemerkung adelte: Dein Italienisch ist schon viel besser geworden. Nein, mein lieber armer Heinrich, es ist leider so schlecht geblieben wie zuvor und wird, seit Du uns verlassen hast, leider auch nicht mehr besser.

Es war immer eine Ehre, wenn man selber ein Buch in einer der schönen weißen Reihen bei Einaudi veröffentlichten durfte, dem Verlag des Widerstands, in dem Cesare Pavese und Natalia Ginzburg, Italo Calvino und Elio Vittorini nach dem Krieg das Lektorat bildeten. Zweimal war ich, nicht zuletzt dank des Einsatzes vom armen Heinrich, dabei. Danke, lieber Enrico, für alles, was Du für die deutschen Autoren in Italien getan hast! Wir werden dich nicht vergessen!