Sprachkritische Aktion

„Klimaterroristen“ ist Unwort des Jahres 2022

10. Januar 2023
von Börsenblatt

Das Wort „Klimaterroristen“ diskreditiere Aktivist:innen, setze sie gleich mit Terrorist:innen und kriminalisiere und diffamiere sie dadurch, sagt die Jury des Unworts des Jahres. Eine ganz ähnliche Begründung gab es für das Unwort des Jahres 2019. 

„Der Ausdruck Klimaterroristen wurde im öffentlichen Diskurs gebraucht, um Aktivist:innen und deren Protest zu diskreditieren“, so die Jury des Unworts des Jahres. Demnach werde durch das Wort „Klimaterroristen“ im öffentlich-politischen Diskurs pauschal Bezug auf Akteur:innen genommen, die sich für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens einsetzen.

„Die Jury kritisiert die Verwendung des Ausdrucks, weil Klimaaktivist:innen mit Terrorist:innen gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden“, heißt es weiter. „Unter Terrorismus ist das systematische Ausüben und Verbreiten von Angst und Schrecken durch radikale physische Gewalt zu verstehen. Um ihre Ziele durchzusetzen, nehmen Terrorist:innen dabei Zerstörung, Tod und Mord in Kauf. Durch die Gleichsetzung des klimaaktivistischen Protests mit Terrorismus werden gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt.“

Außerdem kritisieren sie, dass der Ausdruck „Klimaterroristen“ den Fokus der Debatte von den inhaltlichen Forderungen der Aktivist:innen, nämlich konkrete politische Maßnahmen, und die globale Bedrohung durch den Klimawandel, auf den Umgang mit Protestierenden verschiebe.

Als weitere Unwörter mit ähnlicher Wirkung benennt die Jury Klimaterrorismus, Ökoterrorismus und Klima-RAF.

Bereits 2019 wurde mit „Klimahysterie“ ein Unwort des Jahres mit Bezug auf die Klimakatastrophe gewählt. Damals argumentierte die Jury auch, dass der Ausdruck die Klimaschutzbewegung diffamiere und wichtige Debatten diskreditiere:

Unwort des Jahres 2012 - 2022


Jahr Unwort
2022 Klimaterroristen 
2021 Pushback
2020 Rückführungspatenschaften und Corona-Diktatur
2019 Klimahysterie
2018 Anti-Abschiebe-Industrie
2017 alternative Fakten
2016 Volksverräter
2015 Gutmensch
2014 Lügenpresse
2013 Sozialtourismus
2012 Opfer-Abo

 

Unwörter des Jahres auf Platz 2 und 3 und Peter Wittkamps persönliches Unwort:

  • Sozialtourismus: „Der Ausdruck Sozialtourismus war bereits 2013 Unwort des Jahres. Von einigen Politiker:innen und Medien wurde damals mit der Verwendung dieses Wortes gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderung, insbesondere aus Osteuropa, gemacht. Aus aktuellem Anlass hat sich die Jury entschieden, diesen Ausdruck auf Platz 2 zu setzen. Im Jahr 2022 wurde Sozialtourismus von Friedrich Merz zur Bezeichnung von Menschen aus der Ukraine, die Zuflucht vor dem Krieg suchen, verwendet. Die Jury sieht in diesem Wortgebrauch eine Diskriminierung derjenigen Menschen, die vor dem Krieg auf der Flucht sind und in Deutschland Schutz suchen; zudem verschleiert der Ausdruck ihr prinzipielles Recht darauf. Die Perfidie des Wortgebrauchs besteht darin, dass das Grundwort Tourismus in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende freiwillige Reisetätigkeit impliziert. Das Bestimmungswort sozial reduziert die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem profitieren zu wollen, und stellt die Flucht vor Krieg und die Suche nach Schutz in den Hintergrund.“
  • defensive Architektur: „Bei diesem Ausdruck handelt es sich um eine Übertragung aus dem Englischen (defensive/hostile urban architecture). Im Deutschen ist der Ausdruck auch unter der Alternativbezeichnung Anti-Obdachlosen-Architektur bekannt. Bei dem Wort defensive Architektur handelt es sich um eine militaristische Metapher, die verwendet wird, um eine Bauweise zu bezeichnen, die sich gegen bestimmte, wehrlose Personengruppen (zumeist Menschen ohne festen Wohnsitz) im öffentlichen Raum richtet und deren Verweilen an einem Ort als unerwünscht betrachtet. Die Jury kritisiert die irreführende euphemistische Bezeichnung einer menschenverachtenden Bauweise, die gezielt marginalisierte Gruppen aus dem öffentlichen Raum verbannen möchte.“

Unwortstatistik 2022:

Für das Jahr 2022 erhielt die Jury insgesamt 1476 Einsendungen. Es wurden 497 verschiedene Ausdrücke vorgeschlagen, von denen knapp 55 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen.

Unter den häufigsten Einsendungen (mehr als 15), die aber nicht zwingend den Kriterien der Jury entsprechen, waren: (Doppel-)Wumms (52), Gratismentalität (26), Klima-Kleber (18), Klima-RAF (34), Klima-Terrorist(en) (32), (militärische) Sonder-/Spezialoperation (64), mithitlern (15), nachhaltig (18), Sondervermögen (54), Sozialtourismus (71) und Zeitenwende (15).

Die Jury der institutionell unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus folgenden Mitgliedern: den vier Sprachwissenschaftler:innen Dr. Kristin Kuck (Otto-von-Guericke-Universität Mag[1]deburg), Prof. Dr. Martin Reisigl (Universität Wien), Prof. Dr. David Römer (Universität Kassel), Prof. Dr. Constanze Spieß (Sprecherin der Jury; Philipps-Universität Marburg) und der Journalistin Katharina Kütemeyer. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr Peter Wittkamp (Autor, Gagschreiber, Werbetexter) beteiligt