Texte überfliegen, Häppchen lesen: Das reicht nicht aus, um die Welt in ihrer Komplexität zu erfassen. So lautet der Befund des »Ljubljana Lesemanifests«, mit dem der Ehrengast Slowenien zur Buchmesse anreist. Ein Interview mit Mitautor Miha Kovač über grundlegende Anforderungen an die Lesekompetenz.
Einfach und kurz gesagt: Lesen auf höherem Niveau ist das Lesen langer und komplexer Texte über komplexe Probleme, die intellektuelle Geduld erfordern, uns zur Selbsthinterfragung zwingen, uns darin schulen, die Perspektiven anderer einzunehmen, und nicht zuletzt das Verständnis von logischen Regeln voraussetzen. Beim Lesen solcher Texte beschäftigen wir uns mit neuen Wörtern, mit neuen Bedeutungen bekannter Wörter, mit neuen syntaktischen Strukturen und logischen Konstruktionen usw. Auf diese Weise vertiefen und erweitern wir unseren Wortschatz und trainieren unseren Verstand, auf neuen Wegen zu denken. Mit anderen Worten: Ich sehe das Lesen auf höherem Niveau als eine Art Training für kritisches und analytisches Denken.
Weil es meines Erachtens keine andere kognitive Tätigkeit als das Lesen auf höherem Niveau gibt, die uns besser für das Nachdenken über komplexe Probleme schult. Der amerikanische Politikwissenschaftler Adam Garfinkle schrieb einmal, dass die heutigen politischen Eliten schlechte strategische Entscheidungen träfen, weil sie nicht in der Lage seien, mit komplexen Problemen umzugehen. Ich kenne viele Beispiele für schwierige politische und wirtschaftliche Entscheidungen, die gescheitert sind, weil die Akteure die Komplexität der menschlichen Gesellschaft nicht verstanden haben.
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