Neue Kolumne von Hermann Eckel

Ohne Purpose keine Innovation

23. Mai 2024
von Hermann Eckel

Für Unternehmen ist es überlebenswichtig zu wissen, was sie wollen, oder anders ausgedrückt: welchen "Purpose“, welchen sinnstiftenden Zweck sie mit ihrer Geschäftstätigkeit eigentlich verfolgen, meint Hermann Eckel in seiner neuen Kolumne.

„Es ist gut, wenn du weißt, was du willst, denn wenn du nicht weißt, was du willst, ist das nicht so gut“, sang das Göttinger A-cappella-Trio „Ganz schön feist“ in den Neunzigern. Klingt erst mal lustig, ist aber sehr wahr. Denn für Unternehmen etwa ist es geradezu überlebenswichtig zu wissen, was sie wollen, oder anders ausgedrückt: welchen “Purpose“, welchen sinnstiftenden Zweck sie mit ihrer Geschäftstätigkeit eigentlich verfolgen.

Wofür steht das Unternehmen?

Leider scheinen sich auch im Buchmarkt nur die wenigsten Unternehmen hierüber im Klaren zu sein. So hat nur rund ein Fünftel der 100 größten deutschen Verlage überzeugende Purpose-Statements auf ihren Websites veröffentlicht (auffälligerweise meist Fach- und Bildungsverlage). Noch seltener finden sich im Buchhandel solche Formeln, die Kund*innen wie Mitarbeitenden unmittelbar eine Vorstellung davon vermitteln, wofür das Unternehmen steht, und zugleich Denkkorridore für neue Produkte und Geschäftsmodelle eröffnen. Eine der rühmlichen Ausnahmen ist der Koblenzer Händler Reuffel mit: „Wir bringen Menschen und Geschichten zusammen.“

Purpose ist die Voraussetzung für Innovation

Ohne einen solch klaren, zukunftsweisenden Purpose aber fehlt die wichtigste Voraussetzung für echte Innovationskraft. Wenn etwa Verlage ihren Daseinszweck unhinterfragt nur darüber definieren, Bücher zu machen und zu vermarkten, werden sie auch weiterhin genau dies tun. Dann sind der Innovation enge Grenzen gesetzt. Allenfalls entwickeln sie noch zusätzliche Formate und Ausstattungen wie E-Books, Audiobooks oder Bücher mit Farbschnitt.

Wenn ich meinen Unternehmenspurpose dagegen sehr viel weiter fasse und somit bisherige Denkrahmen sprenge, kann ich alles Mögliche und sogar scheinbar Unmögliches erreichen. Zwar klingt Googles Anspruch: „to organize the world's information and make it universally accessible and useful“ für deutsche Ohren ziemlich größenwahnsinnig. Doch ist genau dieser „Massive Transformational Purpose“ der wesentliche Antreiber hinter dem globalen, disruptiv wirkenden Erfolg des Tech-Giganten.

 

Innovative Lösungen

Immerhin gibt es auch in unserer Branche Unternehmen, bei denen der Zusammenhang zwischen Innovationskraft und klug definiertem Purpose deutlich wird. Ravensburgers Claim etwa lautet: „Wir inspirieren Menschen zu entdecken, was wirklich wichtig ist.“ Mit welchen Produkten und Dienstleistungen und über welche Kanäle diese Inspiration erfolgt, was es eigentlich zu entdecken gilt, und welcher Altersgruppe die Menschen entstammen: All dies ist völlig offen und eröffnet damit ungeahnte Räume für die Produktentwicklung. Und so sind denn in den letzten Jahren regelmäßig innovative Lösungen in Ravensburg entstanden, etwa der tiptoi und der SAMi Lesebär zur Leseförderung bei Kindern.

 

Unterstützung durch KI

Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen im Bereich generativer KI erhält die Frage nach dem Unternehmenspurpose noch mal eine ganz neue Brisanz: Denn wenn wir alle möglicherweise schon bald mühelos professionellen Content produzieren, veröffentlichen und vermarkten können, wird die Daseinsberechtigung von Medienunternehmen ganz grundlegend infrage gestellt. Damit gerät das traditionelle Selbstverständnis von Verlagen und Buchhandlungen noch weiter unter Druck als ohnehin schon. Und dann braucht es eben einen neuen Purpose und neue, darauf basierende Geschäftsmodelle – womöglich gerade unter Ausnutzung von KI-Lösungen.

Beispiel Springer Nature

Wie das funktionieren kann, zeigt sich in Springer Natures Purpose: „Help with global challenges by advancing discovery“. Der Daseinszweck des Unternehmens ist es demnach nicht, wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften zu veröffentlichen, sondern Forschung zu befördern, um somit bei der Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit zu helfen. Als ich Henning Schönenberger, Vice President Content Innovation bei Springer Nature, Anfang des Jahres am Rande der future!publish fragte, wo für ihn der größte Anreiz in der Anwendung von KI-Lösungen läge, sagte er: „Wir wollen unseren Autoren helfen, sich künftig noch mehr auf ihre Forschung zu konzentrieren, indem wir ihnen den Großteil des Schreib- und Veröffentlichungsprozesses abnehmen.“ Mit anderen Worten: Bei Springer Nature sieht man in der (weit gehenden) Erstellung von Manuskripten mithilfe generativer KI keine Gefahr für das eigene Geschäftsmodell, sondern eine äußerst willkommene Lösung für einen sehr realen „Pain Point“ der Verlagsautor*innen. Denn für Naturwissenschaftler*innen oder Mediziner*innen bedeutet das schreibende Aufbereiten ihrer Forschungsergebnisse eine lästige Pflicht und keine Kernaufgabe – anders als bei Roman-, Sachbuch- oder Ratgeberautor*innen oder auch bei Geisteswissenschaftler*innen, bei denen es viel mehr auf den persönlichen Schreibstil und Themen-Zugriff ankommt. Mit diesem Purpose, aus dem sich der Kundennutzen sofort vermittelt, wird Springer Nature sicher auch in Zukunft für Wissenschaftsautor*innen im STM-Bereich Relevanz haben und somit weiter erfolgreich am Markt bestehen.

 

Übrigens: Ein klar formulierter Purpose, der den Beitrag des Unternehmens für eine bessere Welt auf Anhieb erkennbar macht, ist auch mit Blick auf das Employer Branding pures Gold wert. Junge Talente der GenZ und nachfolgender Alterskohorten achten schließlich immer stärker auf solche Aspekte. Wie steht es also um Ihren Purpose?

Unser Kolumnist

Nach dem Lehramtsstudium der Germanistik und Geschichte durchlief Hermann Eckel verschiedene Vertriebs­stationen beim Bärenreiter-Verlag und bei Oxford University Press und war von 2010 bis 2016 Managing Director beim Musikverlag Peters. Im Dezember 2017 übernahm er die Geschäfts­leitung bei tolino media und war dort v.a. für den Ausbau der Selfpublishing-Plattform verantwortlich. Seit November 2022 ist Hermann Eckel als selbständiger Berater, Trainer, Speaker, Moderator und Dozent tätig. Als Partner des Beraternetzwerks Heinold & Friends und als Inhaber seiner eigenen Firma connect2act begleitet er Unternehmen der Buch- und Druckbranche bei den vielfältigen Aspekten der digitalen, organisatorischen und kulturellen Transformation. Daneben engagiert er sich seit 2019 als Sprecher der IG Digital im Börsenverein.