Preisgala zum Deutschen Sachbuchpreis

"Treibstoff fürs Denken"

18. Juni 2025
Christina Busse

Ausgerechnet "Star Wars" mit der Serie "Andor" als Opener für den Deutschen Sachbuchpreis 2025? Was auf den ersten Blick sehr gewagt scheinen mag – Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda hatte kein Problem damit, einen ganz plausiblen Bogen zu schlagen. Die Preisverleihung in der Hamburger Elbphilharmonie – ein Bericht.

Erfreulicher Schreckmoment für Ulli Lust

 

"Der Tod der Wahrheit ist der ultimative Sieg des Bösen"

Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda schlug den Bogen von intergalaktischer Rebellenallianz und Lichtschwertern, von Science-Fiction hin zu aktueller Non-Fiction. Schon in der originalen "Star Wars"-Trilogie sei die Rede von einer Diskrepanz zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was wahr ist, führte Brosda aus.

"Der Tod der Wahrheit ist der ultimative Sieg des Bösen", zitierte er in seiner Eröffnungsrede und zog den Vergleich zum Hier und Jetzt, in dem "das größte Megafon" die Wahrheit für sich reklamiere: "Es ist eine Strategie der Populisten, die ehemals demokratische Öffentlichkeit so zu fluten, dass niemand mehr sagen kann, was stimmt und was nicht." Als Gegenmittel helfe mehr Dialog, mehr Raum für Austausch, mehr Vielfalt. Sachbücher mit ihren Fakten und Erkenntnissen könnten dafür einen fundamentalen Beitrag leisten und Debatten anstoßen, in denen aus der Vielheit von Stimmen und Perspektiven eine Wahrheit entstünde.

Unter dem Motto "Lesen. Denken. Reden." nahmen am Dienstagabend rund 300 Gäste an der virtuos orchestrierten Feier für das Sachbuch teil: An einem der herausragendsten Orte der Stadt, in der Hamburger Elbphilharmonie, wurde der Sachliteratur der rote Teppich ausgerollt. Während sich an der Hafenkante die Sonne noch in der glänzenden Außenfassade spiegelte hatte sich unter dem markant geformten Dach die Buchbranche in gespannter Erwartung versammelt. Bereits eine Stunde vor dem Start der Preisgala kam man mit großem Hallo zusammen: Autorinnen und Autoren, Vertreter:innen aus Verlagen und Buchhandlungen, Medienleute und viele weitere kulturaffine Menschen, denen Wissensvermittlung und fundierte Meinungsbildung am Herzen liegen. Denn genau das soll der Deutsche Sachbuchpreis, den die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels jetzt zum fünften Mal vergeben hat, in den Fokus rücken: Den unermesslichen Wert von Sachbüchern als Impulsgeber für den öffentlichen Diskurs.

Power to the artist

234 Bücher hatte die Jury begutachtet

Dass die Leserschaft dabei vor eine große Auswahl gestellt wird, zeigt schon allein die Anzahl der Titel, die die Jury für den Sachbuchpreis 2025 in Augenschein genommen hat: Genau 234 Bücher habe die siebenköpfige Kommission begutachtet, berichtete Juryvorsitzende Patricia Rahemipour, die am Institut für Museumsforschung, Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin tätig ist. Ein kurzer Film gab einen unterhaltsamen Einblick in die Arbeit, die die Jury zu bewältigen hatte. Neben den allgemeinen Bewertungskriterien wie Relevanz des Themas, erzählerische Kraft des Textes, allgemein verständliche Sprache sowie Qualität der Recherche gab es ganz individuelle Herangehensweisen und Entscheidungsmerkmale, die zu den jeweiligen Titelfavoriten führten. Bis man sich in intensiven Diskussionen auf die acht nominierten Titel geeinigt hatte, sei auch viel "Trauerarbeit" zu leisten gewesen, bedauerte Rahemipour in Hinblick auf starke Titel, die nicht konsensfähig waren.

Im Gespräch mit Katty Salié, die das ZDF-Kulturmagazin "aspekte" präsentiert und charmant durch die Preisverleihung führte, hob Rahemipour hervor, dass Sachbücher "Treibstoff fürs Denken" seien, die heute endlich mehr Aufmerksamkeit bekämen. Das konnte Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, ganz praktisch untermauern: "Das Sachbuch trotzt der Informationsflut mit einem Umsatzwachstum von knapp drei Prozent im vergangenen Jahr und es begegnet der Komplexität der Gegenwart mit Klarheit, Tiefgang, Verbindlichkeit und Haltung."

Moderatorin Katty Salié auf der Bühne, hinter ihr auf der Leinwand, die Cover der nominierten Bücher

Fragen der heutigen Zeit

In den nominierten Titeln spiegeln sich die Fragen der heutigen Zeit wider: Welche Auswirkung hat die Digitalisierung auf den globalen Süden? Welchen Stellenwert haben Kinder in unserer alternden Gesellschaft? Müssen wir wieder lernen, mit dem Krieg umzugehen? Wie können Pflanzen den Klimawandel aufhalten? Wie ist der Blick auf Ost und West in Deutschland? Was kann Victor Hugos Wirken uns heute sagen? Warum ist die perfekte Maschine eine Illusion? Muss die Geschichte der Frauen neu geschrieben werden? In filmischen Beiträgen kamen die Autorinnen und Autoren zu Wort. Was sie vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichsten Themen eint: die Leidenschaft, die sie sowohl zur intensiven Auseinandersetzung mit dem jeweilige Sujet angetrieben hat, als auch ihr Wille zum vernetzten Denken. "Das konnten wir lebhaft bei Veranstaltungen mit den Nominierten sehen, als sich die Autor:innen die Bälle nur so zuwarfen", wusste Karin Schmidt-Friderichs zu berichten.

Ich danke der Jury dafür, dass sie so mutig war, einen Comic zu nominieren – und mir den Preis sogar zu geben.

Ulli Lust

Schließlich der spannende Höhepunkt mit – gedanklichem – Trommelwirbel: Schmidt-Friderichs verkündete mit "Die Frau als Mensch. Am Anfang der Geschichte", die Gewinnerin des mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Sachbuchpreises 2025. Tosender Applaus und Jubel begleitete Comicautorin Ulli Lust auf die Bühne. "Ich danke der Jury dafür, dass sie so mutig war, einen Comic zu nominieren – und mir den Preis sogar zu geben", so die gebürtige Wienerin, die laut eigenem Bekunden seit einer Woche täglich voller Panik aufgewacht sei, weil genau diese Situation eintreten könnte.

Die Vorsteherin applaudiert

"Kriminologische Spurensuche mit vielen Leerstellen"

Eine erfolgreiche Premiere, denn erstmals kam mit diesem Titel überhaupt eine Graphic Novel in die Auswahl zum Deutschen Sachbuchpreis. Auf 250 Seiten, erschienen im Berliner Reprodukt Verlag, blickt Ulli Lust zurück auf die Frühgeschichte der Menschheit und schreibt damit die Geschichte der Frau neu. Es geht um 280.000 Jahre, die das Werden des heutigen Menschen darstellen. "Die Archäologie ähnelt einer kriminologischen Spurensuche mit vielen Leerstellen", sagte die Autorin, die sich in ihrer Recherche mit inzwischen überholten weiblichen Rollenbildern konfrontiert sah. Wissenschaft im 19. Jahrhundert habe die Frau reduziert auf "Hure oder Mutter". Ein Modell, das sich in der Literatur wiederhole: "Als Frau wundere ich mich sehr oft darüber, wie über Frauen geschrieben wurde. Die klassische Literatur ist vergleichsweise schwierig", merkte sie an. Ein Ergebnis ihrer Arbeit hob sie in Anbetracht der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Lage besonders hervor: Aggression und Konkurrenzkampf hätten für die Entwicklung der Art eine geringere Rolle gespielt, als bislang angenommen. "Empathie und ein starkes soziales Netzwerk sind unser großer Überlebensvorteil. Ohne schaut es nicht so gut aus", betonte Lust – nicht zuletzt mit einem verbalen Seitenhieb auf "die fünf Billionäre, die sich da gerade zusammenrotten, um die Weltherrschaft zu übernehmen".

Die Preisgala bewies einmal wieder: Große Bühne schafft Außenwirkung für das Sachbuch, das, auch wenn es sachlich ist, doch sehr emotional wirken kann. Der abendliche Ausklang der Veranstaltung mit Blick auf Elbe und Stadtsilhouette, bei anregenden Gesprächen und bereicherndem Miteinander, fand hoffentlich ganz im Sinne des soeben ausgezeichneten Titels statt: Starke Netzwerke und Allianzen können ein Motor für positive Entwicklungen sein.

Die Nominierten zum Deutschen Sachbuchpreis 2025 und ihre Bücher