Aus der Printausgabe BBL 51: Zum Thema Dankbarkeit

Sag mal Danke!

16. Dezember 2020
von Sabine van Endert

Die Verleger den Buchhändlern, die Buchhändler den Logistikern, die Kunden dem Sortiment – im Buchhandel haben sich während Corona alle gründlich gedankt. Wie läuft Dankbarkeit in Geschäftsbeziehungen? Ein Gespräch mit dem Ökonom Nils Goldschmidt. 

Sind die Menschen in Krisen hilfsbereiter und damit auch dankbarer als sonst?
Ja, der Zusammenhalt ist in schlechten Zeiten größer. Der Historiker Rutger Bregman hat das gerade in seinem Buch »Im Grunde gut« belegt: Menschen verhalten sich in Krisenzeiten eher hilfsbereit und kooperativ. Eine aktuelle Bertelsmann-Studie bestätigt das. Vor zwei Jahren haben noch vier von zehn Befragten der Aussage zugestimmt, die Bürger*innen würden sich nicht um ihre Mitmenschen kümmern, heute stimmen dem nur noch zwei zu. 

Spielt Dankbarkeit auch in ­Geschäftsbeziehungen eine Rolle?
Ökonomie hat auch mit Gewissen zu tun, das hat eine lange Tradition. Adam Smith hat sich schon 1759 in seiner »Theorie der ethischen Gefühle« mit der Motivation der Menschen beschäftigt, und er kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen tatsächlich ein Gespür für andere Menschen haben, dass sie empathisch sind. 

Geht es in Geschäftsbeziehungen nicht in erster Linie um Umsatzmaximierung und den viel beschworenen Homo oeconomicus?
Das Bild des Homo oeconomicus zielt nicht auf das Wesen des Menschen ab, sondern auf rationales Verhalten. Wir Ökonomen sind uns bewusst, dass Menschen nicht immer rationale Akteure sind. Nicht umsonst gewinnt die Verhaltensökonomie an Bedeutung.

Bei manchen Unternehmen denkt man eher an Gier als an Dankbarkeit. 
Das ist ein Missverständnis. Der Ökonom geht nicht von gierigen, sondern von rationalen Unternehmern aus. Gier ist pathologisch; wenn jemand um jeden Preis mehr haben will, ist das nicht rational. 

Wenn auf jedem Kassenzettel für den Einkauf gedankt wird, die Bahn uns nicht ohne Dank aus ihren Zügen entlässt oder in der Telefonschleife der Dank fürs Warten im Minutentakt eingespielt wird – ist das noch angemessen?
Wenn Dankbarkeit offensichtlich nicht ernst gemeint ist, sondern eine leere Phrase, fühlt man sich hintergangen. 

Im ersten Lockdown applaudierten die Menschen dem Krankenhauspersonal. Längerfristig waren die Schwestern und Pfleger damit nicht glücklich. 
Das war am Anfang rührend, aber irgendwann muss Dankbarkeit eine sichtbare Grundlage bekommen und in etwas münden, in diesem Fall in bessere Bezahlung. 

Worin unterscheiden sich Dankbarkeit und Danke sagen?
Sich zu bedanken ist zunächst einmal eine Kulturtechnik. Für viele Dinge bräuchte man sich in Geschäftsbeziehungen nicht zu bedanken, aber wir bedanken uns trotzdem. Oft will man einander auch in Geschäftsbeziehungen einfach eine Freude machen. 

Wenn Dankbarkeit eine leere Phrase ist, fühlt man sich hintergangen.

Nils Goldschmidt

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