Die Sonntagsfrage

Lässt sich mit Lyrik auch Geld verdienen, Frau Geist?

29. Januar 2023
von Börsenblatt

Mittagspause mit Gedichten, Lyrikautomat, Nachwuchsförderung - die Lyrikhandlung am Hölderlinturm in Tübingen bringt 2023 viel Neues an den Start. Wie ist die im März 2021 auf Lyrik und Dichtkunst spezialisierte Buchhandlung durch die Jahre gekommen? Was verbirgt sich hinter den neuen Angeboten? Lässt sich damit auch Geld verdienen? Das beantwortet Inhaberin Ulrike Geist in der Sonntagsfrage.

Ulrike Geist in ihrer Lyrikhandlung in Tübingen

Ulrike Geist in ihrer Lyrikhandlung in Tübingen

Nach zwei Jahren des Ankommens und Bekanntwerdens in Tübingen gab es schon schöne Erfolge: Fast alle Lesungen sind immer ausverkauft, der Lyrikautomat vor der Ladentür ist als niederschwelliger Zugang zur Lyrik ein beliebtes Angebot und die Auszeichnung mit dem Buchhandlungspreis schon nach so kurzer Zeit war hoch erfreulich.

Natürlich waren die letzten zwei Jahre für alle Einzelhändler und Buchhändler keine leichte Zeit, insbesondere für so ein junges Unternehmen wie das meine, das zu Corona-Zeiten startete. Aber ohne Idealismus und in meinem Falle die tiefe Liebe zur Lyrik kann es nicht funktionieren. Das ständige Schielen auf Umsätze habe ich mir bewusst bald abgewöhnt. Ich möchte mir, wie geplant, einfach die Zeit lassen, die es braucht um mit diesem Sortimentsschwerpunkt ein Stammpublikum aufzubauen, und noch habe ich durch meine journalistische und redaktionelle Tätigkeit ein kleines Zusatzeinkommen, was mich durch diese Zeit tragen kann.

Die Welt besteht nicht nur aus Fakten, oft ist sie vielmehr Interpretation.

Lyrik braucht einen eigenen Ort

Es ist keine Frage: Die Lyrik wird geschätzt und trotzdem wenig gelesen und gekauft. Und daher braucht sie mehr denn je einen eigenen Ort. Denn indem die Lektüre von Lyrik den Wunsch nach Eindeutigkeit frustriert, lehrt sie uns, den Umgang mit Mehrdeutigkeit, etwas, was wir gerade in Zeiten des Populismus wieder dringender brauchen, denn je. Die Welt besteht nicht nur aus Fakten, oft ist sie vielmehr Interpretation. Und wer ein dichterisches Kunstwerk in der Uneindeutigkeit seines Sinns und in der Flüchtigkeit seiner Wahrheitsansprüche ernst nimmt und zu verstehen versucht, wird lernen, dass es nicht die eine richtige Auslegung gibt.

In gewisser Weise ist die Lyrik ein Gegenstück zum tagtäglichen Informations-Business. Während Sachtexte oder Nachrichten Konsumartikel sind, die innerhalb weniger Minuten obsolet werden können und in denen die Sprache auf die reine Informationsvermittlung eines spezifischen Inhalts, reduziert wird, pflegt die Lyrik einen bewussten Sprachgebrauch und beansprucht überzeitliche Gültigkeit. In der Lyrik kommt die Sprache ganz zu sich selbst und sie ist nur um ihrer selbst willen da, wie so Vieles, worauf es in Wahrheit ankommt.

Gedichte als Zufluchtsort

Lyrik ist immer widerständig gegenüber dem Zeitgeist, sie vermag uns in eine Welt zu entführen, die uns vor einfachen und vereinfachenden Antworten schützen kann. Sie darf beanspruchen, Einsichten über die eigene Zeit zu vermitteln und gehört meines Erachtens zu den spannendsten Kunstformen überhaupt! Und mehr denn je braucht sie einen eigenen Ort!

Auch wenn es uns allen derzeit nicht so recht nach Kaufen und Konsum ist, so sind doch Bücher, insbesondere aber Gedichte ein immer aufsuchbarer menschlicher Zufluchtsort. Sie nehmen uns in ihre Obhut, wann immer die Welt uns Obhut versagt, leisten uns Beistand, sprechen leise mit uns, wenn uns die Geräusche der Geschäftigkeit überfluten.

Neue Angebote in der Lyrikhandlung

Mit den neuen Angeboten (Nachlese, lyrische Mittagspause) möchte ich einen niederschwelligen, auch ungestörten Zugang zur Lyrik ermöglichen, und so darf bei der sogenannten „Nachlese“ zwischen 19.00 und 22.00 Uhr völlig ungestört und ohne Kauferwartung gestöbert werden.

Die Idee hinter der „lyrischen Mittagspause“ ist der Wunsch noch mehr als zuvor die Lyrikhandlung für junge, unbekannte DichterInnen zu öffnen und lyrische Nachwuchsförderung zu betreiben. Ab diesem Sommer findet dazu zwischen 12.30 und 13.30 eine Art Poet‘s Corner auf der Terrasse vor dem Laden statt. In die gleiche Richtung geht die Bestückung des Lyrikautomaten mit den Texten junger LyrikerInnen, die noch nicht veröffentlicht haben, und so können formlos Gedichte eingeschickt werden, mit denen dann der Automat befüllt werden wird.

Und auch für ganz junge Menschen möchte ich etwas anbieten, indem ich regelmäßig SchülerInnen ab Klasse 8 zu Lyrik-Workshops einlade.

Sie sehen schon, ich bin eine unverbesserliche Überzeugungstäterin, vielleicht ist das ja das Geheimnis, damit auch die Geschäfte gut laufen können.  Und da bin ich eigentlich ganz hoffnungsvoll!