Die Sonntagsfrage

Parlamentspoetin willkommen, aber unter welchen Bedingungen?

23. Januar 2022
von Börsenblatt

Das Netzwerk Lyrik, 2017 gegründet um die Anliegen der Lyrik zu vertreten und zu koordinieren, unterstützt den Vorschlag, eine Stelle für eine Parlamentspoetin im Deutschen Bundestag einzurichten. Prinzipiell. Unter welchen Bedingungen die Lyriker*innen eine solche Position für sinnvoll halten, erklärt Tristan Marquardt, zweiter Vorsitzender des Netzwerks.

Aus zwei Gründen lohnt es sich, über die Einrichtung einer ›Poet Laureate‹ zu diskutieren. Erstens liegt dem Vorschlag die Einschätzung zugrunde, dass Poesie mit ihren Mitteln etwas zur Diskussion und Reflexion politischer und gesellschaftlicher Fragen beitragen kann. Das ist richtig. Und es ist eine Stärke der gegenwärtigen Lyrik, sich dazu mit eigenen Sprech- und Denkweisen einzubringen. Zweitens ist es begrüßenswert, dass es öffentliches Interesse an der Förderung poetischer Positionen gibt.

Beides kann Grundlage für ein sachliches Gespräch sein. Kurzzeitig wirkte es jedoch, als ob Ironie, Häme und ein erstaunlich unzeitgemäßes Lyrikverständnis die Diskussion dominieren würden. Auch wurde der Begriff ›Poetin‹ häufig im übertragenen Sinne gedeutet, von allen möglichen kreativen Tätigkeiten war die Rede. Wenn aber diskutiert wird, was andernorts die Begriffe ›Poet‹ (Kanada, USA u.a.) oder ›Dichter‹ (Belgien, Niederlande u.a.) im Titel trägt, dann sollte es auch um das gehen, was sie bezeichnen: um Lyrik. Und dann sollten beim Gespräch darüber auch Lyriker*innen einbezogen werden.

Die größte Gefahr – das bestätigt die bisherige Debatte – liegt darin, sie mit einem staatlichen ‚Auftrag‘ in Verbindung zu bringen.

Ob eine solche Position hierzulande sinnvoll sein kann, hängt von ihrer Ausgestaltung ab. Die größte Gefahr – das bestätigt die bisherige Debatte – liegt darin, sie mit einem staatlichen ‚Auftrag‘ in Verbindung zu bringen. Vielleicht sollte deshalb noch einmal über ihre Verortung nachgedacht werden. In den USA ist die ›Poet Laureate‹ nicht am Parlament selbst, sondern an der Library of Congress angesiedelt, das Geld wird privat gestiftet. Wäre das auch hierzulande denkbar? Jedenfalls zeigt der internationale Vergleich, dass die Position eingerichtet werden kann, ohne die Kunstfreiheit zu gefährden.

Wenn die Position künstlerisch interessante Perspektiven bieten soll, muss sie vor allem Möglichkeiten statt Pflichten schaffen. Die kritische Dimension der Lyrik wäre unbedingt zu betonen. Wer die Position innehat, sollte selbst entscheiden können, mit welchen Projekten sie sich in den gesellschaftlich-politischen Diskurs einbringt. Auch die Literaturinstitutionen oder der Bereich der schulischen und außerschulischen Bildung ließen sich involvieren.

Das Wichtigste scheint mir aus Sicht der Lyrik aber, die Diskussion einer Einzelposition nicht gegen den Bedarf einer breitenwirksamen Lyrikförderung auszuspielen.

Die belgische Dichterin Els Moors erläuterte mir einmal – auf meine skeptische Nachfrage –, dass die entsprechende Position in Belgien dazu diene, Brücken zwischen den verschiedenen Sprachgemeinschaften zu bauen. Die Situation in Deutschland ist eine andere, aber auch hier gibt es Brücken zu schlagen: die Vielfalt poetischer und gesellschaftlicher Stimmen sichtbarer zu machen. Damit wäre die Position sinnvoll eingesetzt.

Das Wichtigste scheint mir aus Sicht der Lyrik aber, die Diskussion einer Einzelposition nicht gegen den Bedarf einer breitenwirksamen Lyrikförderung auszuspielen. Es gibt aktuell zu wenige spezifische Förderinstrumente für die Lyrik und sie sind kaum auf ihre vielfältigen Erscheinungsformen abgestimmt. Das Netzwerk Lyrik hat hierfür mit dem Konzept für einen Lyrikfonds konkrete Vorschläge. Auch darüber lohnt es sich, ins Gespräch zu kommen.