Buchblog-Award

„Oft unterschiedlicher Meinung“

27. November 2020
von Nils Kahlefendt

Mit ihrem Podcast „Ich lese was, was du auch liest“ haben Fabienne Imlinger und Martina Kübler den Buchblog-Award 2020 in der Kategorie „Bester Newcomer“ gewonnen. Im Interview sprechen sie über den derzeitigen Podcast-Boom, ihre Vorliebe für Bücher und Autorinnen jenseits des Mainstreams und ihr Verhältnis zur institutionellen Literaturkritik.

Gab es ein Initialerlebnis, das sie zum Buchbloggen gebracht hat? Und was führte dann zum Start Ihres Podcasts? 
Martina Kübler: Es war so, dass ich während meines Studiums Teil eines Buchclubs war, in dem wir wöchentlich ein Buch gelesen und dann darüber diskutiert haben. Für mich ergab sich durch diese Art des gemeinsamen Lesens ein so großer Mehrwert gegenüber dem Lesen allein – wo man ja oft fast ein bisschen ratlos und einsam ist mit seinen Eindrücken – dass ich daran anknüpfen wollte. Und da ich Fabiennes Meinung meistens als erstes einhole, wenn ich ein neues Buch gelesen habe, und darüber hinaus ihre Meinung sehr schätze, habe ich sie einfach kurzerhand gefragt, ob wir das nicht aufzeichnen wollen. Und sie hat ohne zu zögern „Ja, ich will!“ gesagt!

Was zeichnet Ihren Podcast aus? 
Fabienne Imlinger: Wir sprechen unverkrampft über anspruchsvolle Literatur. Außerdem wählen wir bewusst Bücher von Autorinnen und nicht-weißen Autor*innen aus, denn die sind unserer Meinung nach meistens sowohl ästhetisch als auch thematisch am interessantesten. 

Wie bereiten Sie Ihre Folgen vor, wie gehen Sie mit unerwarteten Wendungen oder Pannen um?
MK: Wir bereiten die Folgen meist durch die intensive Lektüre des Buches vor, also mit Stift, Eselsohren und Post-it-Zettelchen. Natürlich recherchieren wir auch ein wenig Hintergrundinformationen zu den Autor*innen und lesen ein paar Rezensionen. Wir haben gemerkt, dass es uns leichter fällt, über ein Buch unvoreingenommen und kontrovers zu diskutieren, wenn wir vor allem von unseren persönlichen Leseeindrücken ausgehen.

FI: Zum Glück hatten wir bisher erst eine technische Panne. Das ging dann aber so richtig in die Hose! Es war bei der Aufzeichnung der Folge zu „Gringo Champ“. Die Batterie in meinem Aufnahmegerät hatte bei Minute 7 den Geist aufgegeben, ich habe es aber erst gegen Ende unseres Gesprächs gemerkt. Da lagen dann kurz die Nerven blank! Ich hab’ mich wahnsinnig geärgert, aber Martina hat es zum Glück ziemlich entspannt gesehen. Wir mussten dann die Folge nochmal komplett neu aufnehmen, was überraschend spannend war. Ansonsten kann ich nur sagen: Anders als im echten Leben kann man beim Podcasten wegschneiden so viel man will!  

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Entwicklung Ihres Podcasts ausgewirkt?
FI: Per Videotelefonie miteinander zu sprechen hat nicht nur technisch ein paar Stolpersteine mit sich gebracht. Es war auch ungewohnt, dass wir uns nicht mehr in unserem DIY-Studio zur Aufnahme treffen konnten: in Martinas Wohnung dicht nebeneinander auf dem Teppich sitzend, das Aufnahmegerät in einem Ordner mit Schaumgummi platziert. Das Gespräch selbst hat dann aber erstaunlich gut funktioniert, wahrscheinlich weil wir uns einfach schon gut kennen und auch das Podcasten nicht mehr ganz neu für uns war. Nur beim Dazwischen-Quatschen mussten wir noch disziplinierter sein als sonst.

Sie scheinen ein Faible für Autorinnen aus anderen Sprachräumen zu haben, ebenso für Bücher aus unabhängigen Verlagen - eine lohnende Nische in der Blogger- und Podcast-Szene? 
FI: Wir haben uns im Vorfeld nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht was eine lohnende Nische für uns wäre. Die Entscheidung für ein Buch richtet sich meistens danach, worauf wir beide Lust haben oder was wir ohnehin lesen wollten. Aber es ist uns natürlich auch ein Anliegen, mit unserem Podcast zur Sichtbarkeit von Büchern oder Verlagen beizutragen die vielleicht in etablierten Formaten weniger Airtime kriegen.

Ihre Folgen dauern rund 50 Minuten, Sie lassen sich sehr intensiv mit den zu besprechenden Titeln ein, die durchaus auch mal sperrige Kost sein können. In den öffentlich-rechtlichen Medien geht der Trend seit Jahren immer stärker zur Häppchen-Kultur. Was haben Sie den linearen Programmen voraus? 
MK: Wir haben gemerkt, dass es in der Buch-Community – egal ob in den öffentlich-rechtlichen Medien oder in der digitalen Community – an Leseinspiration eigentlich nicht mangelt. Überall findet man Empfehlungen und Beststellerlisten, etwa auf Instagram-Kanälen Fotos mit Book-Hauls. Eher selten ist hingegen ein ausführlicher und literaturwissenschaftlich informierter Austausch über Bücher, die man bereits gelesen hat. Und genau das möchten wir in unserem Podcast bieten, sozusagen eine weniger verstaubte Mischung aus Uni-Seminar, literarischem Quartett und informellem Austausch mit Freund*innen.

Die Branche dreht sich immer schneller, die Titel müssen rasch ‚funktionieren‘ - Sie scheinen der Maxime zu folgen, dass gute Bücher kein Verfallsdatum kennen. Stimmt der Eindruck? 
FI: Wir sind nicht aus Prinzip auf Gegenwartsliteratur abonniert, sondern wählen die Titel nach unseren Vorlieben oder aus Neugier aus – eine Freiheit, die wir auch deshalb haben, weil wir den Podcast nicht kommerziell betreiben. Wir hoffen, dass unsere Hörer*innen mit uns Bücher entdecken oder noch einmal lesen und dabei durch unsere Perspektiven möglicherweise einen anderen Blick auf ein Buch bekommen. Tatsächlich haben wir auch schon überlegt, ob wir nicht auch mal Klassiker besprechen sollen – das nehmen wir demnächst in Angriff!

Wie ist Ihr Verhältnis zur institutionellen Literaturkritik?
MK: Es gibt natürlich solche und solche. Schade ist es schon, dass gerade das deutschsprachige Feuilleton oft alte, weiße, meist europäische oder US-amerikanische Autoren bespricht. Aber zum Glück gibt es ja mittlerweile Alternativen, vor allem online.

Was halten Sie von Verrissen? 
MK: Wir halten nichts von Verrissen um des Verrisses Willen. Dass jede*r von uns ein Buch finden kann, das so gar nicht dem eigenen Geschmack entspricht, geschenkt - dafür gibt es ja Vielfalt. Wir sind den von uns besprochenen Büchern grundsätzlich wohlgesonnen und wollen sie gut finden, und wenn wir dies nicht tun, versuchen wir, dass unsere Argumente inhaltlich gut begründet und nachvollziehbar sind. Und oft sind wir auch SEHR unterschiedlicher Meinung!

Fühlen sie sich von den Verlagen ausreichend wahrgenommen? 
MK: Wir sind ja erst seit Anfang des Jahres 2020 dabei. Aber gerade durch den Buchblog-Award sind schon einige auf uns aufmerksam geworden, worüber wir uns sehr freuen.

Was schätzen sie am Podcast-Format, wo könnte die Entwicklung des Mediums mittelfristig hingehen? 
MK: Es ist schon krass, dass mittlerweile fast jede*r Podcasts hört - ein Medium, das es vor zehn Jahren überhaupt nicht gab! Und dass die Leute plötzlich wieder so viel Freude am Hören haben. Was wir am Podcasten besonders toll finden ist der Fokus aufs Gespräch. Miteinander Reden und einander aufmerksam Zuhören ist in der heutigen Zeit vielleicht wichtiger denn je, und das Format Podcast kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. 

Was sind Ihre favorisierten Buchblogs bzw. Buchkanäle? 
MK: 54Books (https://www.54books.de)und Nacht und Tag - Literaturblog (https://nachtundtag.blog).

FI: Analphabeten und Literaturpalast (https://www.literaturpalast.at).

Fabienne Imlinger ist als Literaturwissenschaftlerin an der LMU München tätig, wo sie im Bereich der Gender Studies und der Postkolonialen Studien lehrt und forscht. Sie begeistert sich auch jenseits der Universität für Kultur- und Wissensvermittlung, zuletzt verfasste sie etwa einen Beitrag für den Audioguide von Potsdam Postkolonial. Bevor sie den Podcast mit Martina Kübler begann, folgte sie auf Instagram hauptsächlich Tätowierer*innen. 

Martina Kübler studierte Anglistik, Wirtschaftswissenschaften und Pädagogik in München und Heidelberg. Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für englische Philologie der LMU München, wo sie 2020 mit einer Arbeit über Männlichkeit und Behinderung in der anglo-amerikanischen Literatur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts promoviert wurde. Wenn sie sich nicht in literarische Welten flüchtet, ist sie gerne im Internet oder in der Natur unterwegs: insbesondere stellt sie auf ihren regelmäßigen Radtouren immer wieder fest, dass die optimale Anzahl an Fahrrädern wohl stets x+1 ist.