Offener Brief der Bibliotheken

„Verlage verweigern die E-Book-Ausleihe“

22. Januar 2021
von Börsenblatt

Über 600 Bibliotheken fordern in einem Offenen Brief den Zugang zu E-Books. Geht es nach dem Willen der Büchereien, sollen die gleichen Regeln wie für gedruckte Bücher gelten.

Der digitale Zugang sei gerade in Zeiten von Corona und geschlossenen Bibliotheksgebäuden oft die einzige Möglichkeit für Bürger*innen, an Bücher, Informationen und Medien heranzukommen. Doch beim sogenannten „E-Lending“ – also der temporären Bereitstellung einer Nutzungslizenz für ein elektronisches Buch – werde den Bibliotheken ein Riegel vorgeschoben. 70 Prozent der E-Book-Titel der Spiegel-Bestsellerliste (Belletristik und Sachbücher) würden Bibliotheken bis zu einem Jahr lang vorenthalten, beklagen sich die Bibliotheken – aber nicht bei den Verlagen, sondern den Abgeordneten des Bundestages.

In einem Offenen Brief, den bislang bereits über 600 Bibliotheksleitungen unterschrieben haben, fordert der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv) die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nun auf, sich für neue Regeln einzusetzen. „Das seit Jahren fehlende Verleihrecht für E-Books im Urheberrecht höhlt die Kultur- und Bildungsinfrastruktur der Öffentlichen Bibliotheken aus. Anlässlich des aktuell vorliegenden Gesetzentwurfes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes ist es daher unerlässlich, endlich eine entsprechende gesetzliche Regelung aufzunehmen, so Andreas Degkwitz, Bundesvorsitzender des dbv.

Das fordern die Bibliotheken:

 

1.            E-Books sollen dem gedruckten Buch in allen Bereichen rechtlich gleichgestellt werden – wie dies bereits bei der reduzierten MwSt. und der Buchpreisbindung erzielt wurde – so auch beim E-Lending. Dafür aber wäre eine Aktualisierung des Urheberrechtsgesetzes nötig.

2.            Die Bibliothekstantieme soll auf elektronische Werke ausgeweitet werden, damit Autor*innen auch für das E-Lending wie bei gedruckten Büchern angemessen vergütet werden. Im Gegenzug dazu solle den Bibliotheken die gleichen Nutzungsrechte für elektronische, wie für gedruckte Werke eingeräumt werden.  

Die Kampagne trägt den Hashtag #BuchistBuch.

E-Book = Buch?

Zwischen Börsenverein, DBV, VS und VG Wort laufen bereits seit längerem Gespräche über die Frage, wie man eine Lizenzierung für E-Books regeln könnte. Viele Verlage sehen - im Gegensatz zu den Bibliotheken, denen es auf die Vergrößerung ihres Angebots ankommt - erhebliche Unterschiede beim Geschäft mit E-Books im Vergleich zum gedruckten Buch.

Hier der Offene Brief im Wortlaut

Berlin, im Januar 2021

Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

der freie Zugang zu Wissen und Information, unabhängig von Bezahlschranken, ist ein Grundrecht Ihrer Wähler*innen. Da aber E-Books in Bibliotheken von diesem Grundrecht Ihrer Wähler*innen ausgenommen sind, ist es hochgradig gefährdet. Anlässlich des geplanten Gesetzentwurfes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes ist es deshalb unerlässlich, endlich eine entsprechende gesetzliche Regelung dort aufzunehmen.

Hier der Hintergrund:

Schon immer stehen Öffentliche Bibliotheken überall – auch in Ihren Wahlkreisen – für einen ungehinderten Zugang zu Medien und Information. Sie garantieren die Teilhabe aller Bürger*innen an Bildung, Kultur und Wissen unserer Gesellschaft.

Doch die Erfüllung und Wahrnehmung dieser Aufgabe ist grundlegend in Gefahr.

Durch Corona wird der sukzessive Wandel der Medienwelt sowie die Bedeutung digitaler Teilhabe wie unter einem Brennglas unmittelbar deutlich. Immer mehr Bücher werden heute als E-Book digital veröffentlicht und gelesen. Der digitale Zugang ist derzeit oft die einzige Möglichkeit für Bürger*innen, an Bücher, Informationen und Medien heranzukommen. Bibliotheken müssen auch mit digitalen Angeboten ihrer Aufgabe nachkommen und ihre Nutzer*innen in geeigneter Weise versorgen. Doch wer derzeit in Öffentlichen Bibliotheken die aktuellen Titel der Bestsellerlisten als E-Book ausleihen will, bleibt häufig erfolglos.

Das Beispiel der „Spiegel“-Bestsellerliste für Sachbücher zeigt dies: Derzeit verweigern die Verlage den Bibliotheken 70% der neu erscheinenden E-Books für die Ausleihe. Lizenzen für die Ausleihe werden häufig erst nach monatelanger Wartezeit, oftmals auch gar nicht eingeräumt. Vor vielen Jahren hat die deutsche Politik ihren Bürger*innen den freien Zugang zu gedruckten Büchern durch ein Verleihrecht für Bücher in Bibliotheken gesichert. Aber dieses Recht gilt nicht für E-Books. Obwohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den Bibliotheken das Recht zur Ausleihe von E-Books nach denselben Regelungen wie für gedruckte Bücher zugesteht, legt die derzeitige Bundesregierung dem Bundestag eine Novellierung des Urheberrechts zur Beratung vor, die erneut keine Rechtsgrundlage für die Ausleihe von E-Books schafft, und das trotz jahrelanger Diskussion und Zusagen.

Das öffnet dem Ausschlussverhalten der Verlage gegenüber den Öffentlichen Bibliotheken weiter Tür und Tor. Die Verlage brechen zunehmend die seit Jahrzehnten für beide Seiten bewährten Spielregeln zur Ausleihe von Büchern. Wer den Bibliotheken 70% der digitalen Neuerscheinungen aus der Spiegel-Bestsellerliste für die Ausleihe verweigert, trocknet systematisch die öffentliche Infrastruktur zur Teilhabe an Wissen und Information aus. Dabei haben die Bibliotheken seit mehr als zehn Jahren demonstriert, wie die Ausleihe der E-Books nach den gleichen Regeln wie für die gedruckten Werke durchgeführt wird: Jedes E-Book wird zeitgleich und befristet nur so oft verliehen, wie Lizenzen dafür erworben wurden (one copy, one loan). Autor*innen und Verleger*innen sollen dafür über eine gut ausgestattete Bibliothekstantieme angemessen vergütet werden.

Entgegen der oftmals von Verlegerseite vertretenen Auffassung wird der Verkauf von E-Books durch E-Lending nicht eingeschränkt - im Gegenteil: Der E-Book-Kauf wird sogar angereizt. Dies belegt auch die vom Börsenverein in Auftrag gegebene GfK-Studie zur Onleihe (Studie zur Onleihe 2019: Wer leiht was in Bibliotheken und insbesondere online? Ein 360°-Blick auf die Onleihe, www.boersenverein.de/markt-daten/marktforschung/studien-umfragen/studie…): Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten kaufen, seit sie die „Onleihe“ nutzen, genauso oft oder sogar mehr gedruckte Bücher oder E-Books (55% bei gedruckten Büchern, 53% bei E-Books). Darüber hinaus kaufen 18% der „Onleihe“-Nutzer*innen sogar noch mehr E-Books, seitdem sie diese nutzen.

Bibliotheksnutzer*innen gehören zu den aktivsten Käufer*innen am Buchmarkt – sowohl bei gedruckten Büchern als auch bei E-Books. Die Ausleihe von E-Books ermöglicht Bürger*innen den Zugang zu aktueller Literatur, die sich den Kauf von Literatur nicht leisten können. Der Buchhandel wird dabei ebenso wenig beschädigt wie bei der Ausleihe gedruckter Bücher.

Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages: Der geplante Gesetzentwurf zur Novellierung des Urheberrechtsgesetzes macht die Bibliotheksnutzer*innen unter der Bevölkerung Ihrer Wahlkreise zu Leser*innen „Zweiter Klasse“. Zugleich wird die kommunale Kultur- und Bildungsinfrastruktur der Öffentlichen Bibliotheken ausgehöhlt. Sorgen Sie durch die dringend erforderliche Korrektur im Gesetzgebungsverfahren für einen ungehinderten Zugang Ihrer Wähler*innen zu Wissen und Information und setzen Sie sich für das verbriefte Recht der Bibliotheken ein, ihren umfassenden Auftrag auch durch die Ausleihe von E-Books genauso wie für gedruckte Bücher zu erfüllen! Die Bibliotheksnutzer*innen Ihrer Wahlkreise werden es Ihnen danken.

Mit freundlichen Grüßen

Die Erstunterzeichner*innen:

  • Prof. Dr. Andreas Degkwitz, Bundesvorstandsvorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv)
  • Marion Mattekat, Bundesvorstandsmitglied des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv)
  • Elisabeth Sträter, Bundesvorstandsmitglied des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv)
  • Petra Büning, Bundesvorstandsmitglied des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv)
  • Petra Hätscher, Bundesvorstandsmitglied des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv)
  • Dr. Jochen Johannsen, Bundesvorstandsmitglied des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv)
  • Frank Scholze, Bundesvorstandsmitglied des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv)
  • Barbara Schleihagen, Bundesgeschäftsführerin, Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv)
  • Volker Heller, Generaldirektor der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin
  • Dr. h.c. (NUACA) Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • André Schmitz, Staatssekretär a.D. und Vorsitzender der „Freunde der Staatsbibliothek e.V.“
  • Prof. Dr. Thomas Bürger, Generaldirektor a.D., Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden
  • Dr. Michael Knoche, Direktor a. D., Herzogin Anna Amalia Bibliothek - Klassik Stiftung Weimar
  • Dr. Sabine Homilius, Leiterin, Stadtbücherei Frankfurt am Main
  • Dr. Jan-Pieter Barbian, Direktor, Stadtbibliothek Duisburg
  • Frauke Untiedt, Bibliotheksdirektorin, Bücherhallen Hamburg
  • Barbara Lison, Direktorin, Stadtbibliothek Bremen und nominierte IFLA-Präsidentin
  • Dr. Carola Schelle-Wolff, Direktorin, Stadtbibliothek Hannover
  • Meheddiz Gürle, Direktor, Stadtbücherei Bochum
  • Anja Flicker, Direktorin, Stadtbibliothek Essen
  • Oke Simons, Direktor, Büchereizentrale Schleswig-Holstein
  • Silke Niermann, Geschäftsführerin, Stadtbibliothek Gütersloh GmbH
  • Dr. Arne Ackermann, Direktor, Münchner Stadtbibliothek
  • Cordula Gladrow, Direktorin, Stadtbibliothek Wuppertal
  • Danilo Vetter, Fachbereichsleitung, Stadtbibliothek Berlin-Pankow
  • Marion Überschaer, Leiterin, Stadtbibliothek Göttingen
  • Johannes Borbach-Jaene, Direktor, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund
  • Susanne Metz, Amtsleiterin, Leipziger Städtische Bibliotheken
  • Frank Wiederhold, Bibliotheksleiter, Stadtbibliothek Siegen
  • Brigitte Behrendt, Leiterin, Stadtbibliothek Mönchengladbach
  • Ingrid von der Weppen, Leiterin, Stadtbibliothek Herne
  • Dr. Eberhard Kusber, Direktor, Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt
  • Dr. Norbert Kamp, Institutsleiter, Stadtbüchereien, Landeshauptstadt Düsseldorf
  • Dr. Andreas Teichert, Amt für Kultur und Weiterbildung, Stadtbücherei Kiel
  • Martina Dannert, Bibliotheksleitung, Stadtbibliothek Osnabrück
  • Katinka Emminger, Direktorin, Stadtbücherei Stuttgart
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