Independent-Verlage

„Was trinken wir? Alles!“

23. März 2024
von Nils Kahlefendt

In Leipzig feierte man die Verleihung des Kurt-Wolff-Preises an Britta Jürgs (AvivA) und Nikola Richter (mikrotext). Harsch kritisiert wurde, dass eine strukturelle Verlagsförderung ein Jahr vor Ende der Legislatur in nebulöse Ferne gerückt ist – woran nicht nur der Bund Schuld trägt.

Im wie immer brechend gefüllten Forum Die Unabhängigen wurde am Messefreitag traditionell der Kurt-Wolff-Preis vergeben: Der mit 35.000 Euro dotierte Kurt-Wolff-Preis 2024 geht an den AvivA Verlag, der seit einem Vierteljahrhundert unter der Leitung von Britta Jürgs mit nicht nachlassender Energie und großem Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung bringt. Der mit 15.000 Euro dotierte Kurt-Wolff-Förderpreis 2024 geht an den Verlag mikrotext, in dem die Verlegerin Nikola Richter seit 2013 mit einem originellen Mix aus Hardcover, Paperback, Taschenbuch, E-Book und Podcast Kurzprosa und Roman, Reportage und Reflexion, Essay und Songtext, Lyrik und Soziale-Medien-Dichtung zusammenführt und so die Gegenwartsfähigkeit der deutschsprachigen Literatur befördert.

Ihre so kurzweilige wie pointierte Laudatio nutzte die Verlegerin, Autorin und Übersetzerin Zoë Beck, die erst vor ein paar Tagen mit der Trägerin des Förderpreises verwechselt worden war („Sie sind doch die ähm, na, Mikrotext-Frau, ach nee! Sorry … aber Sie waren ja auch eine von denen …?!“), um überkommene, aber immer noch wirkmächtige Geschlechter-Klischees der Branche aufzuspießen. „Liebe Britta, liebe Nikola, danke, dass ihr nicht tut, was von euch erwartet wird“, sagte Beck, „denn dadurch seid ihr Vorbilder, Weggefährtinnen, Verbündete und Vertraute in dieser Branche, in der zwar Frauen in der Überzahl sind, die in entscheidenden Positionen aber doch oft genug wieder ganz konventionell, ganz traditionell, ganz formell männlich dominiert ist, mit allen Ritualen, die dazugehören, mit allen Filtern und Schlagwörtern und Algorithmen, die Erfolg definieren wollen.“

Auf der Agora des Indie-Headquarters der Buchmesse skizzierte Beck stattdessen die wahren Erfolgsgeschichten der beiden Kolleginnen. In jene von Nikola Richter kann sich die Laudatorin besonders gut einfühlen, bildete sie doch (nach der fast parallelen Gründung von CulturBooks mit Jan Karsten) gemeinsam mit Richter und Christiane Frohmann in der Medien-Wahrnehmung die „drei Damen vom Digitalgrill“, gern genommen als Zeitgeistphänomen – „bevor man sich am Ende noch mit den verlegten Texten beschäftigen muss“. Ja, ja: Der Trend is your Friend. Auch der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich noch an Sammelporträts und kippt sich ein Sektgläschen Asche aufs Haupt.

Aviva-Verlegerin Britta Jürgs (rechts) mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Der Bundespräsident kam im Lauf der Messe ebenfalls vorbei. Aber das ist eine andere Geschichte

Auch bei Aviva, so die Laudatorin, wurden und werden Schätze gehoben, nach denen zu graben einer rein auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Verlagsgruppe nicht wichtig wäre, oder zu mühsam, oder gerade nicht genug im Trend: „Literatur aus einer chaotischen, teils faszinierenden, häufig entsetzlichen, für unsere Gegenwart noch immer höchst wichtigen Zeit, aus den 1920er und 30er Jahren, dazu noch von Frauen, über Frauen, Frauen, die vergessen wurden oder die zu ihrer Zeit schon unbequem und, naja, einfach nicht konventionell genug waren, nicht brav den Herren zugearbeitet haben, damit diese sich den Ruhm anheften konnten, jüdische Frauen, die aus bekannten Gründen keine Stimme hatten, haben durften.“

Romane, Biografien, Feuilletons, Reiseberichte: In 26 Jahren ist die Backlist des in einer parkettknarzenden Altbauwohnung in Moabit residierenden Verlags auf rund 120 Titel angewachsen, pro Jahr kommen rund acht neue dazu. So ist, wie es in der Jurybegründung zum Kurt Wolff Preis heißt, „quer durch die Epochen, Kontinente und Genres eine kleine Universalbibliothek entstanden“. Ein Satz, über den sich Britta Jürgs verständlicherweise besonders freut. 

Aufzeichnung der Preisverleihung

Same procedure as every year: Normalerweise liegt man bei Grußworten damit richtig. Merlin-Verlegerin Katharina E. Meyer, Vorstandsvorsitzende der Kurt Wolff Stiftung, musste diesmal eine weitere Verschlechterung der Situation vieler Indie-Verlage konstatieren: „Ein Jahr vor Abschluss der Legislaturperiode hat sich unsere Hoffnung, dass sich aus dem Prüfauftrag für eine strukturelle Verlagsförderung, den sich die Koalition in ihrem Koalitionsvertrag selbst auferlegt hat, noch etwas Konstruktives ergibt, zerschlagen“, so Meyer. „Stattdessen herrschen bei uns Enttäuschung und Verzweiflung.“

Dass der Bund nach Wumms, Doppel-Wumms und allerhand Bazookas schlicht kein Geld mehr zu verteilen hat, ist nur die eine Seite des Problems: Als weitaus ernsterer Bremsklotz erweist sich das fehlende Engagement der meisten Länder. „Man besteht zwar darauf, dass Kultur Ländersache ist – dabei haben gerade mal drei Bundesländer ein eigenes Kulturministerium, davon zwei Stadtstaaten.“  Da man die Feste aber bekanntlich feiern soll, wie sie fallen, wird in Leipzig – trotz aller Rückschläge – kräftig auf die Preisträgerinnen des Jahres 2024 angestoßen. Ein extra Motto brauchen wir dafür nicht, nutzen aber einen Buchtitel aus dem AvivA Verlag: „Was trinken wir? Alles!“.

Katharina Meyer