Bodo von Hodenberg auf Marktforschungstour

Wie geht es den Favoriten?

9. August 2023
von Nils Kahlefendt

Das Ende der Bücher halten wir nicht durch immer neue Unkenrufe auf, findet der Restauflagen-Profi Bodo von Hodenberg. Mit seiner 2020 gegründeten Favoritenpresse produziert er Bücher, die er selbst als Sortimenter gern verkauft hätte – und verleiht einigen seiner Schätzchen ein zweites Leben. Ein Sommerbesuch.

Independent-Verleger Bodo von Hodenberg (Favoritenpresse) mit dem ersten neuen Titel der Favoritenpresse:  Octave Uzannes „Das Ende der Bücher“, ein Text von 1894, neu illustriert. 

Neulich, in Regensburg, in einer kleinen Buchhandlung, die er zuvor nicht auf dem Schirm hatte, wurde Bodo von Hodenberg warm ums Herz: „Sie haben doch das Voynich-Manuskript gemacht!“ redete sich der Sortimenter nach der Begrüßung in Schwung. „Ich hab’s noch nie verkauft! Aber es steht da – und ich find’s großartig!“ In den Ohren eines Experten für Restauflagen, der seit drei Jahren mit seiner eigenen Favoritenpresse am Start ist, muss das nicht unbedingt wie Musik klingen.

Wenn man drei Mal in eine Buchhandlung kommt, und es heißt: Bitte melden Sie sich schriftlich an – dann muss man erst mal einen Kaffee trinken, um sich auf die vierte vorzubereiten.

Als Einkäufer für den Versender Frölich & Kaufmann hatte es von Hodenberg ja in der Regel mit Büchern zu tun, die im ersten Leben gefloppt waren. Hier, in Regensburg, als Jungverleger auf der Pirsch, ist er zur Euphorie entschlossen. Wenn von Hodenberg in den Urlaub fährt, nimmt er sich Zeit: Er stoppt in Nürnberg, Regensburg, Landshut und anderen hübschen Orten, bleibt in all diesen Städten auch über Nacht – um Buchhandlungen zu besuchen. Zwar ist mit Jessica Reitz (buchArt) auch eine Vertreterin für ihn unterwegs, doch auf die eigene Okularinspektion, den Austausch mit den Damen und Herren an der Ladentheke, will er nicht verzichten: Was liegt da wie Blei? Was geht gut? Und überhaupt: Wie ist die Stimmung?

Von Hodenberg meldet sich nicht an, folgt dem Zufallsprinzip. Mancher findet das übergriffig. „Dann gehe ich natürlich“, sagt von Hodenberg, „und das ohne jeden Groll. Wenn man drei Mal in eine Buchhandlung kommt, und es heißt: Bitte melden Sie sich schriftlich an – dann muss man erst mal einen Kaffee trinken, um sich auf die vierte vorzubereiten.“ Für von Hodenberg, der das Handeln mit Büchern ein Vierteljahrhundert aus den unterschiedlichsten Perspektiven betrachtet hat, überwiegen die positiven Vibes dieser niederschwelligen Marktforschung mit Abstand.

Favoritenpresse: 100 Titel in 3 Jahren

Die Idee hinter der Favoritenpresse war, auf eine simple Formel gebracht, für von Hodenberg: „Endlich die Bücher produzieren, die ich als Einkäufer von Frölich & Kaufmann gesucht habe.“ Nicht alles ließ sich umsetzen, dass es in rund drei Jahren immerhin an die 100 Titel geworden sind, überrascht den Gründer dann doch. Der bezeichnet sich selbst als „Bücherfanatiker“ und hat – bis auf einen Ausflug in die Schuhwelt – immer mit Büchern gearbeitet.

Von Hodenberg hat sich selbst eher als Händler, nicht als Verleger gesehen. Und verbrachte dann doch schlaflose Nächte mit der Suche nach einem geeigneten Verlagsnamen. Schlussendlich half nicht Grimms Wörterbuch, sondern der Stadtplan von Wien, wo er sich regelmäßig aufhält – seine Schwester wohnt dort, auch die Freundin ist Österreicherin. „Favoriten“ also als im Doppel-Sinn: Referenz an den zehnten Gemeindebezirk der Ösi-Hauptstadt. Und an die eigenen Buch-Lieblinge.

Liebeserklärung statt Abgesang

Die allererste ISBN ging an „Komm, mein Mädchen, in die Berge“, einen Titel, der schon im kleinen Verlag für Bildschöne Bücher erschienen war, mit dem von Hodenberg zwischen 2005 und 2010, parallel zur Website 25books.com, Fotobücher produzierte – Hannes Wanderer (1958-2018) hatte Plattform und Ladenlokal in der Berliner Brunnenstraße danach übernommen. „Komm, mein Mädchen, in die Berge“ basiert auf einem Flohmarktfund: Ein Paar, das sich über 30 Jahre vor wechselnden alpinen Kulissen fotografiert, von den frühen Fünfzigern bis in die Achtziger; 42 Fotos aus einem Bestand von 3000, eine Hommage an die Liebe. Erster neuer Titel war Octave Uzannes „Das Ende der Bücher“, ein Text von 1894, frisch illustriert. „Der Mensch, dieses ewige große Kind, wird auf Bilder nicht verzichten“, heißt es da programmatisch, „und Abbildungen jener Dinge sehen wollen, die er sich vorstellt oder von denen man ihm erzählt.“ Uzanne entwirft, als wäre er Mitglied der IG Hörbuch, eine Welt voller Hörbuchautomaten und Taschen-Phonographen – feiert das Buch aber andererseits als „Forever-Young-Medium“ (so Jochen Hörisch im Nachwort). Kein Abgesang also, sondern eine Liebeserklärung!   

Bodo von Hodenberg mit der Favoritenpresse auf dem Berliner Bücherfest

1.500-Seiten-Ziegel mit 5.000 Abbildungen sorgt für schlaflose Nächte

Flankiert wird das Ganze von prächtigen Bänden, die Flora und Fauna ins Bild setzen – Johann Friedrich Naumann oder Maria Sibylla Merian sind im Versandhandel keine Unbekannten. Mit „Die Flora von Deutschland. Alle heimischen Arten“ legte der Biologe Oliver Tackenberg im zweiten Jahr der Favoritenpresse das umfangreichste bisher auf Deutsch erschienene farbige Bestimmungsbuch vor: Ein 98 Euro teurer 1.500-Seiten-Ziegel mit 5.000 Abbildungen. „Da habe ich ein paar Nächte nicht geschlafen“, gesteht von Hodenberg. „Wäre das schiefgegangen, hätte ich wohl dichtmachen müssen.“ Die erste Auflage war innerhalb von drei Monaten weg, eben ist die zweite gedruckt.  Egal, ob Kakteen, Brutvögel oder Bibliophilen-Träume: Die alles zusammenhalte Klammer bei der Favoritenpresse ist die Illustration. Oft werden historische Texte wie Mark Twains „Schreckliche deutsche Sprache“ oder Kurd Laßwitz’ „Aus dem Tagebuch einer Ameise“ modern illustriert und so ins Heute geholt. Manchmal entstehen Texte zur kongenialen Arbeit eines Illustrators. So hat der Berliner Zeichner Jakob Hinrichs für „Modern cyclists“ 52 Radler-Typologien entwickelt, von der Speed-Queen bis zur Guten Ute, ein Verkehrswende-Aktivist steuerte das Vorwort bei. Von Jakob Hinrichs, der inzwischen ein guter Freund geworden ist, stammt auch das Logo der Favoritenpresse: Ein Baumhaus, aus dessen Tür die Beine eines – so ahnen wir – glücklichen Lesers baumeln.

Für die „Blühenden Kakteen“ gab es 40 Vormerker aus dem Buchhandel, während zwei große Sukkulenten-Händler jeweils an die 300 Exemplare verkauft haben.

Vom Doppelcharakter der „geheiligten Ware Buch“ kann von Hodenberg einiges erzählen. Aus anarchischen Spaß an der Sache stellt er vielen Titeln eine Vorzugsausgabe zur Seite, die der Controller in ihm eigentlich sofort streichen müsste: Mark Twain kommt in Limited Edition mit einem Emaille-Schild, Laßwitz’ „Ameise“ mit einem Schal, Auflage 50. Doch ein Buch ist nicht nur Kunstwerk, sondern Produkt, und von Hodenberg fände es „fahrlässig“, es nicht auch so zu sehen. So verteilt er seine Flyer fürs Fahrradbuch eben auch auf Fahrradmessen – und hat im einschlägigen Fachhandel vier Mal so viele Vormerker wie im klassischen Sortiment. Für die „Blühenden Kakteen“ gab es 40 Vormerker aus dem Buchhandel, während zwei große Sukkulenten-Händler jeweils an die 300 Exemplare verkauft haben. „Der Buchhandel ist der natürliche Ort für Bücher“, findet von Hodenberg. „Aber wenn eine Vertreterin mit berstend voller Tasche in den Laden kommt, möchte ich nicht in der Haut des Sortimenters stecken.“

Die Favoritenpresse auf dem Berliner Bücherfest

Favoritenpresse zwischen Duftkerzen-Ständen

Standbein, Spielbein: Häufig findet man den Favoritenpresse-Mann auch auf Märkten. Das sind eben nicht die Independent-Klassiker wie „Buchlust“ in Hannover oder „Andere Bücher“ am Münchner Literaturhaus – „closed shops“, wie von Hodenberg findet, obwohl er mit Indie-Kollegen wie Peter Graf oder Jörg Sundermeier gut befreundet ist. Mit letzterem hat er in frühen Verbrecher-Jahren einen Stand beim „Holy Shit Shopping“ geteilt. Die Favoritenpresse findet man etwa auf dem Berliner Bücherfest auf dem Bebelplatz. Oder auf dem Weddinger Weihnachtsmarkt, nach gefühlt 20 Duftkerzen-Ständen eine Erbauung. Das Publikum freut sich über Wiederbegegnungen, egal ob mit Walter Trier – dessen Arbeiten man sich digital kaum vorstellen kann – oder der alten Zweitausendeins-Gründung Bärmeier & Nikel. Wenn die Umsätze dann, trotz minus vier Grad und blauen Lippen, „sensationell“ sind, fragt sich der in der Wolle gefärbte Händler: „Will ich nun bei den coolen Jungs und Mädels dabei sein? Oder eben gerade nicht?“