Börsenblatt Young Excellence Award 2025

Tobias Groß: Die Zukunft gestalten

24. Juni 2025
Veronika Weiss

Tobias Groß ist in der Buchbranche bekannt, vor allem durch sein großes Engagement als früherer Sprecher des Zukunftsparlaments. Sein Einsatz für den Nachwuchs ist aber noch lange nicht vorbei. Tobias Groß ist für den #yeaward25 nominiert.

Tobias Groß

Tobias Groß

Große Liebe Spanien

In seiner Rolle als Nachwuchssprecher von 2022 bis 2024 war Tobias Groß auf angenehm selbstbewusste Art präsent und hat einer Generation von Nachwuchskräften eine starke Stimme gegeben. Erstaunlich dabei: Er ist erst seit sechs Jahren in der Buchbranche unterwegs.

Nach dem Abitur hatte er sich nämlich erst mal Architektur in den Kopf gesetzt, erzählt er. Wenig später belegt er einen Spanischkurs, und beschließt, da ihm die Sprache sehr liegt, Spanischlehrer zu werden. Ein Jahr in Salamanca festigt seine Kenntnisse – und er verliert sein Herz an Spanien. Auch die freudige Nachricht, dass er für den #yeaward25 nominiert ist, erreichte ihn kürzlich in Madrid.

 

Wertvolle Erfahrung außerhalb der Buchbranche

Tobias Groß studiert in Leipzig Lehramt Spanisch und Politik. Doch als Lehrer seine Werte zu vermitteln, ist nicht ganz ohne, das merkt er während eines Praktikums: Er gibt eine Schulstunde über Merkels humane Flüchtlingspolitik 2015, stellt eine Verbindung zu Kant her. Das bringt zwei glatzköpfige Schülerväter dazu, ihm am nächsten Tag vorm Lehrerzimmer aufzulauern und ihn zu bedrohen: Er solle ihre Kinder nicht indoktrinieren. Tobias Groß wirft das aus der Bahn. "Ich weiß, ich wäre ein guter Lehrer geworden. Aber ich wollte nicht meine Gesundheit, mein Leben dafür riskieren." Der nächste Plan ist die akademische Laufbahn. "Ich hätte in spanischer Literaturwissenschaft promoviert, hatte auch schon eine Doktormutter." Doch die wird nach Dortmund berufen, und Groß will in Leipzig bleiben, in seinem Netzwerk und nicht so weit weg von den älter werdenden Eltern.

 

Ich schmeiß mein Studium, ich lass das alles hinter mir, suche mir einen Ausbildungsplatz und werde Buchhändler.

Neuer Lebensentwurf

"2018 ist alles gescheitert, was ich mir vorgenommen hatte. Ich hatte schwierige Monate bis Anfang 2019. Dann kam die Leipziger Buchmesse 2019. Und die hat mich gerettet." Tobias Groß landet direkt beim Karrieretag Buch und Medien und unterhält sich intensiv mit Anna-Lena Wingerter vom Mediacampus Frankfurt. "Sie hat mir die Berufsfelder in der Buchbranche erklärt. Ich wusste gar nicht, dass es den Beruf des Buchhändlers, der Buchhändlerin gibt. Sie hat mir das alles super schmackhaft gemacht." Es ist ein schicksalhafter Tag. Groß überlegt eine Woche lang, informiert sich umfassend – und beschließt: "Ich schmeiß mein Studium, ich lass das alles hinter mir, suche mir einen Ausbildungsplatz und werde Buchhändler."

Innerhalb weniger Wochen baut sich Tobias Groß einen völlig neuen Lebensentwurf. Er zieht für die Ausbildung zu seinen Eltern zurück und fängt im Juni 2019 bei Thalia in Gotha an. Ab jetzt läuft alles wie am Schnürchen, er nennt es "die beste Entscheidung, die ich treffen konnte". Sein Weg bei Thalia bis heute ist beeindruckend: Ausbildung, stellvertretender Filialleiter, Ausbildungsleiter und Buchhändler.

 

Steile Karriere bei Thalia

Zunächst fängt er wieder ganz unten an. "Ich war erst mal wieder Azubi und musste Sachen machen, die natürlich nicht so meinem universitären Hintergrund entsprachen. Aber ich habe mich gern in die Rolle gefügt." Er engagiert sich über das normale Maß hinaus, besonders während der Corona-Zeit: "Ich war nicht einen Tag im Homeoffice oder in Kurzarbeit, ich war die gesamte Zeit da. Wir haben eine Abholstation betrieben." Gemeinsam mit seiner Mitauszubildenden kümmert er sich während des Lockdowns eigenständig um den Wareneingang, macht Bücher abholbereit, organisiert Backoffice, Kassenabrechnung, Remissionen. Das Managen liegt ihm und macht ihm Spaß.

Als Thalia 2021 die Weltbild-Filiale in Suhl übernimmt, ist er über mehrere Monate mehrfach die Woche dort: "Ich habe in dieser Zeit – als Azubi – die Filialleitung mitangelernt." Das ist ungewöhnlich, aber es funktioniert bestens. Tobias Groß ist eben kein "normaler" Azubi, bringt jede Menge Erfahrung und Standing mit. "Ich habe meine Ambitionen gehabt für die Zeit nach der Ausbildung, habe schon einiges in Bewegung gesetzt und meine Zeit danach geplant. Habe geguckt, wo kann die Reise hingehen."

Er hält intensiven Kontakt zum Börsenverein und dem Mediacampus Frankfurt, hat bereits im Oktober 2019 auf der FBM das Azubistro mitbetreut. 2022, während seines zweiten Berufsschulblocks, wird die Stelle als Nachwuchssprecher frei – Tobias Groß wird dafür angefragt. "Ich habe zur Bedingung gemacht: Ich mache das bis zum nächsten Nachwuchsparlament interimistisch, und dann stelle ich mich auf, dann möchte ich ganz normal gewählt werden." Das klappt, und er beschreibt die zwei folgenden Jahre als "die beste Zeit meines Lebens": Tolle Kontakte, Wertschätzung, gute Ergebnisse. Es habe eine Wahrnehmungsverschiebung gegeben – weil Florian Noichl und er als Nachwuchssprecher etwas älter und ganz selbstbewusst waren. "Worauf wir besonders stolz sind, ist, dass das Nachwuchsparlament jetzt Zukunftsparlament heißt. Es war nicht leicht, das durchzuboxen." Bei der letzten Hauptversammlung des Börsenvereins wurde der neue Name aber endgültig bestätigt.

Was bewegen

Im November 2021, noch als Azubi, bewirbt sich Tobias Groß erfolgreich auf die Stelle als stellvertretender Filialleiter bei Thalia in der Karl-Liebknecht-Straße in Leipzig, die er zwei Jahre lang innehat. Das macht ihm Freude, aber er will weiter wachsen. 2024 wechselt er von 200 qm Ladenfläche auf 2.000 qm in die Grimmaische Straße: "Das ist eine ganz andere Geschwindigkeit, ganz andere Herausforderungen. Eine andere Menge an Ware, alles dreht sich schneller, du hast mehr Kundschaft da. Aber das sind so Sachen, die lernt man."

Mal durchzuatmen und Ausgleich zu finden, ist Tobias Groß bei all dem wichtig. Er geht mehrmals wöchentlich laufen und wandert gerne: "In der Natur und auf langen Touren hole ich mir Kraft für den Alltag." Den über 200 km langen Altmühltal-Panoramaweg hat er in 8 Tagen bewältigt, wie er kurz berichtet. Die Fotos, die er dabei und zu anderen Gelegenheiten schießt, muss man künstlerisch nennen – der Blick auf Groß‘ Instagram-kanal @tobiedge (er nennt ihn "meine kleine Galerie") lohnt sich.

 

Wir sind Kulturvermittler, auch Psychologen teilweise, die Leute erzählen uns ihre Lebensstorys.

Lieblingsbuchhändler und Ausbildungsleiter

In der Grimmaischen Straße ist er mit ganzem Herzen als Buchhändler tätig – sogar als "Lieblingsbuchhändler", als der er umfangreiche Rezensionen schreibt. Und Tobias Groß ist Ausbildungsleiter; die Stelle wird laufend weiter ausgestaltet, Impulse kommen von einer ähnlichen Position in Dresden. "Ich kümmere mich um die Azubis, schreibe Einsatzpläne, kommuniziere mit der IHK, dem Mediacampus. Ich bin bei den Vorstellungsgesprächen dabei, mache das Onboarding und führe Feedbackgespräche. Hier in Leipzig bin ich auch mit den Azubis auf der Fläche. Es ist geplant, dass ich – auch digital – Schulungen mit den Azubis durchführe: zu internen Themen und Buchhandelsspezifika. Geplant sind auch die Vernetzung unter den Azubis und ein Coaching der Ausbilder:innen." Künftig soll Groß als Ausbildungsleiter für mehrere Buchhandlungen zuständig sein. Wichtig ist ihm, dass der Azubi-Unterricht nicht nebenbei stattfindet, sondern ganz fokussiert. Er will da sein, als Ansprechpartner, auch als Mediator, "wenn es schwierige Situationen gibt".

Im Herzen ist er auch immer noch Buchhändler: "Ich lieb’s ja weiterhin, Bücher zu empfehlen, mein Sortiment selber zu gestalten – ich habe hier das Sachbuch mit Politik, Soziologie, Gleichstellung, Gender, naturwissenschaftliches Sachbuch." In seinem Bereich steht die fremdsprachige Literatur: "Da sind auch spanische Bücher. Seit meinem Studium habe ich nicht mehr so viel Spanisch gesprochen wie in den letzten Monaten in diesem Laden", berichtet er zufrieden über Begegnungen mit Kund:innen. Im Buchhandel brauche man viel Empathie, sagt er, dann sei es ein sinnstiftender Beruf. Das Schönste sei die Stammkundschaft, die mit neuem Lesefutter versorgt werden wolle: Mit einer Kundin flanierte er mal eine Stunde lang durch den Laden, sie kaufte Bücher für 200 Euro, alles seine Empfehlungen. "Danach der totale Adrenalinkick. Das macht dich einfach glücklich."

 

Ich werde nie wieder die Buchbranche verlassen. Nie wieder.

Sinn stiften

Eine Buchhandlung sei allerdings mehr als eine Verkaufsstelle, betont Tobias Groß: "Wir sind Kulturvermittler, auch Psychologen teilweise, die Leute erzählen uns ihre Lebensstorys. Wir können Gedankenanstöße geben. Es ist superwichtig, dass es diese Buchhandlungen gibt, als dritten Ort in Verbindung mit Cafés, als kulturellen und intellektuellen Treffpunkt." In diesem Kontext verortet er auch das Partnermodell von Thalia. Die Partnerbuchhandlungen seien komplett eigenständig, profitieren aber von verschiedenen Thalia-Leistungen. Und "der Sinn dahinter ist der Fortbestand von Buchhandlungen. Es soll keine blinden Flecken an Orten geben, ohne Buchhandlungen." Denn sonst seien die Leute gezwungen Bücher ausschließlich online zu kaufen.

Stets hat Tobias Groß die Zukunft des Buchhandels im Sinn – und die gibt es "wenn gute Leute in die Branche kommen, die mit Herzblut dabei sind und das Ganze leben". Dafür setzt er sich unermüdlich ein, bei Tagungen, den Buchmessen oder Veranstaltungen zur Nachwuchsgewinnung, er ist ehrenamtlich in diversen Ausschüssen des Börsenvereins aktiv, beispielsweise im Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel und im Berufsbildungsausschuss. Er bezeichnet sich als optimistischen Realisten, hat einen ganzen Büchertisch gestaltet, der "Hoffnungsvolle Bücher für schwierige Zeiten" heißt. So planvoll er für die Zukunft der Branche und den Nachwuchs arbeitet, so sehr lässt er sich bei seinem weiteren Karriereverlauf überraschen: "Es kommt immer wieder etwas, womit ich überhaupt nicht gerechnet habe. Einiges hat sich ganz anders entwickelt, in eine viel, viel positivere, tollere Richtung." Eines ist aber sicher, sagt Tobias Groß: "Ich werde nie wieder die Buchbranche verlassen. Nie wieder."

Kurzvita

Tobias Groß
1990 geboren
2010

Praktikum an einer Sprachschule in Salamanca, Spanien

2011-2019 Universität Leipzig Politik, Spanisch, Linguistik
2019-2022 Azubi Buchhandel bei Thalia Gotha
2022-2024 Nachwuchssprecher des Börsenvereins
Seit 2024 Mitglied im Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel und im Berufsbildungsausschuss des Börsenvereins
Seit 2024 Ausbildungsleiter Thalia Grimmaische Straße Leipzig

 

Über den Börsenblatt Young Excellence Award 

Der Börsenblatt Young Excellence Award ehrt herausragende Persönlichkeiten bis 39 Jahre, die in der Buchbranche etwas bewegen – sei es in einer Buchhandlung, im Verlag, bei einem Dienstleistungsunternehmen oder in Selbständigkeit. Das Fachmagazin Börsenblatt vergibt die Auszeichnung zusammen mit den Unternehmen der Börsenvereinsgruppe: Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Frankfurter Buchmesse, Mediacampus Frankfurt und MVB. Die future!publish unterstützt den #yeaward25 als Partner. 10 Young Professionals sind nominiert: www.young-excellence-award.de