Meinung

Kontroverse um "Der Turm"

14. Januar 2010
von Börsenblatt
Warum Uwe Tellkamp keine Ehrenerklärungen nötig hat. Von Georg M. Oswald.
Jens Wonneberger ist Autor eines Buches mit dem Titel »Die letzten Mohikaner«. Ob er James Fenimore Cooper in seinem Werk für die Entlehnung des Titels (»The Last of the Mohicans«) gedankt hat, ist mir nicht bekannt. Ich bezweifle es. Ein Plagiat wollte man sein Werk deshalb nicht nennen. Er selbst will auch niemanden des Plagiats bezichtigen. Insbesondere nicht Uwe Tellkamp. Dies teilt er der Presse mit und bekommt dafür bundesweit eine Aufmerksamkeit, die seinem Werk bisher versagt blieb.
»Man ärgert sich da immer; das wird jedem so gehen, der seine Arbeit in einer anderen Arbeit widergespiegelt findet«, sagt er im »Sachsenspiegel« des MDR. Das klingt, als würden sich laufend Autoren aus Herrn Wonnebergers Schriften bedienen, was jetzt endlich ein Ende haben müsse. Den »Dresdner Neuesten Nachrichten« erzählt er deshalb: »Vieles, was er [Uwe Tellkamp] im ›Turm‹ beschreibt, kann er nicht selbst erlebt haben, er war auf Recherchen angewiesen. Zu diesen Recherchen gehörten sicher nicht nur Dokumente, sondern auch belletristische Literatur. An all dem ist nichts Verwerfliches, die Frage ist nur, wie nah man an den Quellen bleibt und ob man, wenn die Nähe zu groß ist, vielleicht eine Quellenangabe machen sollte.« Aber wie gesagt, einen Plagiatsvorwurf will er Tellkamp nicht machen. Genau dies wäre an dieser Stelle aber die logi-sche Konsequenz von zu großer Nähe. Aber nein, er will nicht. Eigentlich ist also gar nichts los. Niemand wirft irgend­jemand irgend­etwas vor, aber beleidigt ist man schon. Schade nur, dass auch Uwe Tellkamp sofort mit einer anwaltlichen Erklärung reagiert, anstatt den Angriff, der ja gar keiner sein will, gelassen abprallen zu lassen. Unkommentiert am besten.
Weder Uwe Tellkamp, noch sein Roman haben Ehrenerklärungen nötig. Es ist schlichtweg ausgeschlossen, dass dieses 1 000-seitige Werk etwas anderes wäre als die originäre Schöpfung seines Autors. Originär heißt dabei nicht: aus dem Nichts entstanden. Welche Recherchen Tellkamp betrieben hat, um das Buch schreiben zu können, mag er irgendwann einmal offenlegen oder auch nicht. Sich damit zu befassen, wäre möglicherweise eine lohnende literaturwissenschaftliche Beschäftigung. Ob sie dazu führte, den Charakter des Werkes besser zu erfassen, steht dahin.
Die Feststellung, Tellkamp könne nicht alles selbst erlebt haben, was er in seinem Roman beschreibe, ist so banal wie falsch. »Madame Bovary, c’est moi«, sagte Gustave Flaubert, und wollte damit keineswegs durchblicken lassen, er sei eigentlich eine Frau. Das Vorbild für seine Titelgestalt gab ihm der Bericht über eine Ehetragödie in der Zeitung. Auf eine Quellenangabe verzichtete er. Man hat sie später trotzdem gefunden. An der Qualität des Romans ändert das nichts.
»Der Turm« hat, mit Verlaub, Thomas Manns »Buddenbrooks« weit mehr zu verdanken als Jens Wonnebergers »Die letzten Mohikaner«, was seinen Rang nicht schmälert, ganz im Gegenteil. Wenn nicht als Schriftsteller, so als ehemaliger Antiquariats­mitarbeiter müsste Jens Wonneberger wissen, dass Bücher aus Büchern entstehen, dass Autoren von der Welt abschreiben, ja sogar Titel von Werken anderer für eigene benutzen. Verwerflich ist daran in der Tat gar nichts, im Gegenteil: So entsteht, im besten Fall, Literatur.