Das unbekannte Phänomen: Die deutschen Bücherorte

18. November 2010
von Börsenblatt
Außerhalb ihres direkten Einzugsgebietes kennt sie auch branchenintern kaum jemand: Bücherstädte und -dörfer. Um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen, machte sich die Marginalglosse zu einer Vor-Ort Recherche in die Pfalz auf – anlässlich der 5. Edenkobener Büchertage.

Bücherstädte und -dörfer sind keine wirklich neue Idee: Bereits 1961 gründete der New Yorker Immigrant Richard Booth in Wales das erste Bücherdorf. Er siedelte sich mit einer Containerladung Bücher in einem 1300-Seelen-Dorf an, das heute über 40 Antiquariate und geschätzte zwei Millionen Bände verfügt. Die Bevölkerung wuchs durch den Zuzug von Gastronomie und Tourismusindustrie auf ca. 2000 Einwohner. Mit Mühlbeck / Friedersdorf wurde das Konzept 1997 über 30 Jahre später auch nach Deutschland migriert, seit 2007 verfügt nun auch die Pfalz über eine Bücherstadt.

Edenkoben, eine Kleinstadt von 7.000 Einwohnern an der südlichen Weinstraße, nennt sich offiziell „Weinstadt“ und inoffiziell „Bücherstadt“. Fünf Antiquariate und zwei Neubuchhandlungen haben hier ihren Sitz, und es sollen mehr werden. Am Wochenende vom 13.11.2010 allerdings fanden sich 40 Antiquare im Kurpfalzsaal ein, um an der mit den Büchertagen verbundenen Messe teilzunehmen. Hinter den Veranstaltungen und dem Bemühen um weitere Antiquariate steht der lokale Freundeskreis Bücherstadt Edenkoben e.V., dessen Vorsitzenden Johannes Benken wir zu einem Gespräch trafen.

Benken gründete den Freundeskreis 2006, nachdem er in Rente ging und mit einer Bücherstadt einen alten Traum wahr machen wollte. Einzelhandelserfahrung brachte er mit, Erfahrung mit Büchern hatte er nur als Leser. Der Verein wuchs von ehemals 20 auf heute knapp 50 Mitglieder, darunter auch lokale Unternehmen, die den Verein als Sponsoren fördern. Darüber hinaus finanziert er sich durch Zuwendungen der Stadt und Spenden – und durch Benkens vereinseigenes Antiquariat Buch trifft Wein. Den Status als gemeinnütziger Verein erhielt der Freundeskreis durch seine Bemühungen um Leseförderung, also seinen Bildungsauftrag insbesondere in Kindertagesstätten und Schulen.

„Ich wollte keinen Schnellschuss, der eventuell wieder untergeht, sondern eine nachhaltige Entwicklung. Dafür haben wir in Kauf genommen, dass die Bücherstadt eher langsam wächst“, sagt Benken. In der Ausgabe 3/2007 des Fachmagazins Aus dem Antiquariat wurde noch der Plan erwähnt, innerhalb von anderthalb Jahren 10 bis 12 Antiquariate anzusiedeln, doch sind es bis heute nur fünf, dazu ein schon damals existierendes Bücherhotel. „Die Erwartungen waren auch überzogen“, gibt Benken zu. Ihm sei aber ein verantwortungsvolles Konzept wichtig gewesen, das neue Verkäufer nicht stehen lässt. Zudem werde gerade der Stadtkern von Grund auf saniert. Dadurch entstünden zwar neue attraktive Lagen, gleichzeitig aber auch Schwierigkeiten bei der Akquise: Die Entscheidung potentieller Antiquare für den Ort würde im Augenblick dadurch sehr erschwert. Der Verein steht Interessenten trotzdem auch momentan mit Rat und Tat zur Seite, etwa bei der Vermittlung von Ladenflächen und mit einem Grundstock an Büchern aus dem angewachsenen Lager. Obwohl sich die Akquise neuer Ladenbesitzer auch an die allgemeine Öffentlichkeit – laut Werbematerial mit „literarischen Grundkenntnissen“ – richtet, interessieren sich bislang vor allem Antiquare und Gebrauchtbuchhändler für die Angebote.

Die meisten der Antiquariate richten sich neben den Touristen durchaus auch an Sammler – schon die Messe vermittelte den Eindruck, dass in der Stadt auch bibliophile Stücke gut aufgehoben scheinen. Einen anderen Weg verfolgt das „SB-Antiquariat“ in einem Verbrauchermarkt des Ortes. Dort liegen – ohne einen anwesenden Verkäufer – gebrauchte Bücher in der Preiskategorie bis 10 Euro aus und werden durch den Einwurf des Kaufpreises in eine Kasse bezahlt. Bislang geht das Konzept nach Benken auf, geklaut werde nicht.

Dieses Konzept ist als Ergänzung dessen zu verstehen, was als Idee hinter allen Bücherdörfern steht: Es geht um den Bucheinkauf als Erlebnis. Die Konkurrenz aus dem Internet fürchtet Benken deshalb nicht – auch weil er glaubt, die Internet-Welle habe ihren Höhepunkt erreicht und für lokalen Buchverkauf werde es nun nicht mehr schlimmer. Eher werde es besser, wenn nun die Gegenbewegung anrolle. Ob dieser Optimismus gerechtfertigt ist, wird die Zeit zeigen.

Die Recherchen führten durch: Sabine Hafner, Hanna Hartberger, Dennis Schmolk, Cornelia Weileder