Leipziger Buchmesse

"Maradona ist ein Gott, der mein Leben verändert hat"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Am Samstagnachmittag trafen sich auf der Leipziger Buchmesse hochrenommierte osteuropäische Autoren, um sich über das Thema Fußball zu unterhalten und zu streiten. Blickpunkte vor dem EM-Auftakt in Polen und der Ukraine.

Serhij Zhadan (Urkaine), Andrej Chadanowitsch (Weißrussland), Natalka Sniadanko (Ukraine) und Piotr Siemion (Polen) haben eine Gemeinsamkeit: Sie alle haben Texte zur bevorstehenden EM veröffentlicht oder herausgegeben, die im Sommer an acht Spielorten in Polen und der Ukraine ausgetragen wird. Erschienen sind die Texte in deutscher Sprachen in den Anthologien "Wodka für den Torwart"(Edition fototapeta) und "Totalnij futbol" (Suhrkamp).

Andrej Chadanowitsch interessiert sich seit seiner Jugend für den Fußball. "Maradona ist ein Gott, der mein Leben verändert hat", bekennt der belarussische PEN-Präsident gleich zum Auftakt des Podiums. Er schätze die Fußballfans in seiner Heimat, auch wenn ihm die rechtsradikale Gesinnung vieler Ultras eher sauer aufstoße.

Sein ukrainischer Kollege Zhadan teilt diese Leidenschaft: Besonders interessiere ihn das Fantum als völlig neuartige  ukrainische Gesellschaftsform. Außerdem, so erklärt er: "Es ist oft von den Ost-West Gegensätzen meines Landes die Rede. Bei den ukrainischen Fans hingegen gibt es diesen Konflikt nicht. Rivalitäten haben andere Gründe."

Moderatorin Natalka Sniadanko brachte eine erste tiefer gehende Überlegung ins Podium ein: "In Deutschland ist Fußball eine intellektuelle Sache, vielleicht könnte man auch sagen, eine Mode. In der Ukraine scheinen andere Kreise  hinter dem Sport zu stehen."

Piotr Siemion, der gerade an seinem dritten Roman arbeitet, pflichtet bei: "Der Fußball ist in Polen ein Spielball der Oligarchen. Man muss aber dazusagen, dass der Fußball in den letzten 20 Jahren seine Funktion vollständig geändert hat. In den sozialistischen Zeiten war er ein Ersatz für alles: Für das Recht auf Selbstbestimmung, Ersatzreligion, Ersatzprotest, heute ist er eher wie eine auswendig gekannte Oper."

Der belarussische PEN-Präsident Chadanowitsch unterbricht seinen Kollegen, das Gejammer befände sich doch auf einem sehr hohen Niveau. Wie seine Kollegen auf dem Podium ja wüssten, fände in Weißrussland keines der kommenden EM-Spiele statt. Überhaupt, er trage schon lange ein Fußballtrauma mit sich herum: Als er neun Jahre alt gewesen sei, fanden im Rahmen der Olympischen Spiele in der Sowjetunion auch in Kiew Fußballspiele statt. "Der Regierung waren diese Spiele und der Besuch aus dem Westen ein Dorn im Auge", erklärt der Schriftsteller. "Die Erzieherinnen in der Grundschule waren angehalten, uns Lügenmärchen zu erzählen", so Chadanowitsch. So habe man ihn und die anderen Kinder aufs Schärfste davor gewarnt, von Touristen aus dem Westen Kaugummis oder Kugelschreiber entgegenzunehmen. "Wenn ihr den Kugelschreiber betätigt, dann könnte es eine Waffe sein, die losgeht und euch mit einer kleinen Kugel tötet." Den Eltern habe man geraten, die Kinder lieber aufs Land zu Verwandten zu schicken. Das sei auch geschehen, zu seinem Leidwesen. Vor einer Begegnung mit einem japanischen Touristen, der ihm erst einen Kaugummi und dann einen Kugelschreiber schenken wollte, habe ihn diese Vorsichtsmaßnahme aber nicht zu schützen vermocht.

Zhadan berichtete, als Schriftseller sei er geradezu gezwungen, wöchentlich Kolumen in verschiedenen Zeitschriften über den Fußball zu schreiben und prophezeite, der Ausgang der EM werde die Wahlen in der Ukraine im Herbst nachhaltig beeinflussen.

Sein Kollege Piotr Siemion mochte es sich da nicht verkneifen, augenzwinkernd hinzuweisen, dass die Freude die Polen über die gute Platzierung  während der Weltmeisterschaft ind Deutschland 1974 (die legendäre Wasserschlacht von Frankfurt) die Gründung der Solidarnosc sicherlich um sechs Jahre verzögert habe.

Auf der Podiumsdiskussion, einer der interessantesten und humorvollsten des Tranzytprogramms, konnte man mit Recht behaupten, die Autoren hätten sich die Bälle gegenseitig gut zugespielt.