Die Sonntagsfrage

Kommen Kinder über Apps wirklich zum Lesen?

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Das Vorlesen wird vielfältiger. Heute können Eltern ihren Kindern nicht nur aus gedruckten Büchern vorlesen, sondern auch aus digitalen Vorlese-Apps für Smartphones und Tablets. Können Apps Kinder tatsächlich zum Lesen motivieren? Simone C. Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen, beantwortet unsere Sonntagsfrage.

Nach allem, was sich aktuell darüber sagen lässt, können Kinder (auch) über Apps zum Lesen kommen. Apps stellen eine Ergänzung und Bereicherung der Möglichkeiten dar, vorzulesen, Geschichten zu erzählen und sich gemeinsam über Inhalte auszutauschen. Apps können also Appetit auf Geschichten machen! Sie integrieren das Lesen, das nach wie vor auch mit dem Buch verknüpft ist, mit der Lebens- und Medienwelt, in der Kinder heute aufwachsen.

Dies ist ein zentrales Ergebnis der aktuellen Vorlesestudie von Stiftung Lesen, "Die Zeit" und Deutsche Bahn. Die Urteile basieren auf Beobachtungen, die jene Eltern, die bereits Bilder- und Kinderbuch-Apps nutzen, bei ihren Kindern machen: Drei Viertel dieser Väter und Mütter nehmen wahr, dass die Apps ihre Kinder für das Lesen begeistern. Darüber hinaus stimmen 80 Prozent der Eltern mit Kindern im Vorlesealter der Aussage zu, dass Kinderbuch-Apps und elektronische Bücher eine Chance bieten, dass Kinder mehr Freude am Lesen entwickeln.
 
Eine Studie der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2011 zum Einfluss von E-Books auf die Lesemotivation von bildungsbenachteiligten Schülern und Schülerinnen sechster Klassen zeigt, dass E-Reader und E-Books das zuvor meist negativ besetzte Image, das die Jugendlichen vom Lesen hatten, deutlich und systematisch verbessert haben. Über die Technik ließen sich vor allem Jungs begeistern. Die Schüler luden deutlich mehr Bücher auf ihren E-Reader herunter als dieselben Titel aus einer Klassenbibliothek in Printform auszuleihen. Vergleichbar beschreiben die Eltern Reaktionen ihrer kleinen Kinder, mit denen sie auf Tablet-PCs und Smartphones Bilder- und Kinderbuch-Apps anschauen und ihnen damit vorlesen. 

Entscheidend ist dabei, dass die Faszination für Technik, neuartige Formate, Animationen und Zusatzfunktionen kein Selbstzweck ist, sondern Kinder und ihre Eltern mit Geschichten in Berührung bringt, zum Vorlesen animieren, den Austausch über die Inhalte in Gang setzen und Lust auf mehr machen. Dieses "Mehr" wird von den Eltern sehr bewusst und differenziert eingesetzt, indem sie ungemindert auch gedruckte Bilder- und Kinderbücher nutzen – je nach Situation.
 
Lesefreude und Begeisterung zu wecken, ist ein zentraler Schritt, um Lesekompetenz zu stärken und damit Kindern gute Bildungsvoraussetzungen mit auf den Weg zu geben. Dies belegen unter anderem die Befunde der jüngsten PISA-Studie: Spaß am Lesen und Lesekompetenz sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wer Lesefreude weckt, stärkt Lesekompetenz. Der Zugang zum Lesen fällt Kindern vor allem dann schwer, wenn Lesen nicht zum familiären Alltag gehört, wenn Lesestoff und Lesevorbilder fehlen. Daher bieten ungewöhnliche Leseanreize - dazu gehören auch Kinderbuch- und Vorlesebuch-Apps - neue Anknüpfungspunkte und Potenziale für die Leseförderung.