Lesetipp: Roland Reuß über Bibliotheken, Amazon & Co.

„Ein gefährlich-blauäugiger Konformismus“

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Wer eine Bibliothek nutzt, hinterlässt Spuren – Datenspuren, die aus Sicht von Roland Reuß manchem noch zum Verhängnis werden könnten. In der „FAZ“ wehrt sich der Heidelberger Germanistikprofessor gegen das Verhalten der deutschen Bibliotheken, kritisiert ihre Zusammenarbeit mit den IT-Größen des Silicon Valley und ruft sie zum Umdenken auf.
Der Beitrag von Roland Reuß ist in der gedruckten „FAZ“ von heute nicht zu übersehen (online war er bis 13 Uhr noch nicht verfügbar): Sein Text eröffnet das Feuilleton, füllt insgesamt fünf Spalten. Reuß szeniert darin die aktuelle Situation der Bibliotheksnutzung und versucht dabei in jede Ecke zu leuchten – klagt auch noch einmal über die in Bibliothekskreisen offenbar nach wie vor akzeptierte Praxis, aus den Katalogen in Richtung Amazon.de zu verlinken. 
  
Wichtiger sind Reuß diesmal allerdings die Verbindungen, die Bibliotheken sonst noch zu IT-Firmen unterhalten – all das mit Blick auf NSA-Aktivitäten. „Unter den Bedingungen der Netztotalüberwachung … wird für Untersuchungszwecke von Personenprofilen freilich nicht der Verleger, sondern der Bibliothekar zu einer Zentralfigur“, schreibt Reuß und warnt zugleich vor den Folgen: „Die algorithmische Auswertung von Leseverhalten in den Händen einer über die Stränge schlagenden Exekutive ist der Albtraum einer demokratischen Gesellschaft.“


Bis zu 50 Millionen Katalogdaten?

Der Opportunismus der großen Bibliotheken gegenüber der IT-Branche sei nicht nur fahrlässig, sondern gefährlich. “Skandalös ist vor allem die vertraglich geregelte Zusammenarbeit mit Google, Amazon, Facebook, Apple und dergleichen Korporationen mit kolonialistischem Anspruch.“  Bis in welche Bereiche eines gefährlich-blauäugigen Konformismus Bibliothekspolitiken sich erstreckten, zeige die 2012 getroffene Entscheidung der Arbeitsgemeinschaft dr Verbundsysteme, Google bis zu 50 Millionen Katalogdaten zur Verfügung zu stellen.