APE 2014: Internationale Experten diskutieren Open Access

Unterwegs zu "Gold"?

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Rund 240 internationale Experten aus Wissenschaft, Hochschulen, Bibliotheken, Internetwirtschaft, Verlagen und Politik trafen sich diese Woche in Berlin zur 9. Konferenz "Academic Publishing in Europe" (APE). Im Zentrum der Vorträge und Diskussionen stand – wie schon gelernt bei dieser von Arnoud de Kemp ins Leben gerufenen, stets ausgebuchten Tagung – das Dauerthema Open Access.

Wie ist ein möglichst barrierefreier, aktueller Zugang zu den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung zu organisieren? Wie lässt sich unter veränderten Bedingungen des Publizierens die Qualität und Relevanz der Inhalte sichern? Welches Modell dient am besten dem Fortschritt der Wissenschaft? Und welches ist ökonomisch sinnvoll für die Beteiligten, auch Autoren und Verlage?

Dass eine breit akzeptierte Antwort, erst recht der konkrete Aufbau neuer Strukturen und Modelle Zeit brauche, stellte eingangs Elisabeth Niggemann fest, die Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek. "Wir werden noch lange ein Nebeneinander von Subskriptionsmodellen mit Grünem und Goldenem Open Access haben", sagte die Bibliothekarin voraus – wobei der Fachjargon mit "Green" gewissermaßen die sanfte Revolution meint, die den Verlagen auskömmliche Erträge sicherstellt, indem etwa angemessene Embargo-Zeiten zwischen der Verlagsveröffentlichung und dem offenen Zugang vereinbart werden; "Gold" hingegen den radikalen Weg bezeichnet, auf dem alles für alle frei verfügbar gehalten werden soll, und zwar verpflichtend für jeden mit öffentlichen Mitteln forschenden Autor.

Mit "Going for Gold" war auch quasi prä-olympisch die erste Keynote von Sander Dekker betitelt. Der Staatssekretär im Wissenschaftsministerium der Niederlande möchte sich bei Open Access nicht mit Kompromissen zufrieden geben, er nimmt einen radikalen Standpunkt ein. Für ihn "ist Open Access vor allem eine moralische Verpflichtung", erläuterte Dekker im Haus der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Jeder, nicht nur die Wissenschaft selbst, würde von dem möglichst schnellen und leichten Zugang zu Forschungsergebnissen nur profitieren, glaubt der Politiker aus Den Haag. Denn auch wirtschaftliches Wachstum hänge stark von der Fähigkeit einer Volkswirtschaft ab, neu generiertes Wissen schnell und umfassend in Umlauf zu bringen.

Geht es nach Dekker, ist Golden Open Access in zehn Jahren Gesetz und Standard in der Europäischen Gemeinschaft. Sein Statement war der politisch brisanteste Beitrag der APE 2014.

Der Staatssekretär erinnerte an den Beginn der Open Access-Diskussion in Europa, der von der "Berlin Declaration" vor gut zehn Jahren markiert worden sei, und fragte: "Warum sind wir noch nicht viel weiter als 2003? Warum macht ausgerechnet die wissenschaftliche Welt so langsame Fortschritte?" Dass es einer Verwertungsindustrie gelingen könne, ihr Geschäft auf komplett innovative Wege der Produktion und Distribution umzustellen, wollte der Niederländer am Beispiel der Musikbranche illustrieren. Das trug ihm allerdings in der anschließenden Debatte den Hinweis ein, dass man dem Vorbild lieber nicht folgen möge: Halbiert hätten sich die Umsätze der Musikproduzenten in den vergangenen Jahren, konterte Frederick Dylla vom American Institute of Physics; und schaue man auf die Zeitungsverleger in den USA, hätten die sich sogar dezimiert. "Open Access ist für mich deshalb keine Frage von Moral, sondern von ökonomisch vernünftigen Lösungen."

In einer Krise sieht der Chemiker David Black (International Council for Science, Sydney) das Prinzip des Peer Review vor einer Veröffentlichung in wissenschaftlichen Zeitschriften. "Zu viele Einreichungen, zu wenig Gutachter" – für Black ist das Missverhältnis Ursache für große Subjektivität und oft schlechte Entscheidungen in diesem Prozess der wissenschaftlichen Selbststeuerung durch kollegiale Begutachtungen. Blacks Alternativvorschlag: "open evaluation". Ihm schwebt vor, dass bereits veröffentlichte Artikel in zentralen Repositorien direkt dort von der Scientific Community kommentiert werden können. Auch so zeichneten sich Qualitätsprofile ab – ex post eben. Überhaupt hält der Professor für Organische Chemie an der Universität von New South Wales in Australien die Repositorien im Vergleich zu den "so genannten high impact journals" für den in Zukunft besseren Ort wissenschaftlichen Publizierens und Diskutierens.

Grün statt Gold – den Kontrapunkt zu Sander Dekker setzte der Geschäftsführer der Gesellschaft Deutscher Chemiker, Wolfram Koch. Er wies darauf hin, dass seine Fachgesellschaft immerhin rund 20 wissenschaftliche Zeitschriften herausbringe, darunter die renommierte "Angewandte Chemie", und dass diese verlegerischen Aktivitäten die Gesellschaft wesentlich mitfinanzierten. In einem Diskussionsprozess um das beste Modell für Open Access haben die deutschen Chemiker einen Katalog von Kriterien erarbeitet (www.gdch.de/positionen). Zu den wichtigsten Anforderungen gehören für Koch:

  • Qualitätssicherung
  • Zugänglichkeit, Auffindbarkeit und nachhaltige Aufbewahrung von Artikeln und Daten
  • Keine finanziellen Barrieren für Autoren ("Sonst wäre Open Access zwar ein wohlklingender Marketing-Begriff, entspräche aber nicht der Wahrheit." Denn ein Autor, der zunächst zur Kasse gebeten würde, hätte ja gerade nicht Open, sondern nur Paid Access zu den Publikationsmitteln.)
  • Keine Umverteilung von Forschungsgeldern, um Publikationen zu finanzieren

Ähnlich den Empfehlungen der Royal Society of Chemistry in Großbritannien spricht sich auch die Gesellschaft Deutscher Chemiker am Ende für die "Green Road" aus – mit ausreichenden Embargo-Zeiten, damit Wissenschaftsverlage ihre Aufwände auch wieder zurückverdienen können.

Update: Die Royal Society of Chemistry weist korrigierend darauf hin, dass sie diejenigen Open Access-Modelle unterstütze, "welche die Zugänglichkeit zu Forschungsinhalten maximieren und eine nachhaltige Zukunft für die wissenschaftliche Veröffentlichung gewährleisten. Zu diesem Zweck bevorzugen wir den goldenen Open Access Weg." Allerdings räumt die Gesellschaft ein, dass "einige Mitglieder unserer Society dem grünen Weg folgen. Um diesen Weg zu unterstützen, haben wir unser Chemical Science Article Repository gestartet, wobei hier der überwiegende Teil des Inhalts einer Sperrfrist von 12 Monaten unterliegt."