Kongress "Literatur Digital" in Berlin

"Inseln der Auffindbarkeit im Netz schaffen"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Am 21./22. März fand im Haus der Kulturen in Berlin der Kongress "Literatur Digital" statt. Dabei ging es um Literatur in der digitalen Wissensgesellschaft, neue Geschäftsmodelle und Urheberrecht. Im Interview mit boersenblatt.net zieht Mit-Organisator Mathias Gatza ein Fazit und gibt zudem Auskunft über den Stand seines E-Book-Verlags "Fiktion".

Der von Ihnen initiierte Kongress "Literatur Digital" sollte klären, wie sich Produktion, Verwertung und Rezeption von Literatur in der digitalen Wissensgesellschaft verändern. Sind Sie klüger als vorher?
Grundsätzlich müssen zwei Sachen zusammenkommen: Leser, die sich für Literatur interessieren und Autoren, die das Netz als literarischen Ort wahrnehmen. Auf dem Kongress wurden Modelle vorgestellt, wie dieser Kontakt überhaupt zustande kommt, bisher vor allem im Unterhaltungsbereich. Wir müssen Inseln der Auffindbarkeit schaffen im Netz. Aber es haben sich auch Probleme aufgetan, die vor allem mit dem Urheberrecht zusammenhängen. Die Ansicht, das Digitale sei ein Weltarchiv und es kann nichts mehr verlorengehen, ist eine Illusion. Es werden im Netz täglich mehr Sachen vernichtet als aufbewahrt. Die Sachen, die im Netz zirkulieren, müssen daher urheberrechtlich anders betrachtet werden als ein gegenständliches Buch, damit zum Beispiel Bibliotheken sie archivieren und längerfristig zugänglich machen können. 

Es scheint so, als hätte der Kongress mehr Fragen aufgeworfen als Antworten zu geben.
Das kann gar nicht anders sein. Wer heute sagt: "Morgen ist es ganz sicher so und so!" Den frage ich: "Kannst du hellsehen?" Die Leute, die sich am besten auskennen, sind die letzten, die sagen: "Wir wissen, wie es morgen aussieht." Wir können derzeit nur die Bedingungen skizzieren, mit denen wir als denkende Menschen umgehen müssen.

Sie hatten Gäste aus China, den USA. Was lässt sich von den Erfahrungen der anderen lernen?
Der Buchhandel und das Verlagswesen in Deutschland sind noch die privilegiertesten der Welt, wir haben hier noch ein Bücherparadies. Das wird immer wieder deutlich. Spannend war ein Vortrag über Lesen in Südamerika. Der zentrale Lektüreort für junge Menschen ist dort heute das Handy. Dieses kleine Gerät wird  aktiv zur Alphabetisierung genutzt. Durch Leseapps gibt es eine ganze Generation, die nie ein Buch in die Hand genommen hätte und nun zum Geschichtenerzählen und -schreiben kommt. Handy und App sind also nicht grundsätzlich literaturfeindlich, wie Skeptiker gerne behaupten.

Diese existenzielle Dimension fehlt zum Glück in Deutschland.
Ja, aber das heißt nicht, dass wir nicht über den Nutzen des Internets nachdenken sollten. Der Roman ist im klassischen Handel die Königsdisziplin. Aber wir Autoren schreiben auch andere Texte, die der Handel nicht besonders mag oder einfach nicht bekommt, für die vielleicht das gedruckte Buch auch nicht der richtige Ort ist. Was nicht heißt, dass es nicht Leser geben könnte. Ich denke wir werden in Zukunft mehr digitale Vorläuferprodukte erleben. Noch herrscht die Ansicht, wenn es etwas zunächst umsonst im Netzt gibt, lässt es sich später nicht mehr verkaufen. Da verweise ich auf Herrndorfs "Arbeit und Struktur", man kann es bis heute umsonst im Netzt lesen, was den Buchverkauf offenbar nicht schadet.

Welche Titel erscheinen zum Start bei Fiktion?
Die ersten Titel wird es im Juni geben und ich will da noch nichts vorwegnehmen. Wir haben deutlich längere Vorlaufzeiten, das haben wir unterschätzt. Von der Annahme eines Manuskripts bis zur Veröffentlichung sind es vier bis acht Monate, obwohl der Druckprozess wegfällt. Sämtliche Texte erscheinen ja zeitgleich auf Deutsch und Englisch, da müssen fertige Bücher auf ihre internationalen Zwillinge warten.