Wie Vertreter heute arbeiten - und wovon sie leben

400 Termine pro Jahr

17. Juni 2016
von Börsenblatt
Vertreter sind das Scharnier zwischen Verlag und Sortiment: Wie wirtschaften sie, wie verändert sich ihr Beruf? Dieser Lagebericht zeigt, wohin die Reise geht.

Verlagsvertreter sind die Rock'n'Roller der Branche: Mehrere Monate im Jahr unterwegs, von Buchhandlung zu Buchhandlung, mit allen Wassern gewaschen und voller Power trotz Strapazen. Die Gespräche mit Verlagsvertretern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz jedenfalls strahlten vor Leidenschaft und Lust am Beruf, Klagen waren kaum zu hören. Handelt es sich dabei um eine Déformation professionelle dieser Begeisterungsträger für Bücher? 

Umsatzeinbußen  

Denn ein wenig unerwartet kommt der positive Grundton schon. Dieser Beruf an der Schnittstelle von Verlag und Buchhandlung ist besonders exponiert und stör­anfällig, Umsatzrückgänge beider Sphären machen die Arbeit unsicher und haben ganz unmittelbaren Einfluss aufs Einkommen. "Wirtschaftlich hat sich unsere Situation massiv verschlechtert", resümiert Vertreter Richard Bhend aus Zürich sehr deutlich. "Uns freien Verlagsvertretern sitzt ein noch ­härteres Problem im Nacken als den Buchhändlern, weil unsere Provisionen gleich bleiben, aber auf niedrigerem Wert." 
In der Schweiz kommt noch die Währungsdifferenz hinzu, die die Vertreter nicht ausgleichen können – Bhend schätzt die Umsatzeinbußen der vergangenen Jahre durchgängig auf 30 bis 40 Prozent. Diese versuche man mit zusätzlichen ­Verlagen in der Tasche wettzumachen; wenn möglich natürlich ohne Qualitätseinbußen bei der Beratung. Kein Vergleich also mit den goldenen Zeiten der 80er und 90er Jahre, als es bei Bestsellern noch eine Umsatzbeteiligung gab und Vertreter tatsächlich richtig viel verdienen konnten, zumindest wenn ­ihnen das entsprechende Glück in Buchform zufiel.

Parkgebühren und Staus

Rita Draeger hat diesen Wandel miterlebt, sie reist seit 34 Jahren als fest angestellte Exklusiv­vertreterin für Suhrkamp durch Deutschland. "Mein Einkommen bewegt sich im Rahmen eines guten Sortimentergehalts. Vor 20 Jahren wurde ich wegen meines festen Gehalts ohne Provision bemitleidet, heute werde ich darum beneidet – die Situation hat sich total verändert." Zu den vielen sich summierenden Alltagsbelastungen gehören etwa die 200 Euro Parkgebühren, die in einem Reisemonat durchschnittlich anfallen. Und erst recht die Zeitspanne, bis man erst einmal auf einem Parkplatz steht: Der stark gewachsene Verkehr macht sowohl Planung als auch Regeneration schwieriger. "Staus empfinde ich inzwischen als das Anstrengendste in meinem Beruf", so Draeger. 
Richard Bhends Entscheidung, alle Reisen im Erste-Klasse-Abteil der Bahn zu machen, mag in der kleinräumigen Schweiz mit dichtem Fahrplan ein Ausweg sein, in Deutschland ist das oft gar nicht machbar. "Die Straßen sind alle verstopft, weil die Logistik heute nicht mehr in einem Lager, sondern auf der Straße stattfindet", urteilt Draeger. "Wollen wir wirklich so ­leben, dass alle ihre Ware zu Hause am Computer bestellen, während die Innenstädte veröden und die Begegnungsräume absterben? Darüber macht sich unsere Gesellschaft meiner Meinung nach viel zu wenig Gedanken."

Allerdings setzt bei diesem Punkt auch die Zukunfts­perspektive des stationären Buchhandels ein: als kraftvoller geistiger Kontrapunkt zu Verflachung und Vereinsamung. Drae­ger hat festgestellt, dass sich viele gut sortierte Buchhandlungen in Vor- und Kleinstädten in jüngster Zeit prosperierend entwickeln, gerade weil die Kundschaft wegen Verkehr und Stress nicht mehr in die Großstadt zum Einkaufen fahren will. Und sie ist nicht die einzige Verlagsvertreterin, die eine erfreuliche Stabilisierung bei den mittelgroßen Buchhandlungen feststellt. "Die Konsolidierung findet auf einem niedrigeren Niveau statt, aber der Buchhandel hat sich darauf ­eingestellt", meint die langjährige dtv-Vertreterin Petra ­Heuckeroth. "Buy-local-Initiativen greifen um sich und werden von den Buch­handelskunden goutiert." Und Verlagsvertreter Christian ­Geschke aus Leipzig beobachtet, dass sich die Stimmung im Buchhandel "seit zwei Jahren deutlich verbessert hat. Das hängt auch damit zusammen, dass die großen Ketten nicht mehr expandieren, sondern sich eher zurückziehen, und sich doch einige Kunden ein paar Gedanken darüber machen, ob sie die Arbeitsbedingungen bei Amazon unterstützen wollen."

Glücksfaktor Arbeit 

Geschke ist ein weiteres Beispiel dafür, dass jeder Verlag und jeder Verlagsvertreter einen individuellen Weg sucht, um verschiedensten Ansprüchen zu genügen. Sechs kleinere Verlage haben sich vor sechs Jahren zur Buchkoop ­Konterbande zusammengeschlossen. Geschke arbeitet dort als angestellter Vertreter, der ganz Deutschland bereist (außer ­Baden-Württemberg) und eine Auslieferung mit gebündelten Verlagskonditionen anbietet. 53 Reisetage mit 200 Terminen: Das ist ein übliches Volumen einer Halbjahres-Vertreterreise. ­Bedingt durch das riesige Reisegebiet übernachtet Geschke bei Verwandten, in Verlagswohnungen oder Hotels. Danach ist er meistens ziemlich erschöpft. 
Die Sicherheit eines fixen Gehalts und abgedeckter Versicherungen bedeutet ihm als Familienvater viel. "Wenn ich bei meinem angestammten Beruf in der Bank geblieben wäre, hätte ich jetzt wohl ein größeres Gehalt, dafür vielleicht keinen Magen mehr. Ich kann als Verlagsvertreter für eine inspirierende Branche arbeiten, und das macht mich sehr glücklich." Er sieht sich dabei nicht nur als verbindendes Element zwischen Verlag und Buchhandlung, sondern für die ganze Branche. "Buchhändler möchten wissen, was in der Nachbarstadt los ist, wo welche Trends und Entwicklungen stattfinden. Wir Vertreter merken deutliche regionale Unterschiede und können in diesem Sinne gut beraten."

Dass diese Art von umfassendem Branchenaustausch zuweilen an Luxus grenzt, zeigt das Beispiel von Ines Schäfer in Wiesbaden: Sie vertritt seit fünf Jahren diverse kleine Verlage auf ­Honorarbasis telefonisch bei Buchhandlungen, arbeitet dabei auch mit Präsentationen auf ihrer Homepage verlagsvertre­tung-schaefer.de. "Die Idee war, eine Lücke zu schließen für ­Verlage, die sich eine reisende Vertretung nicht leisten können." Und gerade die Bücher von kleinen Spezialverlagen finde ja niemand aufs Geratewohl bei Amazon, sondern nur ausgelegt in der Buchhandlung. Kann sie selbst davon leben? "Ich habe mich immer im alternativen Bereich bewegt und bin es gewöhnt, mit wenig Geld auszukommen und dafür zu machen, was Spaß bringt und Sinn stiftet", sagt Schäfer.

Partner der Buchhändler 

Große Buchhandelsketten sind in den 90er Jahren dazu übergegangen, ihre Filialen mit einem zentralen Einkauf auszustatten und Verlagsvertreter höchstens für Informationstermine einzuladen. Im unabhängigen Buchhandel dagegen ist ein Abbau kein Thema. "Durch die unbarmherzige Menge an verlegtem Blödsinn sind wir Buchhändler mehr denn je darauf angewiesen, zuverlässig aufgeklärt und beraten zu werden. Und das schafft in den meisten Fällen immer noch der Verlagsvertreter", meint nicht nur Klaus Bittner von der Kölner Buchhandlung Bittner. Für seinen Kollegen Gerd Maschmann von der Stiftsbuchhandlung in Nottuln sind die Vertreterbesuche die "absolute Grundlage für ein gutes und vor allem tiefes Sortiment, das uns von den großen Filialisten abhebt".

Oliver Hartlieb kann das Thema gleich von mehreren Seiten beleuchten: Nach einer Ausbildung zum Sortimentsbuchhändler war er bei Rowohlt erst Verlagsvertreter, dann Leiter Marketing Organisation, seit 2005 ist er mit seiner Frau Inhaber von Hartliebs Bücher in Wien und seit Juni dieses Jahres ­Geschäftsführer für Vertrieb und Marketing bei Rowohlt. "Besonders für Buchhandlungen mit Belletristik und Kinderbüchern sind die Vertreterbesuche elementar", sagt er. "Der Beruf unterliegt allerdings einem steten Wandel und ent­wickelt sich parallel zum Markt." 

Hartlieb geht davon aus, dass sich der Bestellvorgang auch bei kleineren Buchhandlungen vom Vertreter wegbewegen wird. Mit den digitalisierten Vorschauen werde die Bedeutung der Beratertätigkeit hingegen steigen, weil alles uniformer und erklärungsbedürftiger werde. Auch die Repräsentations­leistung bleibe bedeutsam: "Buchhändler möchten Geschichten aus dem Verlag erfahren, um Bücher inhaltlich zu transportieren, und die Verlage sind auf Meinungen und Trends aus den Buchhandlungen angewiesen."

Beim Hanser Verlag hat jeder Vertreter ein Pendant im Innendienst, damit ein intensiver Kontakt zwischen Haus und Buchhandlungen möglich wird. Vertriebsleiterin Bettina Schubert hält die reisenden Vertreter für unersetzlich: "Wir können den Vertrieb besser steuern, wenn jemand Kenntnis von der Konkurrenzsituation vor Ort hat und die Buchhandelslandschaft gut kennt." Der stationäre Buchhandel habe seine eigenen Regeln: "Wir erleben immer wieder, wie der Handel bei einem Lieblingsbuch sehr schnell sehr viel bewegen kann – was sich im klassischen Onlinehandel so nicht niederschlagen würde." Hanser arbeitet in Deutschland mit sieben freien Verlagsvertretern. Für eine feste Anstellung habe man eine ­kritische Größe, merkt Schubert an.

Exklusivität als Marketingkonzept 

Diogenes gehört zu den Verlagen, die konsequent mit exklusiven Vertretern arbeiten: eine fest angestellte Verlagsvertreterin in der Schweiz und in Österreich, exklusive freie Verlagsvertreter in Deutschland. Diogenes-Vertreterin Dominique Siegrist sieht die Vorteile dieses Modells für sich selbst – sie kann die Bücher weit­gehend alle lesen – und für den Verlag, der sehr persönlich auftreten kann. "Mit dem Exklusivmodell können wir sehr viele Hintergrundinformationen zu Büchern, Verlag und Autoren im Buchhandel verankern", sagt sie. Diogenes-Vertriebsleiter ­Ulrich Richter betont, dass diese Art des Außendiensts zum Marketingkonzept des Verlags gehört: "Wir wollen uns damit positiv abheben. Die Vertretergespräche werden in Zukunft noch mehr in Richtung Spezialberatung gehen. Es müssen also Informationen zur Verfügung stehen, die man nirgends sonst erhält."

Kennt der Vertreter Zukunftsängste?

Mario Max war ein Jahrzehnt lang einer dieser exklusiv arbeitenden freien Diogenes-Vertreter für Bayern und hat sich zum Jahresanfang neu aufgestellt als freier Vertreter, unter anderem für die Aufbau-Gruppe. Das Logo seines neuen Geschäfts ist ein fröhlich lachender Vertreter, der mit Büchern wie mit einer Handorgel durch die Welt läuft – eine Illustration von Thomas M. Müller, Professor an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Dieser "rasende Max" passt. "Ich möchte die Dynamik im Buchhandel miterleben und mich als Teil davon verändern", erklärt Mario Max seine Neupositionierung. "Es wäre fahrlässig zu glauben, wir wären im Buchhandel bereits an der Talsohle angekommen." 
Trotzdem zieht auch er eine recht positive Bilanz zur neuesten Entwicklung im Buchhandel: "Wenn eine Buchhandlung unverwechselbar wird im Ort – von diesem Moment an hat man gewonnen. Qualität setzt sich durch, das ist meine Erfahrung." Büchervermittlung werde immer über Vertrauensverhältnisse laufen. 
Das gilt auch für seinen Beruf: Ein Verlagsprogramm wird erfolgreicher, wenn es mit einer bestimmten Person verknüpft wird. "Und durch das aufgebaute Vertrauensverhältnis traut man sich als Händler dann auch mal was. Damit kommt viel Bewegung ins Spiel." Kennt der Vertreter Zukunftsängste? "Ach, da fragen Sie einen Optimisten durch und durch."