In dem Antrag für die Hauptversammlung heißt es wörtlich:
"Vorstand und Hauptamt werden beauftragt zu prüfen, ob zukünftig eine Doppelspitze in der Führung des Börsenvereins sinnvoll ist und welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um sie in die Praxis umzusetzen."
In der Begründung schreibt York Bieger: "Die Aufgaben des Börsenvereins werden immer differenzierter: Neben der Digitalisierung des Medienmarktes sind hier vor allem politische und kulturelle Herausforderungen zu nennen. Nach innen gilt es, zurzeit drei, in Zukunft evtl. weiteren Sparten eine ausgewogene Repräsentanz zu sichern. Die Aufgaben einer Vorsteherin oder eines Vorstehers sind integrativer, repräsentativer, kreativer, politischer Natur. "
Zudem erfordere die zunehmende Differenzierung eine sowohl tiefere als auch breitere Sachkenntnis. Der Börsenverein sei ein immer wichtigerer und gefragterer Gesprächspartner auch bei politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Fragestellungen, so Bieger: "Er ist gut beraten, wenn seine führenden Repräsentanten auf den jeweiligen Feldern kompetent und eloquent auftreten können. Angesichts der wachsenden Vielseitigkeit der Fragestellungen kann eine Person das immer weniger für die jeweiligen, auch differenzierter werdenden Zielgruppen auf ehrenamtlicher Basis leisten beziehungsweise die Ressourcen dafür aufbringen."
Es sei noch nie leicht gewesen, Kandidatinnen oder Kandidaten für das Vorsteheramt zu finden, schreibt Bieger weiter, durch den zunehmenden Arbeits-und Verantwortungsdruck dürfte sich das Problem in Zukunft verstärken. "Die Praxis zeigt, dass es Verlagen aus strukturellen Gründen leichter fällt als dem Sortiment, Kräfte für ehrenamtliches Engagement zur Verfügung zu stellen. Das birgt die Gefahr eines strukturellen Übergewichts der Verlage und führt zu einem weiteren Rückzug der Sortimente. Eine Teilung des Amtes auf zwei Personen könnte die Schwelle senken."
Für Bieger wäre es dabei allerdings wichtig, darauf zu achten, dass beide Vertreter*innen aus unterschiedlichen Sparten kommen, nicht gleichen Geschlechtes sind und auf Grund ihrer jeweiligen Kompetenz und Persönlichkeit zusammen die ganze Bandbreite der Anforderungen an das Amt abbilden. Die "erzwungene" Suche nach zwei ersten Repräsentanten aus unterschiedlichen Sparten wäre sicher nicht bequem, meint Bieger, "könnte aber den begonnenen, auf mehr direkte Mitgliederkontakte und -beteiligung angelegten Reformprozess unterstützen."
Noch keine Auswirkung auf die aktuelle Vorstandswahl
Die Hauptversammlung des Börsenvereins wird am 19. Juni über den Antrag zu entscheiden haben. Wie berichtet, stehen beim Mitgliedertreffen in Berlin auch Vorstandswahlen an (zur kompletten Tagesordnung geht es hier, zur Anmeldung hier). Um das Vorsteher-Amt bewerben sich Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs (Hermann Schmidt Verlag, Mainz) und Zwischenbuchhändler Stefan Könemann (Barsortiment Könemann).
Sollte die Hauptversammlung dem Antrag von York Bieger zum Thema Doppelspitze folgen, wird der Vorschlag die aktuell anstehende Wahl allerdings nicht mehr betreffen - zumal das Briefwahlverfahren bereits läuft (die Frist zur Anforderung der Unterlagen endet am 8. Juni, Details dazu hier). Beantragt werde keine konkrete Satzungsänderung, sondern lediglich ein Prüfauftrag an Vorstand und Hauptamt, der dann in den kommenden Monaten auszuführen sei, so die rechtliche Einschätzung von Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang.
Alle Informationen zur Vorstandswahl, zu den Kandidaten und zum komplexen Wahlverfahren in unserem Dossier auf boersenblatt.net.
Die Aufgabe der Vorsteherin oder des Vorstehers ist ja nicht alles alleine zu machen, sondern den Vorstand zu moderieren. Man kann die einzelnen Vorstandsmitglieder deutlich stärker in die aktive Arbeit einbinden und mit Resortzuständigkeiten versorgen, wie das ja im VA sehr gut funktioniert. Niemand braucht Frühstücksdirektoren, die zu Sitzungen kommen und zwischen Sitzungen nicht existieren.
Ein Problem bleibt der Zeitaufwand bei den repräsentativen Aufgaben. Da wird immer erwartet, dass das die Vorsteherin oder der Vorsteher macht. Aber wer erwartet das konkret? Die Politik kaum, denn die kennen ja die jeweilige Person immer nur kurzfristig und projektbezogen. Da ist die Präsenz des Hauptgeschäftsführers vermutlich viel wichtiger. Und ob beim Vorlesewettbewerb oder anderen Events nun die eine oder die andere Person den Verband repräsentiert, das ist wohl auch den Schülern etc. recht egal. Anders dürfte das bei Branchenveranstaltungen sein. Da will man natürlich den Chef haben. Aber vielleicht müssen wir da einfach umlernen und weniger auf solche alten Rituale setzen und eine moderne, effiziente Arbeit bevorzugen.
Doppelspitzen, das ist meine Erfahrung, schaffen fast immer enorme Reibereien. Es gibt sicher Glücksfälle, in denen das gut geht. Aber unsere Satzung sollte nicht auf seltene Glücksfälle sondern auf die Normalität ausgerichtet sein.
Bleibt die ernste Frage, ob eine Verlegerin Sortimentsinteressen vertreten kann. Mal umgekehrt: haben die Verlage das Gefühl, dass sie im Verband in der Ära Riethmüller durch ein tiefes sechsjähriges Tal der Tränen gegangen sind? Ich glaube nicht. Haben die kleinen Sortimenter das Gefühl, dass sie sechs Jahre lang im Eldorado waren und jetzt droht eine Krisenphase? Auch nicht.
Auch wenn bei jeder Wahl erneut behaptet wird: der Kandidat kann unsere Interessen keinsfalls vertreten, den müssen wir verhindern, dann war das früher und ist das heute schlichter Blödsinn und ein mieses Wahlkampfargument. Man müsste unterstellen, wer so denkt, der würde selbst so handeln. Aber selbst das glaube ich nicht.