Buchtage Berlin: Logistikumfrage vorgestellt

Bestellverhalten als Solo-Nummer

17. Juni 2019
von Sabine Cronau
Nur ein einziges Exemplar pro Rechnungsposition? Im Geschäftsalltag der Verlagsauslieferungen eher die Regel als die Ausnahme. Die aktuelle Logistikumfrage des Börsenvereins zeigt, wo der effiziente Warenfluss der Branche momentan noch ins Stocken kommt.

"Die Bestellstruktur ist aus logistischer Sicht katastrophal": Dieses Fazit lässt sich in der jüngsten Logistikumfrage des Börsenvereins nachlesen, die der Ausschuss für den Zwischenbuchhandel am 18. Juni auf den Buchtagen Berlin vorgestellt hat. Die Zahlen und fachlichen Kommentare zeigen auch diesmal wieder sehr klar, bei welchen Kennziffern der Logistikkette der brancheneigene Anspruch an Effizienz und Kostenbewusstsein noch lange nicht eingelöst wird.

So macht eine detaillierte Analyse der Rechnungsstruktur in den teilnehmenden Verlagsauslieferungen deutlich, dass der Buchhandel 2018 im Schnitt zwar 54,1 Exemplare pro Rechnung und 6,91 Exemplare pro Position bestellt hat  – sich aber über die Hälfte aller Bestellpositionen (52,4 Prozent) auf ein einzelnes Exemplar bezieht, sich mengenmäßig also letztlich auf dem Niveau einer Privatkundenbelieferung bewegt.

Auslöser dieser Entwicklung seien große Kunden, die jeweils ein Exemplar nachbestellen würden, sobald eines verkauft sei – "sowie eine allgemeine Zurückhaltung, größere Mengen zu ordern und damit größere Risiken einzugehen", kommentiert Stephan Schierke, Vorsitzender des Ausschusses für den Zwischenbuchhandel und Geschäftsführer der VVA, die frisch erhobenen Zahlen.

Die Crux dabei: "Die im Vergleich zu früher deutlich höhere Auslieferungsgeschwindigkeit der Verlagsauslieferungen ermöglicht beziehungsweise fördert eine solche Bestellstrategie", betont Schierke. "Lediglich Bestseller werden in größeren Stückzahlen geordert."

Rund 60 Prozent des Marktes werden abgebildet

An der Erhebung für 2018 haben sich acht Verlagsauslieferungen beteiligt, ebenso viele wie im Vorjahr. Mit einem Gesamt­umschlag von 2,360 Milliarden Euro (print und digital, jeweils zu Nettoabgabepreisen) repräsentieren die Teilnehmer rund 60 Prozent des Markts. Das Wachstum von 1,1 Prozent bewege sich parallel zur Entwicklung des Gesamtmarkts, resümiert Stephan Schierke. Im Printgeschäft wurden dabei 2,197 Mil­liarden Euro umgeschlagen.

Ein Blick auf die Kundenstruktur der teilnehmenden Verlagsauslieferungen zeigt: Der stationäre Handel verliert weiter an Boden, bleibt mit einem Umsatzanteil von 50,9 Prozent aber mit großem Abstand wichtigster Abnehmer, den Bezug über das Barsortiment noch nicht eingerechnet. Im Jahr davor lag die Quote mit 51,1 Prozent nur geringfügig höher, im Mehrjahresvergleich spiegelt sich jedoch ein deutliches Gefälle wider: Denn 2014 kam das stationäre Sortiment noch auf 55,7 Prozent. Damit ist sein Umsatzanteil in den vergangenen fünf Jahren um fast fünf Prozentpunkte geschrumpft.

Kräftig zugelegt hat dagegen das Exportgeschäft der Auslieferungen (inklusive Österreich und Schweiz, aber ohne Amazons Lagerbewegungen in Polen und Tschechien): Verkäufe ins Ausland machen mittlerweile 15 Prozent des ­Kuchens aus (Vorjahr: 14,8 Prozent, 2014: 11,4 Prozent). Im Online- und Versandhandel gibt es dagegen vergleichsweise wenig Bewegung: Hier ­kletterte der Anteil zwischen 2014 und 2018 von 9,2 auf 10,3 Prozent. Mit Endkunden erzielen die Auslieferungen gerade mal 3,2 Prozent ihrer Umsätze, ebenso viel wie 2014. Die Kleinteiligkeit der Rechnungsstruktur hängt also nicht mit diesem Kundenkreis zusammen.

Die Titel drehen sich immer langsamer

Ernüchternd sind die Zahlen zum Lagerumschlag im Printgeschäft, der sich seit 2014 um 10 Prozent verlangsamt hat (von 1,23 auf 1,09 im Jahr 2018). "Im Umkehrschluss führt dies ceteris paribus zu einer Verteuerung der Lagerhaltung um rund 10 Prozent", so Schierke. Die Logistikumfrage 2019 leuchtet das Thema wegen der Bedeutung für die gesamte Branche etwas genauer aus:

  • Die gelagerten Exemplare pro Titel und auch die Zahl der Lagerpaletten pro Titel sind leicht rückläufig und von daher kein Erklärungsansatz für den sinkenden Lagerumschlag.
  • Die Gründe liegen im Abverkauf: Ein gelagerter Titel wird durchschnittlich 753 Mal pro Jahr und damit täglich nur zwei bis drei Mal verkauft – über alle Verkaufsstellen hinweg. Im Vorjahr lag dieser sogenannte Nettoabsatz (um Remittenden saldiert) noch bei 817 Exemplaren pro Titel. "Bezogen auf konservativ angesetzte 4.000 relevante Verkaufsstellen entspricht der Wert 2018 einer Verkaufswahrscheinlichkeit von gerade mal 20 Prozent", analysiert Schierke. Anders formuliert: Ein Titel wird im Schnitt nur in jeder fünften Verkaufsstelle überhaupt verkauft – und zwar im Mittel genau einmal im Jahr.

Ein Verweis auf die Titelflut wäre Schierke hier zu kurz gesprungen. "Der zunehmende Fokus auf den Mainstream scheint mir ein ebenso wichtiger Grund zu sein. Umso wichtiger sind Buchhandlungen, die mithilfe der Preisbindung auch Bücher und Themen jenseits des Mainstreams bedienen."

Remissionsquote von mehr als acht Prozent

Als "unauffällig" bezeichnet der Zwischenbuchhändler dagegen die Remis­sionsquote, die sich mit 8,49 Prozent vom Umsatz im mehrjährigen Mittel bewegt: "Inwieweit eine Quote von über acht Prozent gesund ist oder nicht, darüber kann sicherlich gestritten werden", meint Schierke. Die Logistikumfrage belegt für ihn jedoch sehr deutlich, dass ein allzu forscher Einkauf nicht der Grund für die hohe Remissionsquote sein kann – sonst wären die vielen erwähnten Einzelexemplare pro Rechnungsposition schwer zu erklären. Mögliche Interpretationen:

  • Eine Remissionsquote von rund acht Prozent ist schlicht "normal",
  • es gibt zu viele unverkäufliche Titel
  • "oder aber der Zeitgeist führt zu immer schnellerem Aufmerksamkeitswechsel und damit zu Titelaustausch", so Schierke.   

Auch wenn die Branche immer wieder über die Höhe der Remissionsquote diskutiert: Die Grafik zeigt, dass die Händler an Remissionen offenbar kos­tenbewusster herangehen als an so manche Bestellung. Während der Wert je Rechnung bei 299 Euro liegt, summiert sich der Wert je Gutschrift auf 491 Euro: "Bei Remissionen wird stärker gebündelt", so Schierke – und es würden auch nur "lohnende" Titel remittiert. Das lässt sich daran ablesen, dass der Wert je Remittende aktuell bei 7,51 Euro liegt, der Wert je bestelltem Exemplar dagegen nur bei 5,53 Euro.  

Bei der Bestellstruktur haben die EDV-Aufträge einen neuen Höchststand erreicht. Ihre Quote am gesamten Be­stell­aufkommen in den Verlagsauslieferungen ist 2018 auf 85,8 Prozent geklettert. Vor fünf Jahren lag diese Kennziffer noch bei 81,3 Prozent. "Auch bei den Reiseaufträgen werden manuelle Bestellungen erfreulicherweise zusehends bedeutungslos", fasst Schierke zusammen.

Licht und Schatten liegen allerdings dicht beieinander. Denn eine genaue Analyse der EDV-Aufträge zeigt: Die Nutzung der Bestellanstalten (Barsortimente / IBU) geht zurück – zugunsten einer Direktanbindung über die Auslieferung. Für die Branche sei das schlecht, meint Schierke, denn die Kosten einer Direktanbindung seien letztlich höher als die Kosten der Bestellanstalten. Die Auslieferungen würden sich trotzdem für die Direktanbindung entscheiden, weil der Preis für den Service der Bestellanstalten zu hoch sei und sich über viele Jahre hinweg trotz aller technologischen Fortschritte nicht reduziert habe.

Schlechte Nachrichten gibt es von der Sendungsstruktur: Die Anzahl kleiner Packstücke nimmt weiter zu. Jedes dritte wiegt unter zwei Kilo, Tendenz steigend. Bei den Transportwegen gewinnt der Büchersammelverkehr, der in den Vorjahren Federn lassen musste, erstmals Marktanteile zurück: Er kommt 2018 auf einen Anteil von 45,6 Prozent an allen Packstücken, 2017 waren es 44,4 Prozent gewesen. Paketdienste und Post haben im Gegenzug leicht verloren.

So läuft das Digitalgeschäft der Auslieferungen
    
Neben dem Printgeschäft erfasst die Logistikumfrage auch die digitalen Umsätze der Verlagsauslieferungen – sie werden seit 2014 miteinbezogen und analysiert. Der digitale Gesamtumsatz der Umfrageteilnehmer zu Nettoabgabepreisen belief sich 2018 auf 162,8 Millionen Euro – "ein moderates Wachstum von knapp vier Prozent", so Digitalexperte Jens Klingelhöfer als Mitglied im Ausschuss für den Zwischenbuchhandel.

Dass der Wert unter dem digitalen Umsatzwachstum von 9,3 Prozent liegt, das die GfK für den E-Book-Markt 2018 meldet, erklärt Bookwire-Mitgründer Klingelhöfer neben anderen Faktoren mit der unterschiedlichen Abgrenzung der Erhebungen: Die GfK ermittelt den Umsatz nach Konsumentenpreisen (am Publikumsmarkt, ohne Schul- und Fachbücher), die Logistikumfrage betrachtet die Erlöse, die bei den Verlagen ein­gehen (nach Abzug des Rabatts). Der Langzeitvergleich zeigt: Kumuliert sind die Digitalumsätze der Verlage seit 2014 um stolze 25,07 Prozent gestiegen, auch wenn die Wachstumskurve abflacht.

Während die Anzahl der belieferten Händler je Teilnehmer im vergangenen Jahr nahezu unverändert blieb (62,4 gegenüber 62,8 im Jahr 2017), ist die Anzahl der Verlage, die von den Auslieferungen im E-Book-Geschäft betreut werden, von 2017 auf 2018 um 6,5 Prozent gestiegen: von knapp 142 auf gut 151 Verlage pro Umfrage-Teilnehmer. "Einige neue oder bisher nicht digital aufgestellte Verlage haben somit 2018 angefangen, E-Books zu verkaufen", so Klingelhöfer.

Jede Auslieferung, die an der Logistik­umfrage 2019 mitgewirkt hat, hält im Durchschnitt fast 54.000 verschiedene E-Book-Titel bereit – das sind rund 12.000 mehr als im Vorjahr und entspricht einem Zuwachs von 29 Prozent "Die digitalen Kataloge wachsen also weiter überproportional zur Umsatzentwicklung", kommentiert Klingelhöfer diese Zahl.

Die Rangliste der digitalen Formate an allen lieferbaren E-Book-Titeln wird mit großem Abstand vom EPub-Standard angeführt (64 Prozent), auf Platz 2 folgt PDF mit 35 Prozent, Mobipocket kommt auf 21,4 Prozent, bei fallender Tendenz. Multimediale Formate wie KF8 (Kindle) oder Fixed Layout spielen eine untergeordnete Rolle.

Aufschlussreich ist zudem ein Blick auf die Kundenstruktur: Digitale Verleihmodelle gewinnen an Gewicht und haben im vergangenen Jahr die 10-Prozent-Marke geknackt  ("All you can read" und Bibliotheksmodelle, Umsatzanteil: 10,03 Prozent, Vorjahr: 8,64 Prozent). Endabnehmer, etwa Privathaushalte, Institutionen, Unternehmen, spielen ebenfalls eine immer größere Rolle. Ihre Quote am Digital­umsatz kletterte von 4,48 auf gut 6 Prozent. Attraktiv ist auch das digitale Auslandsgeschäft: 21 Prozent der fakturierten Exemplare gingen, ähnlich wie im Vorjahr, virtuell über die Grenze – rund 70 Prozent davon nach Österreich und in die Schweiz.

Alle Ergebnisse der Logistikumfrage sind für Mitglieder des Börsenvereins ab 24. Juni abrufbar unter der Web-Adresse boersenverein.de/199507.