Branchen-Monitor Buch 01-06/2019 Deutschland, Österreich, Schweiz

Dynamik unterm DACH

18. Juli 2019
von Christina Schulte
Der Buchhandel in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat das erste Halbjahr positiv abgeschlossen. Detailzahlen aus dem Branchen-Monitor Buch zeigen, wie das Geschäft jeweils bei den Filialisten und den Bucheinzelhändlern gelaufen ist. 

Drei Länder, drei Buchmärkte und jede Menge hochinteressanter Branchenzahlen. Erstmals beleuchtet das Börsenblatt gemeinsam mit den Marktforschern von Media Control die Halbjahresentwicklung im DACH-Raum – und das sogar granular im Vertriebsweg Sortimentsbuchhandel, für den die Zahlen der Filialisten und des Bucheinzelhandels getrennt vorliegen. Damit ergeben sich tiefe Einblicke, wie sich die beiden Absatzkanäle im Vergleich zueinander entwickeln, sei es bei Umsatz, Absatz, Preisen, Warengruppen oder Toptiteln. Aber der Reihe nach.

Von Januar bis Juni hat der österreichische Buchhandel über alle Vertriebswege hinweg (Sortimentsbuchhandel, E-Commerce und Nebenmärkte) die beste Leis­tung abgeliefert und 2,7 Prozent hinzugewonnen. Auf Platz 2 folgt Deutschland mit einem Plus von 2,3 Prozent, den dritten Platz belegt die Schweiz mit 1,2 Prozent. Alles im grünen Bereich also. Die höchste Absatzsteigerung von einem Prozent geht ebenfalls auf das Konto Österreichs, bei den Preisen hingegen verzeichnet Deutschland mit 2,5 Prozent den größten Zuwachs. Deniz Ulucan, Leitung Buch bei Media Control, erklärt das Umsatzwachstum vor allem mit der Entwicklung im E-Commerce: "In allen drei Ländern gewinnt der On­linehandel hinzu, in Österreich sogar überproportional. Das befeuert die Umsätze."

Die erfolgreichsten Filialisten kommen übrigens aus Deutschland: Ihre Einnahmen kletterten um 1,7 Prozent nach oben, in Österreich wuchs der Umsatz in den Filialunternehmen um 0,8 Prozent, anders bei den Filialisten in der Schweiz: Sie verpassten ihren Vorjahresumsatz um 1,4 Prozent. Die erfolgreichsten Bucheinzelhändler sind die eidgenössischen, die mit einem Plus von 2,9 Prozent aufwarten können. In Deutschland sind es immerhin noch 0,9 Prozent, die Österreicher bilden mit minus 2,6 Prozent das Schlusslicht.

Die höchsten Preise werden in der Schweiz aufgerufen, ein Buch kostet dort im Durchschnitt 21,37 Schweizer Franken (19,50 Euro), in Österreich sind es 14,59 Euro und in Deutschland 13,58 Euro.

Deutschland im Detail 

Vergleicht man die Performance des deutschen Bucheinzelhandels und der Filialisten in Deutschland, lässt sich erkennen: Die Einzelhändler sind wesentlich stärker in das Jahr gestartet als die Filialisten, lagen im ersten Quartal noch vorn. Dann hat sich durch den Oster-und Pfingsteffekt das Blatt gewendet und die Filialisten konnten das Rennen mit einem Umsatzplus von 1,7 Prozent für sich entscheiden (Einzelhandel: plus 0,9 Prozent). Entsprechend hatten die Filialisten auch in puncto Preis und Absatz einen Vorsprung.

Wo kommt der Vorsprung her? Welche Warengruppen laufen bei den Filialisten, welche bei den Bucheinzelhändlern am ­besten? Vorweg gesagt: Die Sachbücher, die dem Handel schon seit Monaten Freude bereiten, haben über beide Absatzwege hinweg kräftig Boden gutgemacht und legten die erfolgreichste Entwicklung hin: plus 12,1 Prozent, bis auf die Zehntel-Stelle hinter dem Komma synchron. Ähnliche Verläufe, allerdings im negativen Bereich, gibt es auch für die Belletristik mit minus 0,5 Prozent bei den Filialisten und minus 0,3 Prozent im Einzelhandel. Anders sah es bei den Kinder- und Jugendbüchern aus, ein ­Gebiet, das normalerweise von den Bucheinzelhändlern ausgiebig beackert wird – dort aber nur 0,8 Prozent hinzugewinnt, während es bei den Filialisten stattliche 3,6 Prozent sind.

Lohnenswert ist auch der Blick auf das Preisniveau, das im Bucheinzelhandel quer durch alle Warengruppen höher liegt als bei den Filialisten – in der Belletristik etwa um 1,12 Euro (Durchschnittspreis: 13,12 Euro). Bemerkenswerte Unterschiede gibt es bei Naturwissenschaften, Medizin – im Buch­einzelhandel gehen diese Werke für 32,50 Euro über die Ladentheke, bei den Filialisten für 26,91 Euro. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Sozialwissenschaften, Recht und Wirtschaft (Filialisten: 17,84 Euro, Einzelhandel: 21,64 Euro).

Unterschiede ergeben sich auch bei den Halbjahresbestsellern über alle Warengruppen hinweg. In den Top Ten sind sieben Titel deckungsgleich, drei haben die Vertriebskanäle jeweils exklusiv. In Deutschland überall klarer Liebling der Leser: "Becoming" von ­Michelle Obama, bei den Einzelhändlern an der Spitze notiert und bei den Filialisten auf dem zweiten Platz zu finden. "Mittagsstunde" von Dörte Hansen, ein Lieblings- und Empfehlungstitel der Buchhändlerinnen, platziert sich im Einzelhandel auf dem zweiten Rang, bei den Filialisten schafft er es nicht in die Top Ten. Erfolgreiche Backlisttitel wie "Die Geschichte der Bienen", "Das Café am Rande der Welt" und "Eine kurze Geschichte der Menschheit" tauchen nur bei den Filialisten auf.

Österreich im Detail 

In der Alpenrepublik klafft zwischen Bucheinzelhandel und Filialisten eine viel größere Lücke als in Deutschland. Von Jahresbeginn an konnten die Filialisten einen erklecklichen Vorsprung herausarbeiten. Im Januar starteten sie mit plus 1,6 Prozent, während die Einzelhändler mit einem Minus von 4,5 Prozent leben mussten (siehe Interview unten). Diese Tendenz hat sich fortgesetzt, sodass die Filialisten ihren Vorjahreswert von Januar bis Juni um 0,8 Prozent übertreffen konnten, die Bucheinzelhändler hingegen Mindereinnahmen von 2,6 Prozent verbucht haben. Dabei litten sie vor allem unter einem Absatzrückgang von 5,8 Prozent. Selbst die um 3,4 Prozent höheren Buchpreise konnten dem nicht entgegenwirken, sondern den Effekt lediglich abmildern. Von einem Absatzrückgang war bei den Filialisten nichts zu sehen – im Gegenteil, sie verteidigten ihr Revier mit einem leichten Mengenplus von 0,3 Prozent.

Am meisten erfreuten die Kinder- und Jugendbücher die Filialisten. Dieser wichtigen Warengruppe gelang ein Sprung von 5,5 Prozent, im Einzelhandel schnitt sie mit minus 6,1 Prozent um ganze 11,6 Prozentpunkte schlechter ab. Dagegen präsentierte sich das Thema Reise im Bucheinzelhandel wesentlich stärker (plus 4,3 Prozent), bei den Filialisten schlug hier ein Minus von 4,7 Prozent zu Buche. Die größte Differenz trat bei Sozialwissenschaften, Recht und Wirtschaft auf – den Einzelhändlern gelang ein Satz von 8,2 Prozent, die Filialisten registrierten stark gesunkenes Interesse an dieser Warengruppe (minus 13,9 Prozent).

So sehr sich die beiden Absatzkanäle bei den Warengruppen unterscheiden, so sehr unterscheiden sie sich auch bei den Bestsellern. Nur vier von zehn Titeln sind in beiden Rankings präsent. Gleichermaßen beliebt ist Reinhold Mitterlehner mit "Haltung", Platz 1 im Einzelhandel und Platz 3 bei den Filialisten. Die Nummer 1 in den Filialen, "Der Jungbrunnen-Effekt" von P. A. Straubinger u. a. belegt im Sortiment lediglich Rang 5. Und: Die Österreicher scheinen sich nicht besonders für Amerikas ehemalige First Lady zu interessieren. "Becoming" ist nur im Einzelhandel auf der Liste – und schafft es dort gerade mal auf Platz 8.

Die Schweiz im Detail 

Anders als in Deutschland und in Österreich haben sich in der Schweiz die Bucheinzelhändler gegenüber den Filialisten deutlich durch­gesetzt: Mit ihrem Umsatzplus von 2,9 Prozent lassen sie die Filialisten, die ein Minus von 1,4 Prozent bilanzieren, hinter sich (siehe Interview unten). Vor allem im Ostergeschäft (plus 26,5 Prozent) konnten die Einzelhändler punkten. Den Schwung haben sie im Mai gleich mitgenommen, mit plus sieben Prozent lief es für sie weiter wie geschmiert.

Beim Blick auf die Warengruppen ist abzulesen, dass sich die Einzelhändler vor allem in den umsatzträchtigen Segmenten Belletristik (plus 0,9 Prozent), Sachbuch (plus 5,4 Prozent) und Kinder- und Jugendbuch (plus 7,5 Prozent) viel besser präsentieren als die Filialisten (Belletristik: minus 2,9 Prozent, Sachbuch: minus 4,1 Prozent, Kinder- und Jugendbuch: plus 3,5 Prozent). Genau anders herum ist es im Fachbuch: Sowohl bei Naturwissenschaften, Medizin als auch bei Sozialwissenschaften, Recht und Wirtschaft hängen die Filialisten die Einzelhändler mit beachtlichen Zuwächsen zwischen 17 und 22 Prozent locker ab.

Welche Bücher lieben die Schweizer?  "Becoming" wird bei beiden Vertriebswegen sehr geschätzt. Bei den Filialisten hat der Titel die Spitzenposition inne, im Bucheinzelhandel den dritten Rang. Lieblingsbuch im Einzelhandel ist "Das Verschwinden der Stephanie Mailer" von Joel Dicker, bei den Filialisten auf Platz 3 notiert. Unter dem Strich stimmen immerhin sechs Bestseller beider Absatzkanäle überein.

Spannend, das alles. Und spannend auch die Frage, ob der Buchhandel seine Dynamik in die zweite Jahreshälfte mitnehmen kann. Die Weichen jedenfalls sind gestellt.

Interview mit Gustav Soucek, Geschäftsführer beim Hauptverband des Österreichischen Buchhandels

2018 hat Media Control für Österreich einen Umsatzrückgang von 1,2 Prozent ermittelt, im ersten Halbjahr 2019 liegt der Buchhandel nun mit 2,7 Prozent im Plus – das beste Ergebnis im Dreiländervergleich. Woher kommt der Aufschwung?
Der Aufschwung ist mit Sicherheit auch der öffentlichen Debatte über Entschleunigung zu verdanken. Der zunehmenden Digitalisierung und dem schnellen Konsum von Texten, Bildern und Videos teilweise zu entsagen, war eine Chance für das Lesen. Diese haben wir alle gemeinsam genutzt, unterstützt und das Buch und den Buchhandel beworben. Wir hören aber auch aus dem Handel, dass der Absatz über die eigene Onlineschiene unabdingbar ist und dass zukünftiges Wachstum jedenfalls eine duale Strategie, also Bewerbung / Verkauf für den stationären Laden und Bewerbung / Verkauf via eigenen Onlineshop, benötigt.
 
Die Filialisten haben ein Plus von 0,8 Prozent eingespielt, die Buch­einzelhändler ein Umsatzminus von 2,6 Prozent. Haben die Unabhängigen in Österreich einen schweren Stand?
Jeder unabhängige Sortimenter hat immer eine gewaltige Herausforderung zu meistern. Es gibt bei uns nur ganz wenige große Filialisten, aber ganz viele einzelne Buch­händler. Kleinere Flächen, hohe Angebotsvielfalt, teure Marketingmaßnahmen, steigende Mieten und Abgaben: Darunter leiden dann vor allem die kleinen Geschäftsstrukturen, die für das Land aufgrund der Größe und Einwohnerzahl typisch sind. Und, wie oben ausgeführt, eine duale Strategie ist unerlässlich.
 
Welche Hoffnungen setzen Sie in das zweite Halbjahr?
Jede. Und da wir im Buchhandel natürlich vor allem die Weihnachtszeit brauchen und nutzen, bin ich guter Dinge, dass wir den Flow behalten. Der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels wird jedenfalls durch die zeitgerecht vor Weihnachten stattfindende Buchmesse Buch Wien alles dafür tun, das Thema Buch hochzuhalten und zu bewerben. Und bis dahin genauso.

Interview: Sabine Cronau

Dani Landolf, Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und  Verleger-Verbands (SBVV)

Der Schweizer Buchhandel verbucht ein Plus von 1,2 Prozent im ersten Halbjahr. Entspannt sich die Situation der Buchhändler, die ja jahrelang besonders schwierig war?
Die für die Schweiz aktuell relevanten Zahlen liefert GfK Entertainment. Auch hier lag der Umsatz des Deutschschweizer Buchhandels im Privatkundengeschäft mit 0,6 Prozent leicht im Plus. Die Zahlen sind Ausdruck einer leichten Entspannung im Markt, was mir ebenso einzelne Buchhändlerinnen und Buchhändler zurückmelden. Das hat sich in den vergangenen zwei Jahren abgezeichnet: Der SBVV hatte im Buchhandel erstmals mehr Neumitglieder als Abgänge zu verzeichnen, es gibt diverse gelungene Übernahmen und einige tolle neue Buchhandlungen. Aber wir müssen uns immer bewusst sein, woher wir kommen: Die letzten zehn Jahre waren sehr, sehr schwierig und geprägt von einem stetigen Umsatzrückgang. Die Geschäfte mussten überall sparen, die Luft ist bei vielen sehr dünn. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass die Stimmung im Markt positiver ist.

Was sind die Hoffnungsträger für das zweite Halbjahr?
Ich mache das lieber nicht an einzelnen Titeln fest. Wichtig ist vor allem, dass der Franken nicht allzu stark ist und wir als Branche mehr positive als negative Botschaften liefern. Nach vielen, vielen Jahren scheint doch auch bei einigen Schweizer Medien angekommen zu sein, dass die Buchbranche nicht tot ist.

Interview: Sabine Cronau