Umfrage zur Märchenbuch-Aktion der Stiftung Lesen

Große Empörung und wenig Verständnis

24. Juli 2019
von Börsenblatt
Zum Weltkindertag wollen die Stiftung Lesen und Amazon 1 Million Märchenbücher verschenken. Verteilt werden die Bücher von den Buchhandelsketten Thalia und Hugendubel. Das stößt nicht nur unabhängigen Buchhändlern sauer auf. Es gibt aber auch Rückhalt für die Aktion. Börsenblatt Online hat ein Stimmungsbild aus der Branche zusammengetragen.

Renate Reichstein, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen avj

„Warum soll eine Aktion zur Leseförderung gleich schlecht sein, bloß weil da Amazon draufsteht? Immerhin sind zwei Buchhandelsketten mit dabei und es wird auch kein Verlag durch Lizenzen bevorteilt - denn die Märchen der Brüder Grimm sind gemeinfrei. Einen kleinen Aufschrei wird es wohl auch dieses Mal geben, aber das Wesentliche ist: Es dürfte Leute geben, die zum ersten Mal in ihrem Leben durch diese Aktion überhaupt ein Buch in die Hand bekommen, daran kann ich nichts Schlechtes sehen! Eine Aktion, bei der niemand Schaden nimmt, ist es eine noch bessere Aktion.“

Susanne Lux, Nimmerland Buchhandlung, Mainz

„Was ich empörend finde ist nicht, dass die Stiftung Lesen das macht. Keine Stiftung hat eine Verantwortung gegenüber dem Buchhandel. Was mich ärgert ist die Teilnahme aus dem vertreibenden Buchhandel, denn hier ist ja der größte Teil des Buchhandels ausgeschlossen worden. Meine Kunden verstehen diese Aktion auch nicht. Eins steht fest: Den Verkauf von Märchenbüchern wird das mit Sicherheit für eine ganze Zeit abtöten.“

Folkert Roggenkamp, Geschäftsleiter der Deutschen Bibelgesellschaft

„Verlage und Buchhändler haben das Recht auf Leseförderung nicht exklusiv - und das ist gut so. Aber diese Aktion ist ein harter Schlag ins Gesicht der Buchbranche, zu der ich Amazon ausdrücklich nicht zähle. Allen daran beteiligten Unternehmen, Buchhandelsfilialisten wie Verlage, die diese Aktion abgenickt haben, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie noch alle Tassen im Schrank haben. Denn sie fällen gerade den Baum, auf dem sie so gemütlich sitzen.“

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

„Was nach Außen als sympathische Aktion im Sinne der Leseförderung daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Marketing-Maßnahme für Amazon und damit Teil seiner Strategie, einziger Intermediär zwischen Autor und Leser zu werden. Solche Aktionen, bei denen zudem der komplette unabhängige Buchhandel ausgeschlossen ist, dienen nicht dazu, einen Buchmarkt, der für Qualität und Vielfalt steht, zu fördern – sie schaden ihm. Diese Aktion ist nicht die erste der Stiftung Lesen, bei der große Teile des Buchhandels und damit zentrale Akteure der Leseförderung nicht beteiligt sind. Dies ist für uns Anlass, die Mitgliedschaft des Börsenvereins im Stifterrat der Stiftung Lesen zu überdenken.“

Stefanie Bertram-Kempf, Buchhandlung am Bach, Peiting

„Hier fragt man sich, ob der unabhängige Buchhandel noch gewünscht wird. Ein Teil - vornehmlich die Großen - der Branche darf mitspielen, dem anderen hält man die Rübe vor die Nase. Es ist Kampfansage pur an den kleinen und mittelständischen Buchhandel. Des Weiteren sollten wir uns überlegen, ob wir mit dem jeweils fälligen Mitgliedsbeitrag nicht Besseres anstellen könnten als die großen Kollegen zu füttern und bei scheinheiligen Werbekampagnen zu unterstützen - wenn auch ungewollt und ungefragt! Der Verband wird sich dem hier stellen müssen, allerdings wage ich zu bezweifeln, ob es eine plausible Erklärung gibt und diese geschaffene Schlucht wieder geschlossen werden kann.“

Karla Paul, Influencerin, Kritikerin und Lesebotschafterin der Stiftung Lesen

„Für mich ist das ‚Social Washing‘ in Reinform. Wer betreibt denn seit Jahrzehnten wirklich Leseförderung und unterstützt die Kinder vor Ort? Die unabhängigen Buchhandlungen, Kinderbuchautor*Innen und Verlage! Und jetzt mal eben mit freien Rechten etwas zu drucken und als Werbung zu verteilen ist eben genau das, Werbung bei den Kleinsten - aber keine Aktion zur Leseförderung! Amazon ist in vielem Vorreiter, zweifelsohne, aber Leseförderung ist so viel mehr als das, tägliche Arbeit vor Ort, mit den Kindern, in den Schulen, in den Kindergärten, gemeinsam mit den Eltern, Pädagogik, Erziehung, Leidenschaft! Arbeit, die oft ehrenamtlich in Kleinstarbeit stattfindet, Geduld und Fachwissen erfordert. Das bedeutet nicht, dass große Unternehmen dies nicht ebenfalls unterstützen können, ganz im Gegenteil. Aber ich sehe das hier nicht gegeben. Ich bin für jede Aktion, die Werbung fürs Buch und die Literatur macht. Diese macht aus meiner Sicht nur Werbung für Amazon und untergräbt den Rest der Branche. Ich finde es schade, dass Thalia & Hugendubel hier mitmachen und dass die Stiftung Lesen ihren guten Namen dafür hergibt.“

Karin Schmidt-Friderichs, Verlegerin Hermann-Schmidt-Verlag

„Liebe Stiftung Lesen, ‚der Zweck heiligt die Mittel‘ mögen Sie gedacht haben. Aber wissen Sie: Es heißt nicht umsonst „nachdenken“. NachDENKEN VOR Aktionen, die diejenigen vollkommen vor den Kopf stoßen, die tagaus tagein Leseförderung betreiben, indem sie (unabhängige) Buchhandlungen betreiben – das hätte ich von Ihnen erwartet. Und nein: Auch noch so hehre Ziele heiligen eben nicht Mittel, die echte Kooperationspartner einfach nur – Dong! – vor den Kopf stoßen. Falsche Mittel können guten Zielen schaden. Das ist dann mehr als schade. Das ist echter Schaden!“

Christiane Schulz-Rother, Vorsitzende des Sortimenter-Ausschusses im Börsenvorein

„Die Aktion der Stiftung Lesen in Zusammenarbeit mit Amazon, Thalia und Hugendubel bietet den Großen einen klaren Wettbewerbsvorteil und lässt die unabhängigen Buchhandlungen komplett außen vor. Aus Sicht des Sortimenter-Ausschusses ist das völlig unverständlich. Denn es sind gerade die kleinen, unabhängigen Buchhandlungen, die teilweise seit Jahrzehnten mit Fachwissen, Engagement und Ideenreichtum Leseförderung betreiben. Zum Welttag des Buches empfangen Buchhändlerinnen und Buchhändler etwa auf eigene Kosten eine große Zahl an Schulklassen und schenken ihnen das Welttagsbuch. Der Börsenverein sollte seine Mitgliedschaft im Stifterrat und die Zusammenarbeit mit der Stiftung Lesen auf den Prüfstand stellen.“

Ralf Schweikart, Vorsitzender des Arbeitskreises für Jugendliteratur AKJ

"Leseförderung ist eine zentrale Zukunftsaufgabe, mehr denn je. Aber dafür braucht es andere Anstrengungen als nur ein verschenktes Buch mit Märchen, das man sich bei Thalia und Hugendubel abholen oder bei Amazon downloaden soll (und nur dann lesen kann, wenn man einen Kindle von Amazon besitzt?). Denn Familien fürs gemeinsame Vorlesen zu begeistern, bei denen Lesen noch nicht zum festen Bestandteil ihres Alltags gehört, wie von Amazon und Stiftung Lesen behauptet, gelingt so nicht. Der Schlüssel sind nachhaltige Projekte, die Kinder, Jugendliche und Familien wirklich integrieren."

Nadine Hochrein, geschichten*reich Seligenstadt

"Es ist die totale Unterwanderung der Leseförderung durch Amazon im Verbund mit zwei Buchhandelsketten. Mich ärgert besonders, dass wir im Vorfeld nicht gefragt wurden, ob wir dabei sein wollen. Wenn es richtig blöd läuft, stehen dann Kunden bei mir mit einem dieser Bücher und fragen, ob ich ihnen noch ein Exemplar bestellen kann - was dann nicht möglich ist. Stattdessen darf sich ausgerechnet ein Onlinehändler, der für seine schlechten Arbeitsbedingungen berühmt ist, im Verbund mit der Stiftung Lesen auf die Fahnen schreiben, ein großer Leseförderer zu sein. Würde mich schwer wundern, wenn sich in den Büchern nicht jede Menge Werbung findet! Leider ist es nicht das erste Mal, dass die Stiftung Lesen uns als Buchhändler von Aktionen ausschließt. Es hilft nur eins: Wir müssen mit unserem eigenen Engagement zeigen, was wir leisten. Am Beispiel der WuB (Woche des unabhängigen Buchhandels) kann man sehen, wie gut das klappt, wenn wir zusammenhalten."