Verlage, die bei Buchveranstaltungen neue Wege gehen

Lesungen ohne Autor

19. September 2019
von Börsenblatt
Verlage suchen neue Veranstaltungsformen – mit unterschiedlichen Zielen: um einerseits potenzielle Leser zu beeindrucken und andererseits Kosten zu sparen.

Lesungen erleben im Moment ein Revival: Parallel zur Musikindustrie, in der Bands live auf ausgedehnten Tourneen ihre neuen Alben präsentieren, sind auch Autoren wieder verstärkt auf Reisen. Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt, wenn sich Verlage und Autoren passende Performances zu den Novitäten ausdenken. So plant Kosmos für das Bookfest auf der Frankfurter Buchmesse ein multimediales Kino-­Event für die neue Serie "Kepler 62" um ein mysteriöses Videospiel, bei der Lesung, Bildprojektionen und Sounds aus dem Hörbuch vereint werden. Bjørn Sortland, neben Timo Parvela ("Ella") einer der Autoren der Serie, wird dann ins messe­nahe Arthouse-Kino Orfeos Erben nach Frankfurt-­Bockenheim kommen, die Bücher werden von "Angry Birds"-­Designer Pasi Pitkänen illustriert. Da es in den Büchern um eine Reise in den Weltraum geht, ist das Kino passend dazu mit First-class-Flugzeugsitzen ausgestattet. Der abgedunkelte Saal soll für die richtige Stimmung sorgen, um die Illustrationen des Weltraums auf der großen Kinoleinwand wirken zu lassen.

Auch wenn Buchhandlungen, ­Bibliotheken und Klassenzimmer die zentralen Veranstaltungsorte für Lesungen bleiben, sollen immer öfter ausgefallene Locations für mehr Publikum sorgen. Zurzeit bereitet ­Oetinger für die modebewusste "Alea Aquarius" eine szenische Lesung in Wort und Klang für zwei Darstellerinnen vor. Mit Schauspielerin Anna-Christina Reske als Alea Aquarius wird Autorin Tanya Stewner von der Suche der Heldin erzählen, begleitet von Liveklängen und einer stimmungsvollen Videoprojektion. Die Lesung soll ihren Zauber vor allem in größeren Räumen, Kinosälen und Theatern entfalten.

Ebenso ungewöhnlich als Veranstaltungsort ist das Münchner Leibniz-Rechenzentrum (LRZ), in dem Tobias Schrödel vor Kurzem unter dem Motto "Buch trifft Technik" auftrat. Im Rahmen seines interaktiven Vortrags mit Lesung zu "It's A Nerd's World" (Arena) und Live-Hack lernten Jugendliche zwei Forschungsgebiete des LRZ kennen. Zur Verfügung standen das Virtual-Reality-Labor V2C, das mit acht Beamern für ein Rundum-Erlebnis sorgte, ein sechs Kameras umfassendes Infra­rot-Tracking-System, über das die Position realer Objekte im Labor bestimmt wird, sowie interaktiv gesteuerte 3-D-Grafik.

Inzwischen spielt es schon keine Rolle mehr, wo der Autor gerade ist: Bei der Premiere für Ursula Poznanskis "Erebos 2" (Loewe) in der Hugendubel-Filiale am Münchner Stachus etwa konnten die Zuhörer sich analog zur "Silent Disco" ihren Lieblingsplatz im Laden suchen und von dort via Kopfhörer der Lesung live lauschen. Nach der Veranstaltung hatten sie die Möglichkeit, die Nacht in der Buchhandlung zu verbringen, was von einem Großteil wahrgenommen wurde.
 
Zunehmend wird bei Veranstaltungen musiziert, gesungen, gemalt, gebastelt und diskutiert. Thienemann bietet Workshops mit Illustratoren und Künstlern wie Jan von Holleben an oder Ausstellungen mit Original-Illustrationen. Besonders beliebt sind die Materialien­pakete für Motto-Partys zu ausgewählten Klassikern wie "Der Räuber Hotzenplotz" samt Walking Act oder "Die kleine Raupe Nimmersatt" bei Gerstenberg. Auch dtv hat gute Erfahrungen gemacht mit Bildanreizen, Mitmach-Aktionen und musikalischen Einlagen. So wird Autorin Antje Szillat von einem lebensgroßen Flätscher-Maskottchen begleitet, das den Kindern am Ende ihrer Lesung Autogrammkarten und Flätscher-Aufkleber überreicht und für Selfies zur Verfügung steht. Ravensburger schickt im Jugendbuchbereich Autorinnen wie Bianca Iosivoni, Rose Snow, Stella Tack und Stefanie Hasse auf Lesereise, zum Teil mehrere Autorinnen gleichzeitig, was zu großen Come-together-Events führt.

Aber was tun, wenn weder Schriftsteller noch Maskottchen zur Verfügung stehen, die Autorenreise zu zeitaufwendig und zu teuer ist? Arena hatte einen Rückgang von Lesungen bemerkt und mithilfe einer Umfrage ein Bild der Bedürfnisse und Probleme der Buchhändler erhalten. Demnach fragen Sortimenter immer häufiger nach Formaten, die sie selbst umsetzen können, ohne Autoren und die damit verbundenen Kosten. Vorgelesen wird dann einfach selbst und ein breites Beschäftigungsprogramm rund um die Bücher bietet Ansatzpunkte für kreative Extras. "Es muss aber unbedingt eine Genehmigung des Verlags eingeholt werden – die erteilen wir gern, unter der Voraussetzung, dass kein Eintritt genommen wird", betont Arena-Lesungsmanagerin Elena Riedel. Kos­tensparend ist auch das neue Gemeinschaftsmodell der Verlage arsEdition, cbj, Hanser und Prestel junior, die sich zusammengetan haben, um Journalistin Christine Knödler zu engagieren. Sie stellt in den Buchhandlungen Bilderbuch-Neuheiten der vier Verlage vor – sie sind Teil eines 60 Exemplare umfassenden Aktionspakets zum Nettopreis von gut 500 Euro mit dreimonatigem Remissionsrecht. Das Angebot ist kostenlos. Die meisten Bilderbuch-Künstler stünden zwar bereit, aber es ist kostengünstiger und terminlich besser zu koordinieren, sie vertreten zu lassen.

US-Autor Rick Riordan hingegen steht für Lesungen in Euro­pa nicht zur Verfügung, weshalb Carlsen nach einer Veranstaltungsidee gesucht hat, um Fans auch bei Live-Events ins "Percy Jackson"-Fieber zu versetzen. Nun moderiert Schauspieler Nicolás Artajo, die Leser müssen ihr Wissen über Athene, Zeus und Co., die Gefahren der Unterwelt, Schutzzauber und Orakel-Weissagungen unter Beweis stellen. Neben Autorenlesungen, die mit Koffertheater, szenischem Spiel und Interaktion aufbereitet sind, bietet BVK Kempen Leseshows an, die nicht vom Autor bestritten werden müssen. Sie sind interaktiv, laden ein zum Mitmachen, Miträtseln und Mitsingen; besonders die Sachwissenreihen Abenteuer Weltwissen und Leselauscher Wissen sind gefragt. Und bei den Roadshows von DK stehen Interaktion und der unmittelbare praktische Kontakt mit den Büchern im Vordergrund: Experimente mit den "Superforschern", eine Quizshow zur neuen Sachbuchreihe Superchecker oder eine klassische Schnitzeljagd mit den DK-Lego-Büchern.

Eine Lösung für den Ersatz des abwesenden Autors haben sich auch Karl Olsberg und Loewe ausgedacht, denn bei Lesungsanfragen, die sehr weit von Olsbergs Wohnort entfernt sind, kann er aufgrund des hohen Reise- und Zeitaufwands nicht jeden Termin wahrnehmen. Deshalb bietet er Lesungen per Skype an. So ist er virtuell am Veranstaltungsort präsent, liest live, kann über die Hintergründe seiner Bücher sprechen – und es passt gut zum Inhalt seiner Titel, in denen virtuelle Welten und künstliche Intelligenzen eine Rolle spielen.

Aufgrund seiner Erfahrungen im technischen Bereich und seines Hintergrundwissens – Olsberg promovierte über künstliche Intelligenz – erwartet die Zuhörer neben einer Lesung eine lebendige, mit Fakten gespickte Diskussion rund um Virtual Reality und Fake News. Statt des üblichen Honorars fällt bei der Skype-Lesung lediglich eine Aufwandsentschädigung von 100 Euro plus Mehrwertsteuer an. Von Buchhandlungsseite werden ein Beamer, Lautsprecher, Mikrofon und eine stabile Internetverbindung benötigt. "Für die Veranstalter und Schulen lohnt sich die Lesung", resümiert Loewe-Pressesprecherin Jenny Schwerin. Um den Nachwuchs zu erreichen, ist Interagieren wichtiger denn je geworden.