Urheberrecht: "Berliner Gedankenexperiment"

"Urheber und Verwerter wären die Verlierer"

8. September 2015
von Börsenblatt
Das vergangene Woche veröffentlichte "Berliner Gedankenexperiment" will das Urheberrecht auf neue Füße stellen. Eine Prämisse des Vorschlags ist, dass der Urheber dem Verwerter keine Nutzungsrechte mehr übertragen darf. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, hat das Positionspapier kritisch unter die Lupe genommen.

"Das sogenannte Gedankenexperiment ist im Prinzip nichts Neues, enthält es doch im Wesentlichen die seit Jahren bekannten Forderungen der Netzgemeinde rund um Google. Anders als bei einem tatsächlichen Experiment fehlt die Beweisführung beispielsweise für die These, dass Verwerter andere Interessen an der Werkverwertung hätten als die Urheber, oder dass das Urheberrecht seine Funktion nicht mehr erfülle. Lassen wir das einmal beiseite und schauen uns einige der Vorschläge an:

1. Der vorrangige Schutzgedanke für Urheber soll zugunsten von vier gleichberechtigten Akteuren mit eigenständigen Rechten aufgelöst werden. Künftig gäbe es ein Urheberrecht, ein Verwerterrecht, ein Nutzerrecht und ein Vermittlerrecht (Internet- und Telekommunikationsunternehmen), die alle gegeneinander abgewogen werden müssten. Das ist vermutlich genauso kompliziert wie es klingt und bringt im Zweifel nur Anwälten neue Kundschaft.

2. Das Urheberrecht soll auf den Urheber ausgerichtet werden und nicht auf einen Verwerter übertragen werden können. Das kann es schon jetzt nicht, denn es ist nicht übertragbar. Was hier als wesentlicher Grundgedanke des neuen Regelungskonzepts verkauft wird, ist gelebte Praxis und hat also für Urheber keinen neuen Wert.

3. Der Urheber soll dem Verwerter keine Nutzungsrechte mehr übertragen dürfen, sondern nur eine umfassende oder eingeschränkte Werknutzungsbewilligung erteilen können. Sofern er sie exklusiv erteilen möchte, soll er dies nur noch zeitlich befristet dürfen. Eine Verlängerung des "Exklusivitätsversprechens" soll einer kostenpflichtigen Registrierung durch den Verwerter bedürfen.  Der Urheber würde also de facto in seiner Entscheidungs- und Vertragsfreiheit beschnitten. Er müsste aber auch damit leben, unter schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen zu arbeiten und weniger verdienen zu können. Denn rein kaufmännisch betrachtet, wird der Verwerter, der nun eine höheres Investitionsrisiko tragen muss, weil das Auswertungsfenster verkürzt und die Lizenzvergabemöglichkeit erschwert werden, beispielsweise die Vorschüsse und Garantiehonorare kürzen und insgesamt auf weniger Autoren verteilen müssen, beziehungsweise Projekte ganz aufgeben, weil die Refinanzierung nicht gesichert werden kann.

4. Die Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers an seinem Werk,  entscheiden zu können, ob, wann und wie er sein Werk veröffentlichen und verwerten will, sollen im Interesse der Allgemeinheit verkürzt werden und zum Wohle der Nutzer nach Ablauf der Frist nur noch Beteiligungsansprüche sein, um eine  genehmigungsfreie Nutzung zu ermöglichen. Auch das ist ganz nüchtern betrachtet eine massive Beschneidung der Rechte von Urhebern.

5. Für die Verwerter ist ein eigenes Verwerterrecht, das auf die "konkrete Produktion oder Konfektion" des jeweiligen Werkes beschränkt ist, vorgesehen. Zwar soll dieses Leistungsschutzrecht dem Investitionsschutz dienen, gleichzeitig aber seine Schutzdauer eher markt- und produktunabhängig bemessen werden. Investitionszurückhaltung gegenüber Autoren und Projekten, sowie ein Rückgang der Titelvielfalt sind also vorprogrammiert.  Außerdem bleibt die für Buchverlage entscheidende Frage unbeantwortet, nämlich, woran ihr unabhängiges Recht anknüpfen soll, wenn nicht an das Werk selbst.

6. Die Rechte der Nutzer, die aus einer Beschneidung der Rechte von Urhebern und Verwertern hervorgehen (siehe oben), sollen den Schutzrechten gleichrangig gegenüber stehen und können sogar eingeklagt werden. Für die Ausgestaltung dieses Rechts dient das Fair-Use Prinzip des US-amerikanischen Copyrights als Vorbild, das mit einem umfangreichen, nicht abschließenden Schrankenkatalog verknüpft werden soll. Auch das ist alles andere als eine Verbesserung für den Umgang mit kreativen Leistungen. Denn, Fair Use klingt gut, basiert aber auf dem Prinzip der Rechtssetzung durch Rechtsprechung. Bis sich daraus eine gewisse Rechtssicherheit für die angedachten vier Akteure entwickelt, dauert es Jahrzehnte.

7. Und schließlich sollen die Vermittler  (Plattformbetreiber, Webhosting- und Sharingdienste, Suchmaschinenanbieter, Telekommunikationsanbieter etc. ) eigene Rechte erhalten. Unterschieden wird dabei zwischen Vermittlern mit Konkurrenzangebot (zum Beispiel Amazon) und Vermittlern mit Komplementärangebot (zum Beispiel Google). Letztere werden als neutral oder aber förderlich für die Leistungen der Verwerter angesehen und sollen keinerlei Beschränkung unterliegen, haben also nur Rechte, keine Pflichten.

Das Fazit für Urheber und Verwerter fällt extrem negativ aus. Sie wären eindeutig die Verlierer in diesem Modell. Daran ändern auch für die Urheber die schönsten Versprechungen über urhebervertragsrechtliche Regelungen nichts. Die Gewinner wären die Nutzer, also diejenigen die einen geschmeidigeren Zugriff auf geschützte Inhalte – zu welchem Zweck auch immer – wollen. Das sind nicht unbedingt die Verbraucher im Sinne von Konsumenten. Für die würde es nämlich unterm Strich schlicht weniger Vielfalt und Angebot geben. Den Hauptgewinn hätten Unternehmen wie Google gezogen, die als Nutzer von umfassenden Rechten profitieren, sich aber jeglicher Verantwortung oder gar monetärer Beteiligung entziehen dürften. Wer war doch gleich der Financier des CoLabs und einiger Verfasser des Papiers?"