Abschiedsfeier für dtv-Verleger Wolfgang Balk

Erfolgreich bis zur Selbstabschaffung

2. Dezember 2015
von Torsten Casimir
dtv-Verleger Wolfgang Balk wurde gestern Abend in München in den sogenannten Ruhestand verabschiedet. Durch viel zu gute Redner: Die Floskel von einer Ära, die zu Ende geht, hörte man nicht auf dieser Feier. Dabei hätte sie mal wirklich gepasst.

20 Jahre Bücher machen für dtv. Den Umschlag als Erkennungszeichen neu gestalten. Mit "Premium" eine dritte Produktklasse zwischen Hardcover und Taschenbuch erfinden. Die kritisch auf Umsatz und Ergebnis schauenden Gesellschafter mehr als zufriedenstellen – Seit 1995 steht Wolfgang Balk für eben diese und viele weitere Leistungen.

Natürlich kamen alle Festredner im Verlagshaus an der Tumblingerstraße auf all das zu sprechen. Frank-H. Häger als Vertreter des Beirats rief ein paar Zahlen in den Zeugenstand – 65 Millionen Euro Umsatz mit 125 Mitarbeitern – und gratulierte bündig zu einer "tollen Leistung". Geschäftsführerkollege Bernd Blüm, bei den Münchnern fürs Kaufmännische verantwortlich, erinnerte an klare Werte, für die Balk in seinem Wirken als Verleger gestanden habe: dass dtv sich stets als Autorenverlag begreife, und dass der Buchhandel "nicht ein Vertriebsweg, sondern ein Partner" sei.

Verleger-Kollegin Antje Kunstmann würdigte den Taschenbuch-Fachmann, der bei dtv das Hardcover etabliert hat, für eine "wirkliche Innovation": dtv Premium als das Forum für Originalausgaben und deutsche Erstausgaben; Kunstmann nannte es "eine Art Camouflage-Hardcover". Zu den Utensilien, die gemeinhin als Rüstzeug eines Verlegers gelten, fügte sie noch eine Balk-Besonderheit an: "Er hat immer ein kleines philosophisches Buch in der Tasche."

Damit weitete sich der Blick auf einen Buchmenschen, den nicht nur die großen Erfolge in seinem Kernberuf auszeichnen, sondern eine ungewöhnliche Neugier für sehr unterschiedliche Dinge: für Geschichte und Philosophie, für die Malerei, für Italien, für die Autoren der Antike (die Einladungskarte zierte ein Seneca-Zitat über Glück und Zufriedenheit). "Es ist doch so", begann der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger seine kurze, liebenswürdige Rede, "alle kennen Wolfgang Balk. Aber keiner kennt ihn ganz."

Besonders interessierte Enzensberger ein später Triumph des zu Verabschiedenden, der unter erfolgreichen Menschen eher selten anzutreffen sei: "Es ist ihm selber gelungen, sich abzuschaffen." Damit meinte Enzensberger Balks Nachfolgerin bei dtv, Claudia Baumhöver, "die er sich selbst ausgesucht hat und über die sich alle freuen". Am Ende, so schloss der Freund und Autor des Hauses, sei Balk "auch noch zum Migranten geworden" und besitze in einem versteckten Winkel der Toskana nun ein kleines Refugium. "Umsatzzahlen, Cash Flow, EBITDA und Bilanzen" sei der Verleger endlich los und habe stattdessen ein Haus, "in dem es zwar viele Bücher, aber keine Buchhaltung mehr gibt".

Als dann noch ein dtv-Chor sich formierte und ein Medley aus Anlass-kompatiblen Titeln zum Besten gab (Gute Nacht, Freunde; Marmor, Stein und Eisen bricht; I Did It My Way; künftig aber auch: Versuch’s mal mit Gemütlichkeit), kam doch Rührung auf beim Adressaten ob all der Belobigungen und guten Wünsche. So dass der klassisch belesene Wolfgang Balk konstatieren musste: "Der Imperativ von Epikur – Lebe im Verborgenen! – wird hier dermaßen konterkariert, dass es mir schon peinlich ist." Da muss man durch auf Abschiedsfeiern.