Die Lieblingsbuchhandlung von Dana Grigorcea

Auf offener See

5. Januar 2016
von Börsenblatt
In Zürich setzte vor Kurzem die "Buchhandlung zum Mittelmeer und mehr" ihre Segel. Die Schriftstellerin Dana Grigorcea wünscht gute Reise.

Während ich überlegte, ob ich an dieser Stelle über meine Hausbuchhandlung in Zürich, die zwei Straßen entfernte Volksbuchhandlung, schreibe, oder doch über die Verlagsbuchhandlung Baeschlin aus dem Bergkanton Glarus – eine Familienbuchhandlung, deren Kulturveranstaltungen das Leben der Glarner zu bereichern versteht –, hat gleich gegenüber eine neue Buchhandlung eröffnet, mitten in Zürichs "Downtown", im Kreis 4. Neulich lag die postkartengroße, blaue Visitenkarte in unserem Briefkasten: "Buchhandlung zum Mittelmeer und mehr". Die Nachbarn freute es besonders, dass zwei freundliche Damen mit Büchern und Porzellankatze da ein­zogen, wo lange ein Bordell war und zeitweilig ein Tattoostudio.
 
Die Sahneschnitte war schon aus, als wir ankamen, doch es ging ja nicht nur um Sahneschnitten, klärten uns die zwei ­Buchhändlerinnen auf, sondern auch um tausendundeine Nacht und eine Nacht mehr, die sie erzählen wollen, und außerdem um die Artischocke, das Blütengemüse aus dem Mittelmeerraum, das Symbol ihrer Buchhandlung – und um dies zu bestärken, gossen sie uns ein vom Cynar, der aus Artischocken und Bergkräutern hergestellt wird. Die Artischocke mit ihren vielen Blättern steht für die Komplexität des Mittelmeerraums; entblättert man die Blüte, stößt man zum Herzen vor.

Andrea Peterhans und Charlotte Nager sind die Eigentümerinnen der neuen Buchhandlung, und sie ist, wie man gleich merkt, ihr Herzensprojekt. Andrea, gelernte Buchhändlerin, Grafikerin und Fotografin, spürte auf einer Schifffahrt von Marseille nach Algier, wie klein dieser konfliktreiche Mittelmeerraum ist; "klein und doch ein riesiger Teil der Welt". Man sei durch die übereilte Berichterstattung der Medien oft irregeleitet. Und so kam die Idee einer Mittelmeerbuchhandlung auf – die Partnerin dafür stand schon fest: Charlotte, Ethnologin und ehemalige Verlegerin, derzeit, wie Andrea auch, bei einem Hilfswerk tätig.

Wir sitzen an einem runden Tisch; auf dem Tisch eine Vase mit drei violett blühenden Artischocken und eine Flasche Cynar. Rundherum in den Regalen: Literatur, Geschichte; das Mittelmeer als Wiege der Zivilisation, ein Sehnsuchtsort, ein Problemgebiet, "Mamadou, Fahrt in den Tod" von Gabriela del Grande, daneben Soziologie, Fotobücher, Graphic Novels und Kochbücher. Die Bücher sind auf Deutsch, Englisch und Französisch, bald auch auf Arabisch und Griechisch zu haben. Die Buchhändlerinnen wollen ihre Beziehungen zu Verlagen rund ums Mittelmeer ausbauen, eine Reise nach Kairo ist schon in Planung.

Im Laden und auch auf der Webseite www.milleetdeuxfeuilles.ch können Bücher bestellt werden, die über die üblichen Auslieferer nicht erhältlich sind. Ihr Sortiment soll durch antiquarische Titel ergänzt werden, denn erstaunlich viele Mittelmeerklassiker seien vergriffen. Auch Blogger wollen die beiden Frauen anwerben – für eine Kontextualisierung der Zeitgeschichte. Und sie bieten überdies Musik und Filme zum Erwerb an, planen Lesungen und Konzerte – auch Opernmusik könnten sie künftig offerieren, es gibt schließlich viele Opernaufführungen am Mittelmeer. So viele Pläne – das stimmt die beiden kurz nachdenklich, und dann brechen sie in Gelächter aus, war doch der Hauptslogan der einst berüchtigten Demos vor der Oper am Zürichsee: "Freie Sicht aufs Mittelmeer!"