On Screen (5): Jo Lendle

Wozu ein Telefon gut ist

4. Februar 2016
von Börsenblatt
Die Digitalisierung verändert unsere Branche wie kaum etwas seit Gutenberg, schier grenzenlos die Zahl der Apps, die uns im Job helfen, uns intelligent mit der Welt vernetzen - oder einfach nur spielen wollen. In einer kleinen Serie stellen Branchen-Köpfe ihre Favoriten vor. Heute: Jo Lendle.

Die Hälfte meiner Apps hat mit irgendeinem dieser neuen Mobilitätskonzepte zu tun. Ihr Versprechen: Wir holen dich hier raus. Auch wenn es sich im Alltagseinsatz nicht wirklich wie Beamen auf Knopfdruck anfühlt, schenken DriveNow und Car2Go durchaus erheiternde Momente: Während der Autobesitzer sich morgens verzweifelt zu erinnern versucht, wo er den Wagen abgestellt hat, liegt beim Carsharing gerade in dieser Ungewissheit das kleine Lotterieglück. Jede Automiete bringt einen Hauch von Ostereisuche in den Tag: Wo mag sich das nächste verstecken? Kein Tanken mehr, keine Knöllchen, und Meta-Suchdienste wie Carjump oder Moovel zeigen sogar Leihmofas an oder vergleichen die Fahrzeiten gleich mit einem zeitlosen Fußweg.

Emotional wird es auch mit Touch & Travel: Das kleine Glück, beim Einstieg in Bus & Bahn mit nur einem Tipp im Besitz eines Fahrscheins zu sein. Das große Unglück, wenn man feststellt, mal wieder vergessen zu haben, am Ende die Fahrt beendet zu haben. Ich kenne niemanden, der je daran gedacht hätte, sich abzumelden, allen Voreinstellungen zum Trotz. So reist, während man selbst sich längst am Ziel der Reise wähnt, der Ticker fröhlich weiter.

Die meistgenutzte App: Notizen. Vorteil gegenüber dem Papierblock: Keiner. Mit dem einen Unterschied, dass es mir allen guten Vorsätzen zum Trotz nicht gelingt, einen echten Notizblock tatsächlich dabei zu haben, wenn ich ihn brauche. Der Vorteil des Telefons liegt also in einer eigentümlichen Schleife: Weil ich es immer dabei habe, habe ich es immer dabei.

Die meditativste App? Ein einfacher Link auf Blitzortung.org, das jeden Blitzeinschlag weltweit auf einer Karte anzeigt. In Echtzeit. Ich habe noch immer nicht entschieden, was heimeliger ist: Bei Sonnenschein ein fernes Sturmtief über der Karibik zu bestaunen oder mitten im Gewitter zu verfolgen, wie die eigene Schlechtwetterfront vorüberzieht. Solch einen Überblick schenkt kein Regen- und kein Zugradar: Die Welt aus Zeus' Perspektive.

Und wo wir bei den Griechen sind: SkyView zeigt beim Schwenken über den Nachthimmel, welche Planeten, Galaxien und Sternbilder gerade zu sehen sind, auf Wunsch mit ans Firmament gezeichneten Figurenumrissen. Funktioniert natürlich auch ohne Nacht und ohne Himmel: Bühne frei für den Theoretiker der Romantik, der sich mitten in einer Konferenz ansieht, wie der Mond aufgeht. Augmented Reality meets Erhabenheit.

Aber das sind Extras. Statistisch nutzt der heutige Städtebewohner sein Telefon vor allem, um nachzuschauen, wie spät es ist. Eine zweifelhafte Verbesserung. Mir jedenfalls rettet die Uhr-App tatsächlich den Tag: Die letzte Armbanduhr liegt noch immer im Fundbüro meiner Grundschule. Man muss auch für die kleinen Hilfen dankbar sein.

Jo Lendle, Jahrgang 1968, arbeitete von 1997 bis 2013 im DuMont Buchverlag, Köln; zunächst als Lektor und Programmleiter, seit 2010 als verlegerischer Geschäftsführer. Seit Januar 2014 leitet er den Hanser Verlag (München). Zuletzt ist von ihm der Roman „Was wir Liebe nennen“ (DVA 2013) erschienen.

http://jolendle.de

Bisher erschienen:

On Screen Folge 1     Kai Wels: Music, Mention, Mailchimp

On Screen Folge 2     Dietrich zu Klampen: Ukulele, TripAdvisor, bookandplay

On Screen Folge 3     Zoe Beck: Wetter, "Guardian, Nahverkehr

On Screen Folge 4     Leander Wattig: VSCO, Slack, Downcast