Interview mit Piper-Verlegerin Felicitas von Lovenberg

Die Leserbeziehung des Buchhandels zählt

4. August 2016
von Börsenblatt

Seit März ist sie Verlegerin von Piper. Im Interview mit dem Börsenblatt spricht Felicitas von Lovenberg über ihre Pläne bei dem Münchner Verlag, darüber, wie man Bücher im Handel zum Gesprächsthema macht und über das Fehlen einer verkaufsrelevanten Literaturkritik.

Piper hat einen schönen Claim: „Bücher, über die man spricht“. Ist das für Sie derzeit eine Zielvorgabe oder eine Zustandsbeschreibung?
Eine Mischung aus beidem. Zuerst einmal geht es um Bücher, über die wir im Verlag sprechen. Dieses Gespräch hat sich in den letzten Monaten stark intensiviert. Ich glaube, dass Bücher, über die wir im Haus offen, konstruktiv und begeistert diskutieren, dann auch das Gespräch bei Buchhändlern und Lesern auslösen. Wenn wir über unsere Bücher im Haus nicht sprechen, dann spricht auch draußen niemand darüber.

Muss der Buchhandel über Piper-Bücher erst wieder sprechen lernen?
Mit Diagnosen zum Buchhandel möchte ich mich fürs erste zurückhalten. Ich glaube jedenfalls, dass wir im Handel nur dann Gesprächsthema sein können, wenn wir glaubwürdige Bücher machen. Jeder Verlag versucht natürlich, durch Setzungen wie Spitzentitel oder Kampagnentitel vorzugeben, worüber vor allem gesprochen werden soll. Aber seine Vorgabe ist immer weniger maßgeblich für den Handel. Mir sagen Buchhändler: Ich brauche keine Hinweise wie „Da machen wir einen Power Tower“, sondern Informationen zum Autor, zum Buch und zum Text. Man kann weder dem Händler noch dem Leser Spitzentitel aufoktroyieren. Mir kommt es so vor, als erlebten wir gerade erst, was die Demokratisierung des Lesens tatsächlich bedeutet.

Aber braucht es nicht Orientierungsmarken? Wenn man Diogenes sagt, weiß der Händler Bescheid.
Beim Namen Piper wird er auch bald wieder Bescheid wissen.

Na ja, Sie haben viele Programmlinien. Malik mag noch selbsterklärend sein. Die Zuordnung von Autoren zum Beispiel zu Piper Belletristik HC und Berlin Verlag scheint schon eher willkürlich. Streben Sie mehr Klarheit an?
Piper ist ein Verlag, der vieles kann und in dem deshalb vieles möglich bleiben soll. Ich möchte, dass jeder Autor sagen kann: Es gibt im Piper-Kosmos den genau richtigen Platz für mich. Mein zweites Ziel ist, dass der Leser weiß: Mir wird von Piper Qualität geboten, und zwar in allen Genres. Nur wenn Sie vom Buch her denken, erkennen Sie, wo Sie einen Titel am glaubwürdigsten präsentieren.

Von besseren Zahlen abgesehen: Was erhoffen Sie sich von der Restrukturierung des Berlin Verlags?
Ich sehe darin eine riesige Chance, weil der Berlin Verlag wieder das tun kann, was er immer am besten konnte: ein anspruchsvolles Literatur- und Sachbuchprogramm im Hardcover. Mein Eindruck in den letzten Jahren war, dass Piper und Berlin Verlag manchmal contre coeur publiziert haben: Berlin hatte den Druck, auch populäre Bestseller im Programm zu haben; und Piper wollte zeigen, dass man literarisch auf gleichem Niveau ist. Aber Konkurrenz im eigenen Haus ist nicht produktiv. Wir treten in einem großen Markt besser nicht gegeneinander, sondern miteinander an.

Sie möchten doch mit Piper auch ein anspruchsvolles Literaturprogramm bieten.
Ich möchte ein anspruchsvolles Programm. Aber das definiert sich nicht über die Frage E oder U. Mir geht es darum, welchen Anspruch ein Buch an sich selber hat, und diese Ansprüche können gern unterschiedlich sein. Mir ist jedenfalls meist nach wenigen Seiten klar, ob ein Buch eher zu Piper oder zum Berlin Verlag gehört.

Jetzt haben Sie also Ihr Hauptstadt-Imprint – wie Rowohlt, Hanser und KiWi mit Galiani. Alle treten für urbane, zeitgenössische Literatur an, reklamieren Liberalität und Offenheit. Gibt es eine USP für den Berlin Verlag?
Im Sachbuch werden es verstärkt politische Bücher sein. Bücher, die den Blick auf die Gegenwart richten, auch den Blick nach Osten werfen. Aber interessanterweise sind wir gar nicht mit USPs unterwegs. Denn der Berlin Verlag – und das unterscheidet ihn von den genannten anderen Programmen! – wurde nicht als ein Hauptstadt-Imprint gegründet. Es gab nie irgendein Moodboard und die Frage, wo genau wir uns verorten wollen. Dieser Verlag mit seiner 20jährigen Geschichte ist vielmehr bereits ein Traditionsverlag. Sein Profil beruht von Anfang an auf der Fülle, der Internationalität und der Qualität seiner Autoren.

Elisabeth Ruge hat, als sie ging, viele große Autoren mitgenommen: Péter Esterházy, Richard Ford, Jonathan Littell, Ingo Schulze. Haben Sie die Ambition, wieder solche strahlenden Namen zu verlegen?
Wir haben sie zum Glück bereits: Denken Sie an Zeruya Shalev, William Boyd, James Salter, Margaret Atwood, Gila Lustiger. Und es kommen neue, sehr vielversprechende Autoren: Im Herbst erscheint Thomas Lang mit seinem ersten Roman im Berlin Verlag. Wir haben Helmut Krausser, Inger-Maria Mahlke, Katharina Hartwell. Die Liste ist nicht weniger glanzvoll als früher. Wir bauen auch Autoren auf. Gerade ist Husch Josten zu uns gekommen, die früher bei Gottfried Honnefelder in der Berlin University Press beheimatet war. Sie ist eine glänzende Autorin, die bei den Großen mitspielen kann.

Große Hoffnungen für einen geschrumpften Verlag!
Der Berlin Verlag ist ja nicht auf Sparflamme gesetzt worden. Dahinter steht jetzt Piper als Antriebsmotor. Die Buchhändler wissen, dass Piper im Markt Dinge bewegen kann. Das wussten sie zuletzt vom Berlin Verlag in der Form nicht.

Einer der „pain points“, über die Verlage vermehrt klagen, ist die preistreibende Rolle mancher Literaturagenten. Klagen Sie auch?
Agenten spielen in der Tat eine große Rolle bei immer mehr Abschlüssen. Die meisten machen das allerdings auf eine angenehme Art. Idealerweise hat auch der Agent ein Interesse, Autor und Verlagsmannschaft für eine dauerhafte Bindung zusammenzubringen.

Aber das kostet.
Natürlich, weil der Agent auch noch bezahlt werden möchte. Er holt mehr für den Autor raus und profitiert selbst davon – das ist sein Geschäftsmodell. Schwierig wird es, wenn Agenten versuchen, den Verlagen ureigene Rechte wie zum Beispiel Auslandsrechte aus der Hand zu nehmen. Denn zu Übersetzungsanfragen kommt es überhaupt nur, wenn nicht nur der Autor, sondern auch der Verlag seine Arbeit gut erledigt, nämlich ein Buch so herausbringt, dass es Erfolg hat.

Viele Agenten erledigen auch ureigene Verlagsarbeit, insbesondere was die freundschaftliche Begleitung von Autoren und ihren Büchern anlangt. Stoßen diese Agenten in eine von Verlagen fahrlässig freigegebene Lücke?
Wahrscheinlich treffen Sie damit einen Punkt. In allen Berufen ist ja Zeit heute eine Ressource, über die wir nicht endlos verfügen. Ich kann nur für Piper sagen, dass es hier kaum einen Tag gibt, an dem ich nicht einen Autor treffe oder mit einem Autor telefoniere. Das gilt für die Lektorate, die Presse, das Marketing, den Vertrieb genauso. Viele Autoren melden sich, kommen vorbei, verbringen Zeit mit uns. Für mich sind freundschaftliche Beziehungen zwischen Autoren und Agenten auf der einen und zwischen Autoren und ihren Lektoren und Verlegern auf der anderen Seite kein Entweder-Oder. Übrigens wäre es schön, wenn auch Agent und Verleger sagen können, wir sind partnerschaftlich, wenn nicht freundschaftlich verbunden.

Bei Piper ist eine besondere Situation entstanden mit dem Weggang von Marcel Hartges, Ihrem Vorgänger, der heute als Agent arbeitet.
Da gibt es einige, die diesen Wechsel vollzogen haben: Elisabeth Ruge, Günter Berg…

Aber die Konstellation wird unterschiedlich ausgestaltet. Ferdinand von Schirach landete ruckzuck bei Luchterhand. Was wird mit Charlotte Roche?
Sie bleibt und hat zu meiner Freude den nächsten Buchvertrag mit uns unterschrieben.

Wie gehen Sie damit um, dass auf dem Transfermarkt immer höhere Summen aufgerufen werden?
Wir sprechen viel darüber. Aber es gibt keine übergeordnete Bonnier-Politik zu Vorschüssen. Man muss immer das einzelne Buch anschauen, den Autor und das, was man ihm zutraut, und muss dann seine eigene Bewertung vornehmen.

Sehen Sie beim Thema Vorschüsse ein Ende der Rallye?
Es wird jedenfalls nicht kommen durch eine plötzliche Veränderung im Gebaren der Agenten, eher schon durch eine Veränderung im Leserverhalten. Irgendwann werden die Autorenmarken weniger stabil sein, weil Bestseller von anderen Kräften abhängen und gemacht werden als von Vorschüssen, Verlagsstrategien oder Marketing.

Im Ernst? Das Marketing ist doch noch gar nicht am Ende seiner Kunst.
Das Marketing wird und soll mit allen Kräften versuchen, den Status quo so lange aufrechtzuerhalten, wie es geht. Aber die Möglichkeiten sind endlich. Das hat auch damit zu tun, dass wir in Deutschland zwar eine gute Literaturkritik haben, aber keine mehr, die verkaufsrelevant ist. Eine Rezension bringt vielleicht noch ein paar hundert Verkäufe, tausende bringt sie nicht mehr. Es gibt keinen Reich-Ranicki mehr, keine Elke Heidenreich. Wir brauchen dringend wieder eine Instanz, die die gesellschaftliche Relevanz eines Buches so deutlich macht, dass die Leute sagen: ich muss das gelesen haben, um mitreden zu können.

Das Fehlen einer verkaufsfördernden Instanz lässt sich nach dem lauen Bestsellerfrühjahr 2016 erst recht beklagen.
Das ist leider wahr. Die Verlage klagen über mehr Remissionen denn je. Die Spitzentitel haben nicht das erbracht, was man sich erhofft hatte. Viele Buchhändler sagen, ihre Läden seien zu leer. Der Herbst wird deshalb zurückhaltend einverkauft. Geplante B-Titel werden C-Titel und kommen nicht mehr ins Zentrallager. Das neue Literarische Quartett wird zwar rege geschaut, aber es verkauft leider nicht viele Bücher. Wenn Bücher nicht mehr im Zentrum öffentlichen Interesses stehen, droht ein Relevanzverlust für das Medium insgesamt. Und das darf doch in dem Land, in dem das Buch erfunden wurde, nicht sein! Wir brauchen deshalb mehr Instanzen, die wahrnehmbar sagen: Dieses oder jenes Buch ist ein Ereignis. Davon profitieren alle, nicht nur der Verlag, der das Buch gerade im Programm hat.

Wie schätzen Sie die Rolle des Deutschen Buchpreises ein?
Der Preis ist ursprünglich gegründet worden nach dem Vorbild des britischen Booker-Preises als ein Instrument, dem Roman zu breiter Aufmerksamkeit zu verhelfen. Das hat am Anfang gut funktioniert. Heute ist es schwieriger, weil die Bücher, die in den vergangenen Jahren gekürt wurden, nicht mehr dafür stehen. Nichts gegen Ursula Krechel, Lutz Seiler oder Frank Witzel - aber die einstige Absicht des Preises lösen ihre Werke nicht ein. Ich verstehe, wenn Jurys sich für eine breitere Verkäuflichkeit nicht interessieren wollen. Aber sie begreifen in dem Moment nicht, dass sie ihrer eigenen Sache schaden. Auch früher schon, als ich selbst Kritikerin war, habe ich immer gefunden: Leute, nehmt alle diese literarisch tollen Titel auf die Shortlist – aber zeichnet am Ende bitte ein Buch aus, das dann 150.000 Menschen unbedingt lesen wollen.

Rückt der stationäre Buchhandel, der das Buch noch in der Breite sichtbar hält, im Gefüge des Buchmarkts wieder ins Zentrum?
Absolut! Ich glaube, dass der einzelne Buchhändler mit seiner Beziehung zum Leser gerade noch wichtiger wird. In meinen Gesprächen mit Buchhändlern gewinne ich den Eindruck, dass sie das selbst auch so wahrnehmen und sich darüber freuen. Die Buchhändler wissen: Wer in ihren Laden kommt, der kommt wegen der Beratung. Deshalb rückt der Handel wieder von der Anonymisierung auf großen Flächen ab.

Wird Piper seine Verbindung zum stationären Buchhandel stärken?
Ganz sicher. Wir hatten gerade bei Piper den ersten Buchhändlerabend, zu dem der Verlag jemals eingeladen hat, mit Kollegen aus München und der Umgebung. Ziel war es, mit den Buchhändlern ins Gespräch zu kommen und von ihnen zu erfahren, was wir aus ihrer Sicht richtig machen und wo wir uns verbessern können. Das Gute an meiner Situation ist ja: Alle wissen, dass ich neu bin – neu auch auf dieser Seite des literarischen Lebens. Deshalb darf ich alle und alles fragen.

Neulich sagte mir jemand den nachdenklichen Satz: Es wird in der Branche zu wenig gelächelt – immer nur angestrengte Gesichter. Wie ist das bei Ihnen?
Klingt vielleicht kitschig: Ich ziehe, solange ich denken kann, ein großes seelisches Glück aus der Lektüre guter Bücher. Wenn ich etwas wirklich kann, dann ist es Bücherlesen. Und wenn ich mir dann noch vorstelle, es handelt sich um ein Buch, zu dem ich als Verlegerin ja gesagt habe, dann mache ich mir um mein Lächeln keine Sorgen.