Interview mit Christoph Buchwald zum Buchmarkt Niederlande

"Lebendige Literaturszene"

20. September 2016
von Börsenblatt
Christoph Buchwald, als Herausgeber von Anthologien und Lektor namhafter deutscher Verlage bekannt, ging 2001 mit seiner Frau nach Amsterdam, um einen eigenen Verlag zu gründen: Cossée. Im Gespräch mit boersenblatt.net schildert er seine Erfahrungen mit dem niederländischen Buchmarkt.     

Die Frankfurter Messe 1993 brachte einen unglaublichen Schub für den Gast Niederlande Flandern. Wie erklären Sie sich das?
1993 ging es darum, überhaupt einen Blick auf die niederländischsprachige Literatur zu werfen, weil ganz wenig übersetzt war. Ich habe das seinerzeit selbst recherchiert: In der ersten Hälfte der 80er Jahre waren sage und schreibe gerade einmal zwei Titel lieferbar: „Der Kummer von Flandern“ von Hugo Claus und Cees Nootebooms: „Rituale“. Dass wir gar keine Ahnung hatten, fand ich beschämend. Es gab so viel nachzuholen, und deshalb habe ich mich informiert und habe dann 1986 mit Harry Mulischs Roman „Das Attentat“ einen Anfang gemacht. Inzwischen ist der Blick geschärft.

Die Auflagen in den Niederlanden und Flandern sind deutlich niedriger als in Deutschland, schlicht weil die Anzahl potenzieller Leser kleiner ist. Wie kommen Autoren da über die Runden?
Das stimmt: Von 2.000 verkauften Exemplaren eines Romans kann niemand seine Brötchen und seine Miete bezahlen. Aber die Niederländer und Flamen haben eine sehr großzügige Autorenförderung; das Fördersystem hat entscheidend mit dafür gesorgt, dass so viele Autoren überleben können,  dass die Bücher geschrieben und publiziert werden. Dass es in den Niederlanden viele Verlage gibt, hat sehr viel zu einer großen Lebendigkeit und Vielfalt der Literaturszene beigetragen.

Die Einkünfte fallen auch für Verlage im Vergleich zum größeren Nachbarland in der Regel geringer aus. Also muss irgendwo gespart werden. Es heißt, das Lektorat würde in den Niederlanden häufig bloß als eine Art Schlussredaktion verstanden. Stimmt das? 
Wir bei Cossée versuchen das Lektorat auf die deutsche Art zu machen – bis das bestmögliche Resultat erreicht ist. Sicher, es gibt durchaus auch Verlage, die beim Lektorat sparen, aber die gibt es auch in Deutschland. Der Markt hier ist einfach viel kleiner, daran ist nicht zu rütteln. Die Hauptersparnis liegt jedoch anderswo: In den Niederlanden erscheinen Erstausgaben ganz häufig nicht als Hardcover, sondern gleich als Paperback. Die Kostenunterschiede sind enorm.

Warum haben Sie eigentlich zusammen mit Ihrer Frau Eva Cossée einen Verlag in Amsterdam gegründet und nicht in Berlin?
Viele haben mich damals gefragt, was ich denn in Amsterdam will, ohne Niederländisch zu sprechen. Aber ich hatte keine Sorge, eine Sprache kann man lernen. Das Entscheidende war und ist jedoch, dass man in Deutschland für eine Verlagsgründung viel mehr Geld braucht. Allein durch die Größe des Landes – die Schweiz und Österreich kommen noch hinzu – sind etwa viel mehr Vertreter nötig.

Ist es angenehmer, Verleger in Deutschland oder in den Niederlanden zu sein?
Das kann ich aus eigener Erfahrung nur schwer sagen. Dafür sind meine beruflichen Stationen zu unterschiedlich. Ich war in Deutschland bei vergleichsweise großen Verlagen, bei Hanser, Luchterhand, Suhrkamp – immer als Angestellter. Den Cossée Verlag habe ich zusammen mit meiner Frau 2001 gegründet. Wir sind die Verleger, also die Inhaber, das ist etwas anderes. Es ist nicht einfach, sich als unabhängiger Verlag über 15 Jahre zu behaupten und ein Qualitätsniveau zu halten. Beides ist uns jedoch auch gelungen, als es in den vergangenen acht Jahren in den Niederlanden mit dem Buchumsatz um 30 Prozent bergab ging. Um da durchzuhalten, mussten wir uns etwas überlegen. Wir gehören zu den Verlagen, die sehr viele Lizenzen international verkaufen, und so konnten wir die zurückgehenden Buchumsätze kompensieren.

Wie ist es zu dem Umsatzeinbruch gekommen?
Ich denke, das ist nicht herauszulösen aus der allgemeinen ökonomischen Krise. Der Buchbereich reagiert bekanntlich gegenüber anderen Märkten gern ein wenig verzögert. Sicherlich haben wir als Branche aber auch über die ökonomischen Verhältnisse hinaus gelebt und nicht früh genug reagiert. Der niederländische Buchhandel hat die deutsche Fehl-Entwicklung nachgeahmt – die Tendenz ging zu immer größeren Flächen. Aber es war ein folgenreicher Irrtum zu glauben, dass man so auch deutlich mehr Umsatz machen kann. Diese größeren Buchhandlungen waren alle in A-Lagen. Als der Einbruch kam, der sicher auch damit zu tun hat, dass mehr Konkurrenz für das Buch durch die digitalen Medien besteht, konnten viele die Mieten nicht mehr bezahlen. Dann haben sie andere Dinge ins Sortiment genommen, Kleidung, Kosmetik etc. Das ging alles nicht auf. Unabhängige Buchhändler haben die Krise am besten gemeistert – vor allem durch unglaubliches Engagement. Sie waren viel besser darin, Orientierung zu geben, ihre Kunden zu beraten, ganz einfach weil sie eine präzise Vorstellung hatten und haben von ihrem Buchladen.

Einige große Buchhandlungen in den Niederlanden sind pleite gegangen.
Ja, und dann kam etwas ganz Tolles. Leser haben nämlich gesagt: Wir wollen unsere Buchhandlung zurück! Via Crowdfunding haben sie Buchhändler so unterstützt, dass diese tatsächlich etwas Neues auf die Beine gestellt haben. Das macht Mut! Von den 22 Buchhandlungen, die zur pleitegegangenen Polaris-Kette gehörten, haben 16 den Sprung in die Unabhängigkeit von einer Kette geschafft. Anfangs war es hie und da zwar noch ein wenig wackelig, aber dennoch.

Ist die Krise also überstanden?
Der Boden der Talsohle ist erreicht. Seit 2014/2015 haben sich die Umsätze wieder stabilisiert Man kann sogar von einer leichten Erholung sprechen. Die Buchhändler sind wieder etwas zuversichtlicher, wenn auch weiter vorsichtig.

Der Cossée Verlag hat sich vor Kurzem für eine Woche beim Wagenbach Verlag einquartiert. Was war der Grund für den zwischenzeitlichen Ortswechsel?
Während der vergangenen nationalen Buchwoche in den Niederlanden war Deutschland das Thema. Wir wollten nun umgekehrt nach Deutschland gehen, um zu sehen: Wie machen die Kollegen das in einem anderen Markt? Welche Themen sind da virulent? Was machen die anders oder besser? Es geht darum, voneinander zu lernen, den Horizont zu erweitern.


Mehr zum Buchmarkt in den Niederlanden und Flandern lesen Sie im aktuellen Börsenblatt 37/2016 auf den Seiten 30-32.