Die Sonntagsfrage

Ist Shared Reading in Deutschland angekommen, Herr Sommerfeldt?

3. Februar 2017
Redaktion Börsenblatt
Carsten Sommerfeldt und Thomas Böhm wollen das 2002 in Liverpool aus der Taufe gehobene Projekt Shared Reading nach Deutschland holen. Auf der Buchmesse in Leipzig stellten sie 2016 den deutschen Ableger des Leseprojekts vor. Ob sie damit mittlerweile hierzulande verfangen haben, erklärt Carsten Sommerfeldt.

Das Projekt Shared Redading ist gar nicht so einfach zu erklären. „Mit – Lesen – Teilen“, sich austauschen und begegnen – durch das Lesen und die Literatur –, das trifft den Kern von Shared Reading ganz gut. Es ist eine in Liverpool entwickelte Methode des gemeinsamen lauten Lesens in Gruppen von bis zu 12 Personen, die dort bereits seit vielen Jahren erfolgreich angewendet wird. Doch was zunächst banal und altbekannt klingen mag, hat eine große Wirkungsmacht, die uns jedes Mal wieder tief beeindruckt und sehr inspirierend ist.


So funktioniert Shared Reading

Angeleitet werden diese, sich wöchentlich treffenden Gruppen von einem ausgebildeten Facilitator (Moderator). Er sucht auch die Texte für die Gruppe aus. Das sind zunächst in der Regel eine Kurzgeschichte und ein Gedicht, später dann auch längere Erzählungen und/oder ganze Romane. Was dann im gemeinsamen Austausch geschieht, finden die meisten von uns nur selten in ihrem Alltag: Die Teilnehmenden lassen sich zunächst - ohne klar definiertes Ziel - auf einen unbekannten Text ein. Auf ein Stück Literatur, das gewissermaßen in Schwingung mit einem selbst und mit der Gruppe gerät. Neue Lesarten entstehen im aktiven Zuhören, während der Text zum ersten Mal gelesen, bzw. gehört wird. Shared Reading schafft also neue (Ver-)Bindungen – im Kopf, emotional und sozial – ganz persönlich und in der Gruppe.

Was kann Shared Reading bewirken?

 „Es ist, wie wenn ich nochmal ein eigenes Reich entdecke.“ „Endlich mal ein Bildungsprojekt, das nicht so heißt. Heureka!“ Das sind nur zwei Stimmen von vielen hundert aus Berlin, die aber bald – davon sind wir überzeugt – auch in Frankfurt und überall in Deutschland zu hören sein werden. Neben vielen anderen Aspekten kann Shared Reading das Wohlbefinden steigern, die Selbstwirksamkeit erhöhen, eine persönliche Entwicklung ermöglichen, neue Perspektiven entstehen lassen, das Gemeinschaftsgefühl stärken und die Liebe zu literarisch verdichteter, existenzieller Literatur erlebbar machen.

 

Auf dem Weg nach Deutschland: Frankfurt

Wir gehen unseren Weg mit unseren Partnern Schritt für Schritt und sind ein gutes Stück vorangekommen. So wie in England, wo über die Zeit eine gemeinnützige Stiftung mit mehr als 400 Mitarbeitern entstanden ist, wollen auch wir in den nächsten Monaten weiter wachsen und über unsere Pilotprojekte die Methode in den verschiedenen Kontexten Gesundheit, Bildung, Unternehmen und Community sichtbar machen und evaluieren. Parallel haben wir die ersten Ausbildungen zum Facilitator hier in Berlin durchgeführt und wollen mit den neuen Kollegen auch in anderen Städten Shared Reading anbieten.

Wir freuen uns natürlich aktuell ganz besonders, dass mit dem Frankfurter Literaturhaus, dem Hospital zum Heiligen Geist und der Stadtbücherei in Frankfurt und ihren jeweiligen Förderern starke Partner an Bord sind, die das Neuartige an diesem Ansatz interessiert und die gemeinsam mit uns das Potenzial von Shared Reading für ihre jeweiligen Bereich ausloten wollen.


Nutzen für die Buchbranche?

Ein möglicher Nutzen könnten zufriedene und kreative Mitarbeiter in Verlagen, Buchhandlungen oder Bibliotheken sein. Das würde den Aspekt des gesteigerten Wohlbefindens ausgelöst durch eine psycho-soziale Intervention ansprechen. Ein weiterer Nutzen könnte für Verlage ein Zugang zu einer Community von Intensiv-Lesern sein, die diese Art der Lektüre in ihr privates Umfeld mitnimmt und verstärkt nach Erzählungsbänden und Lyrik fragt. Buchhandlungen könnten ihre Kundenbindung über Shared Reading erhöhen und gleichzeitig neue Zielgruppen für ihr Sortiment erreichen. Um nur einige Möglichkeiten zu nennen.

Hier geht es zur Shared-Reading-Seite: http://literarischeunternehmungen.de/

Und hier zu unserem Bericht über den Start in Berlin: https://www.boersenblatt.net/artikel-shared_reading_jetzt_auch_in_berli…