Interview mit Börsenvereins-Schatzmeister Matthias Heinrich

"Irgendwann geht es ans Eingemachte"

1. Juni 2017
von Börsenblatt
2018 werden die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen wohl zum ersten Mal unter die Fünf-Millionen-Grenze rutschen: Schatzmeister Matthias Heinrich über ein Finanzkorsett, das für den Börsenverein immer enger wird.

Dem Börsenverein schwinden die Mitglieder, schon 2015 rutschte die Zahl unter die 5.000er-Marke. Wie geht der Börsenverein damit finanziell um?
Ende März 2016 hatten wir noch 4.806 Mitglieder, Ende März 2017 waren es noch 4.682. Das ist keine erfreuliche Entwicklung – und leider wohl auch eine, die sich fortsetzt. Entsprechend sinkt für den Verband die Finanzierungsoption aus Beitragserlösen. Der Bericht auf der Hauptversammlung zum Jahresabschluss 2016, zum Forecast 2017 und zum Budget 2018 wird zeigen, dass aber auch andere Einnahmequellen nicht mehr so sprudeln wie in der Vergangenheit. Dies hat im Wesentlichen strukturelle oder historische Gründe und ist auch auf die veränderten Rahmenbedingungen zurückzuführen.

Die schwierigen Rahmenbedingungen sind bekannt, der Verweis auf strukturelle und historische Gründe klingt etwas kryptisch. Was meinen Sie damit?
Mit historisch meine ich, dass Erlöspositionen wie die seit 1996 vereinnahmten Mietvorauszahlungen des Kuratoriums Haus des Buches in Leipzig auslaufen. Das waren immerhin jährliche Erlöse in Höhe von 200.000 Euro. Die strukturellen Probleme zeigen sich daran, dass sich die Unternehmen aufgrund von Konzentrationsbewegungen, von Umsatzverschiebungen zum Onlinehandel oder aus anderen ökonomischen Gründen aus dem Markt zurückziehen – oder wegen Nachfolgeproblemen aufgeben. Kaum ein Mitglied tritt aus, weil es mit dem Leistungsspektrum des Börsenvereins unzufrieden ist. Ich kann mich übrigens in meiner aktiven Zeit im Börsenverein nicht daran erinnern, dass das Leistungsportfolio im Börsenverein jemals so rund beziehungsweise stimmig war und die Lobbyarbeit derart konzentriert und effektiv wie heute. Wir müssen deshalb auch mit Selbstbewusstsein auf das schauen, was der Börsen -verein jetzt bereits seit Jahren mit reduzierten Ressourcen für die Branche und die Mitglieder leistet – trotz schwieriger Rahmenbedingungen, die sich zum Beispiel auch darin widerspiegeln, dass sukzessive weniger Anzeigen im Börsenblatt geschaltet werden.

In der Hauptversammlung am 13. Juni präsentieren Sie den Finanzbericht für das zurückliegende Vereinsjahr 2016. Hat der Verband stark unter diesen Entwicklungen gelitten?
Dank klugem Kostenmanagement und auch durch die Generierung zusätzlicher Einnahmen ist es gelungen, 2016 erneut ein solides Ergebnis abzuliefern. Die Buchtage in Leipzig 2016 haben zu Einsparungen geführt und sind ein Ansporn, ab 2018 auch in Berlin effektivere und günstigere Buchtage zu organisieren. Wenn, so wie in diesem Jahr, Bundesjustizminister Heiko Maas zur Hauptversammlung spricht, zeigt das nicht nur den hohen Stellenwert des Börsenvereins, sondern es spricht auch für den Veranstaltungsort Berlin. Hier werden wir einen kostengünstigen und dennoch attraktiven Mittelweg finden. Für den Vorlesewettbewerb konnte ein Sponsor gewonnen werden, der mittelbar über die Stiftung des Börsenvereins eine für den Börsenverein wenigstens ergebnisneutrale Organisation der Veranstaltung ermöglicht, anders als in der Vergangenheit. Und die Zinsen für die Deckung der Altersversorgungszusagen waren noch einmal niedrig.

Wie sehen die Zahlen für das Vereinsjahr 2017 aus?
Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich feststellen, dass der Haushalt 2017 erneut auf Kante genäht ist. Zwar steigen die Pensionszinsen wieder abrupt an, die Niedrigzinspolitik der EZB schlägt auf jedes Konstrukt für Altersversorgungszusagen unmittelbar durch. Auch werden die Beitragseinnahmen nur noch knapp über fünf Millionen Euro liegen und die Einnahmen aus der Börsenblattlizenz gehen weiter zurück. Dank den Erlösen aus unseren Wirtschaftsbetrieben und dem Saldo des Vorlesewettbewerbs werden wir aber auch 2017 aus heutiger Sicht nach dem außerordentlichen Ertrag aus der Tilgung des Darlehens des Haus des Buches ein leicht positives Ergebnis abliefern können. 

Was bringt die Zukunft?
Der Schatzmeister hat die Aufgabe, die Mittelherkunft und Mittelverwendung in Kooperation mit Haupt- und Ehrenamt so zu steuern, dass der Verband solide aufgestellt ist, aber vor allem auch seine Leistungsfähigkeit erhält. Im Budget 2018 werden die Beitragseinnahmen das erste Mal unter die magische Fünf-Millionen-Euro-Grenze sinken. Die hohen Pensionsaufwendungen bleiben uns erhalten, selbst ohne Antizipation einer Finanzkrise war es grundsätzlich hilfreich, dass der Verband seit 2002 auf jegliche neue Versorgungszusage verzichtet hat. Daher ist zumindest in dieser Position mit keiner weiteren Aufwandserhöhung zu rechnen. Die Kosten steigen wegen der Preiserhöhungen in den Beschaffungsmärkten. In den letzen Jahren wurde wirklich an allen Stellschrauben gedreht, um Einsparungen ohne Leistungsverluste zu erreichen. In der Retrospektive und gegenwärtig bin ich als Schatzmeister deshalb mit der betriebswirtschaftlichen Entwicklung "zufrieden". Jedoch gilt das nicht für die Zukunft, ohne strukturelle Veränderungen mit Wirkung ab 2019 auf der Erlös- und/ oder auf der Ausgabenseite wird es kaum möglich sein, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.

Das Budget 2018 weist aus dem regulären operativen Geschäftsbetrieb ein Minus aus, der außerordentliche Ertrag aus der Tilgung des Darlehens des Haus des Buches sorgt dann für einen positiven Jahresüberschuss in der Planung. Können Sie das Budget guten Gewissens den Mitgliedern präsentieren? 
Ja, weil es durch ein rigides Kostenmanagement noch einmal gelingt, zumindest nach dem außerordentlichen Ertrag einen positiven Jahresüberschuss zu erzielen, trotz konstant sinkender Einnahmen. Aber der Haushaltsausschuss weist zu Recht schon seit längerer Zeit darauf hin, dass ein positives operatives Ergebnis beziehungsweise ein Nullergebnis vor dem außerordentlichen Aufwand/Ertrag anzustreben sei. Die Zinsentwicklung und deren Folgen auf das Budget und die realisierten Kosteneinsparungen haben dafür gesorgt, dass der Haushaltsauschuss trotz dieser Vorbehalte nachsichtig war. Ziel muss es aber sein, operativ eine schwarze Null zu schreiben, außerordentliche Erträge sollen das Salz in der Suppe sein beziehungsweise dazu dienen, unvorhergesehene Entwicklungen abzufedern.

Wie kann das gelingen, bei der aufgehenden Schere von steigenden Aufwendungen und sinkenden Erlösen?
Aus meiner Sicht sind zur Aufrechterhaltung des regulären Geschäftsbetriebs bei Beibehaltung des gegenwärtigen Leistungsportfolios nahezu alle Sparmaßnahmen vollzogen. Irgendwann geht es an das Eingemachte, die Verteilungskämpfe werden an Brisanz deutlich zunehmen, Etats müssen gekürzt werden, die einzelne Mitgliedergruppen als unverzichtbar erachten. Dies wird ein schmerzhafter Prozess. Oder man entscheidet sich für einen Baumschnitt und reduziert das Leistungsspektrum des Verbands auf den Stamm und nur noch ganz wenige gewollte Äste. Wobei darauf zu achten ist, dass man nicht den Ast absägt, auf dem man als Mitglied sitzt. Alternativ bleibt die Anpassung der Beiträge, damit der Börsenverein für seine Mitglieder das leisten kann, was diese letztendlich einfordern. Deshalb schließe ich keineswegs aus, dass in der Hauptversammlung 2018 ein Beschluss über Beitragserhöhungen ab 2019 erfolgen wird und muss. Oder wir kappen das Leistungsportfolio signifikant.

Das Amt des Schatzmeisters ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Bereuen Sie es, bei der Wahl 2016 noch einmal angetreten zu sein?
Ganz ehrlich, nein! Der ehrliche Zuspruch und der Respekt, der mir für meine nicht immer ganz einfache Arbeit entgegengebracht wird, motivieren mich. Auch in schwierigem Fahrwasser bedeutet das für mich, die Richtung zu halten. Das gilt gleichermaßen für unseren Verband.

Abschließend noch eine Frage zur Buchpreisbindung. Die Entwicklung bei der grenzüberschreitenden Arzneimittelpreisbindung hat dazu geführt, dass die EU- und deren Monopolkommission sich auch wieder mit der Buchpreisbindung beschäftigen. Hat der Verband hier Handlungsbedarf, um die Brancheninteressen angemessen vertreten zu können?
Die Buchpreisbindung ist ein fundamentaler Bestandteil unseres Branchengefüges. Um glaubwürdig und seriös auftreten zu können, benötigt man aktuelle Erkenntnisse und Forschungsergebnisse zur Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Preisbindung. Die letzte Studie stammt aus dem Jahr 2000, Amazon war noch kein Marktteilnehmer, Karstadt der größte Buchhändler in Deutschland und wir bezahlten in D-Mark. Damit lässt sich heute sicher, etwas lapidar ausgedrückt, auf politischer und gesellschaftlicher Ebene kein Pfifferling mehr gewinnen. Derzeit gehen wir davon aus, dass wir eine neue Studie in Auftrag geben müssen. Ich werde mich aber auch dafür einsetzen, dass dies den Haushalt des Börsenvereins nicht belastet und sich somit ergebnisneutral darstellen sollte.

Kandidaten für den Haushaltsausschuss

Auf der Hauptversammlung am 13. Juni in Berlin diskutieren die Mitglieder nicht nur über die Finanzen des Börsenvereins. Auf der Tagesordnung steht auch die Wahl eines neuen Haushaltsausschusses. Für die vier Plätze kandidieren:

  • Rainer Bartle, Geschäftsführer der Buchhandlung Wittwer, Stuttgart
  • Volker Dabelstein, Geschäftsführer des Schäffer-Poeschel Verlags / Verlagsleiter von Haufe Publishing
  • Michael Justus, kaufmännischer Geschäftsführer des S. Fischer Verlags
  • Ludger Wicher, Sprecher der Geschäftsführung bei hgv


Auch die Rechnungsprüfer stehen in Berlin zur Wahl. Es treten an:

  • York Bieger, Geschäftsführer des Psychiatrie Verlags
  • Gerrit Schooff, Mitinhaber der Buchhandlung Der Zauberberg, Berlin