Presseschau

Friedenspreisträger Saul Friedländer, Gruppe 47

15. Juni 2007
Redaktion Börsenblatt
"Mag sein, dass der Börsenverein mit der Wahl des Preisträgers ein bewusstes Zeichen setzen wollte", heißt es in der "FAZ" zur Verleihung des Friedenspreises an Saul Friedländer. Ebenfalls Thema: die Gruppe 47.
"Stimmgeber" - Lorenz Jäger in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zur Verleihung des Friedenspreises an Saul Friedländer: Als vor drei Jahren Péter Esterházy den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, da umspielte sein rhetorisch kunstvoller Dank die Paulskirchenrede von Martin Walser, Preisträger des Jahres 1998, mit sehr milder, urbaner und eleganter Ironie. Diesmal darf wohl eine andere Art der Bezugnahme auf Walser erwartet werden, auch wenn sie unausdrücklich bleiben sollte: Man wird am 14. Oktober gar nicht anders können, als zwischen den Zeilen zu hören. Denn nun, fast ein Jahrzehnt nach Walser, ist es der israelische Historiker Saul Friedländer, dem die Jury den Preis zugesprochen hat. Friedländer, geehrt für seine Beschreibung der Verfolgung und Ermordung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus, wird, wenn nicht alles täuscht, die späte Gegenrede zu Martin Walser halten. Mag sein, dass der Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit der Wahl des Preisträgers ein bewusstes Zeichen setzen wollte. "Mit Wissenschaft für die Würde kämpfen" - Jacques Schuster in der "Welt" über Saul Friedländer: Friedländer schuf den Begriff des "Erlösungsantisemitismus", um die besondere Brutalität zu erklären, mit der Hitler und seine Schergen handelten. In der Vernichtung der Juden hätten sie eine Art persönliche Erlösung gesehen, die zu der außergewöhnlich kriminellen Energie geführt habe. Man muss diese These nicht teilen, auch wenn sie sich mehr und mehr durchzusetzen scheint. Immerhin aber verschafft sie dem Interessierten neue Einsichten. Darüber hinaus hat Friedländer die Geschichtsschreibung über das Dritte Reich durch die Stimme der damaligen Zeitgenossen bereichert. An seinen Büchern kommt man nicht vorbei. Gleiches sollte auch für die helle, wache Sensibilität des Historikers selbst gelten, der als intimer Kenner der deutschen Nachkriegsgesellschaft bezeichnet werden kann. Wer davon nichts ahnt, der darf sich auf Friedländers Rede anlässlich der Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche freuen. "Chronist der Einzelschicksale" - in der "Frankfurter Rundschau berichtet Harry Nutt über den neuen Friedenspreispräger: Die Frage des Abstands hat ihn immer beschäftigt. Als jüdischem Historiker, so Saul Friedländer in einem Interview, sei es ihm nicht möglich, so weit Abstand von sich selbst zu nehmen, dass man als Fremder über den Holocaust schreiben könne. "Das subjektive Element ist ein Teil der Beziehung zu dieser Vergangenheit, ob man es will oder nicht und ob man sich dessen bewusst ist oder nicht." Wie kein anderer hat Friedländer derlei Überlegungen zum Ausgangspunkt seines wissenschaftlichen Großprojekts gemacht. Anfang des Jahres brachte er dieses mit dem fast 900 Seiten starken Band "Die Vernichtung der Juden" (C.H. Beck Verlag) zum Abschluss und wurde dafür wenig später mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Mit beharrlicher Nüchternheit, aber eben auch mit detailversessenem Blick für die Schicksale Einzelner berichtet Friedländer von der Entrechtung und Ermordung von mehr als fünf Millionen Juden. "Die Suche nach der verlorenen Zeit" - das "Handelsblatt" macht sich Gedanden über die Rolle der Literaturbewegung Gruppe 47: Mehr als 80 Autoren von Günter Grass über Erich Fried und Günter Eich oder Marcel Reich-Ranicki fanden den Weg ins stille Wiesenttal. Sogar der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller kam in die romantische Mühle, um dem damaligen Preisträger Jürgen Becker zu gratulieren. Doch der Traum im Grünen wurde zum Albtraum. Apo-Studenten aus dem nahen Erlangen mischten die Runde auf. Die Autoren wurden von diesen linken Studenten als "unpolitische Dichter" veralbert. Vietcong-Fahnen wurden vor der Pulvermühle gehisst. Und die Gruppe 47 spaltete sich in zwei Lager: die Progressiven und die Konservativen. Da half auch nicht mehr der reichliche Genuss von Frankenwein weiter. Zu dem nächsten anvisierten Treffen in Prag kam es nicht mehr. Die Gruppe hatte sich überholt. Sie starb einen eher stillen Tod durch Altersschwäche. "In gewisser Weise ist diese Gruppe 47 - oder der Traum, den Hans Werner Richter davon hatte - tatsächlich in der Pulvermühle zerbrochen, weil plötzlich die Außenwelt eindrang", bilanziert der damalige Teilnehmer und Autor Yaak Karsunke. Die Literatenbewegung wurde von der neuen Autorengeneration als Papiertiger entlarvt. Doch das scheint heute vergessen.