Geschichte
Von Jörg Friedrich erwartet man mehr als eine gut geschriebene Neuerscheinung. Man erwartet Sprengstoff. Mit seinem anklagenden Buch über den Bombenkrieg (»Der Brand«) hat er Kontroversen ausgelöst. In dem neuen Werk mit dem Titel »Nemesis«, der bereits ein gewisses historisches Pathos verspricht, wird die Position der Alliierten als strahlende, moralisch unanfechtbare Sieger weiter untergraben. Friedrich setzt die Brille des Westens ab und nimmt die ungewohnte Perspektive des fernen Ostens ein. So rückt der pazifisch-asiatische Kriegsschauplatz in den Mittelpunkt, wo es dem Westen keineswegs um Werte, sondern um die Aufrechterhaltung kolonialer Herrschaftsansprüche gegangen sei, mit einer Kriegsführung, die vor Entrechtung und Rassismus nicht zurückscheute. Das Buch verspricht nicht weniger als eine »Revision der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts«.
Nicht nur bei Friedrich geht der Blick nach Osten. Simon Sebag Montefiore, viel gelobt für seinen großen Stalin-Report »Am Hof des roten Zaren«, bietet nun die spannende Vorgeschichte des Diktators. Revolutionär und Bankräuber, Priesterschüler und Erpresser, dichtender Musenfreund und Mörder, Ehemann, Vater und Liebhaber all das war der junge Stalin, und man muss wohl mit größter Skrupellosigkeit begabt sein, um diese Rollen verbinden zu können.
Mit einem Stalin-Komplex beschäftigt sich auch Martin Amis in »Koba, der Schreckliche«. Das Buch behandelt die Etappen des Terrorregimes; vor allem aber geht es Amis um die Haltung westlicher Linksintellektueller (darunter sein Vater, der Schriftsteller Kingsley Amis), die Stalin im Vergleich zu Hitler stark verharmlosten und Schauprozesse, Gulag und durch Zwangskollektivierung bedingte Hungerkatastrophen auf die leichte Schulter nahmen.
Auch in diesem Herbst werden die deutschen Verbrechen freilich nicht vergessen. Bernward Dörner belegt in bisher nicht gekannter Gründlichkeit, wie weit verbreitet die Kenntnis der Judenvernichtung in Wahrheit war. Und, so die These des Autors, sie traf auf klammheimliche Zustimmung. Erst recht die gesellschaftliche Elite im Nationalsozialismus ließ sich durch den Massenmord nicht bei ihren exklusiven Vergnügungen stören, wie Fabrice DAlmeidas Studie über das »mondäne Leben im Nationalsozialismus« beweist.
Ein Geschichtsbuch der Saison werden Fritz Sterns Erinnerungen »Fünf Deutschland und ein Leben« sein. Der Friedenspreisträger verbindet darin persönliche Erfahrung und Familienmemoiren mit historischen Analysen ein Buch der deutschen Identitäten und Begegnungen. Einen interessanten Blick auf unser Land verspricht auch »Das Schlangenei« des Katalanen Eugeni Xammer. Als Deutschlandkorrespondent berichtete er über die exzessiven Jahre der Inflation 192224, die durch die Traumatisierung der Sparer zum Vorspiel des »Dritten Reichs« gehörten.
Wer sich zur Abwechslung über einen Triumph der Menschlichkeit informieren will, sollte Adam Hochschilds neues Buch lesen. Zuletzt hatte der Autor die bemerkenswerte Darstellung eines Menschheitsverbrechens geliefert: der belgischen Kolonialherrschaft im Kongo, die zehn Millionen Menschen das Leben kostete. Jetzt hat er über die Abschaffung der Sklaverei geschrieben. Man lese und staune: Sie verdankt sich einer kleinen Gruppe von Aktivisten.
Novitäten (Auswahl)
Fabrice DAlmeida
Kaviar und Hakenkreuz. Das mondäne Leben im Nationalsozialismus
Patmos, 400 S., 29,90 Euro
Martin Amis
Koba, der Schreckliche
Hanser, 256 S., 21,50 Euro
Bernward Dörner
Die Deutschen und der Holocaust
Propyläen, 600 S., 29,90 Euro
Henrik Eberle (Herausgeber)
Briefe an Hitler
Lübbe, 320 S,. 19,95 Euro
Jörg Friedrich
Nemesis
Propyläen, 750 S., 25,- Euro
Adam Hochschild
Sprengt die ketten. Der entscheidende Kampf um die Abschaffung der Sklaverei
Klett-Cotta, 500 S., 26,50 Euro
Serge Klarsfeld
Vichy Auschwitz.
WBG, 600 S., 59,90 Euro
Volker Kopp
Dem Führer ein Kind schenken.
Böhlau, 300 S., 24,90 Euro
Simon Sebag Montefiore
Der junge Stalin
S. Fischer, 608 S., 24,90 Euro
Fritz Stern
Fünf Deutschland und ein Leben
C.H. Beck, 688 S., 29,90 Euro
Eugeni Xammer
Das Schlangenei. Berichte aus dem Deutschland der Inflationsjahre
Berenberg, 224 S., 21,50 Euro
Victor Zaslavsky
Klassensäuberung. Das Massaker von Katyn.
Wagenbach, 144 S., 10,90 Euro
Naturwissenschaften
Wie kommt die Güte in die Welt? Lange brachte der Altruismus die Evolutionsbiologen in Erklärungsnotstand. Wenn es bloß ums egoistische Gen ging wieso dann Mitleid und Selbstaufopferung? In jüngster Zeit hat sich der Forschung die Natur der kooperativen Gefühle erschlossen. Dass es durchaus genetische Gründe gibt, warum wir nett, hilfsbereit und solidarisch sind, legt Rolf Degen in »Das Ende des Bösen« dar.
Die Wissenschaftsjournalisten Bas Kast und Gerald Traufetter widmen sich in zwei Büchern einem Phänomen, für das bisher eher die Esoterik zuständig schien: der Intuition. Warum liegen wir oft richtig, wenn wir auf den ersten Blick den Partner fürs Leben erkennen? Das vermeintliche Irrationale ist nicht selten klüger und kreativer als der Verstand. Für ihre Rehabilitierung des Bauchgefühls haben die Autoren die Labore von Biologen und Neurowissenschaftlern besucht. Sie zeigen uns, was im Gehirn bei unbewussten Entscheidungen passiert.
Biowissenschaftliche Einblicke unter die Schädeldecke bietet auch Manfred Spitzers Buch »Das Gehirn. Eine Gebrauchsanleitung«. Wer über die Funktionsweise des Gehirns Bescheid weiß, führt auch ein besseres Leben so die These. Sie zeigt, dass populärwissenschaftliche Bücher zunehmend nicht nur Erkenntnisse, sondern auch lebenspraktische Verheißungen offerieren.
Bei Suhrkamp gestalten sich solche Fragen meist komplexer. Wie entsteht überhaupt Bewusstsein aus neuronalen Strukturen? Ist das Selbst nicht, wie schon Nietzsche meinte, ebenso eine Illusion wie die Willensfreiheit? Ins Grundsätzliche gehen die Fragen, die Susan Blackmore im Gespräch mit 20 Naturwissenschaftlern, Hirnforschern und Philosophen verhandelt hat. Es ist keine Einführung, sondern ein Buch, das die kontroverse Forschungslandschaft spiegelt.
Ein interessantes neues Forschungsfeld, bei dem sich Naturwissenschaft und Geschichte verbinden, ist die Umwelthistorie. Im Frühjahr hat Josef H. Reichholf schlagend deutlich gemacht, wie sehr Naturereignisse und menschliche Geschichte zusammenhängen. Jetzt legt der Harvard-Professor David Blackbourn ein Buch über die Geschichte der deutschen Landschaft vor die sich vor allem in den vergangenen 250 Jahren als großer Feldzug der Entwässerung darstellt. Sümpfe und Überschwemmungsgebiete zu drainieren, war gewissermaßen ein Projekt der preußischen Aufklärung, mit der sich das heutige Landschaftsbild in Nord- und Mitteldeutschland erst herstellte. Ein ungewohnter hydrologischer Blick auf die deutsche Geschichte.
Landschaftsgeschichte der spektakulären Art bietet Alan Weisman. Auf der Basis der Katastrophenszenarien der letzten Jahre fantasiert er das Verschwinden der Menschheit. »Die Welt ohne uns« lautet der Titel seines Buches, das die »Reise über eine unbevölkerte Erde« antritt. Weisman schildert, wie die Spuren der Zivilisation überraschend schnell ausgewischt werden und fragt sich, welche Großbauwerke noch am längsten im wieder wuchernden Urwald von uns Gewesenen künden werden. Wird der Plastikmüll unsere allerletzte Spur sein? Weisman hat diverse wissenschaftliche Disziplinen zu Rate gezogen, um seine Prognosen der Auslöschung zu fundieren. Mancher träumt davon, seine eigene Beerdigung zu erleben hier ist der ganzen Spezies das Vergnügen vergönnt.
Novitäten (Auswahl)
David Blackbourn
Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft
DVA, 650 S., 39,95 Euro
Susan Blackmore
Gespräche über Bewusstsein
Suhrkamp, 350 S., 26,80 Euro
Rolf Degen
Das Ende des Bösen
Piper, 320 S., 19,90 Euro
Bas Kast
Intuition. Wie der Kopf dem Bauch beim Denken hilft, Die Kraft der Intuition
S. Fischer, 224 S., 17,90 Euro
Manfred Spitzer
Das Gehirn
Rowohlt, 256 S., 19,90 Euro
Gerald Traufetter
Intuition. Die Weisheit der Gefühle
Rowohlt, 320 S., 19,90 Euro
Alan Weisman
Die Welt ohne uns
Piper, 384 S., 19,90 Euro
Biografien
Es wird ein Herbst der Biografien. Das könnte ein Ausdruck dafür sein, dass große Themen fehlen. Es könnte aber auch daran liegen, dass spannende Persönlichkeiten ins Blickfeld rücken und sei es aufgrund von Gedenktagen. Wird Amerika bald von einer Präsidentin regiert? Zur Vorbereitung dieses immer wahrscheinlicheren Eventualfalls kann man sich jetzt schon über die Karriere und das machtbewusste Leben von Hillary Clinton informieren. Ganz nach oben will auch Klaus Wowereit, der seine erste Biografie noch selbst geschrieben hat. Er zeigt sich darin, »wie er wirklich ist«, also nicht nur als Partylöwe, sondern auch als Ackergaul im Amt.
Eine große politische Biografie, die unvermeidlich zur Geschichte der Bundesrepublik wird, legt Peter Merseburger bei der DVA vor: über Rudolf Augstein, den »Citizen Cane« der deutschen Nachkriegspublizistik. Faszinierende Persönlichkeiten der Gegenwart bringen Selbstdarstellungen heraus: Der Blues-Gitarrist Eric Clapton, lange als Gott der Musikszene verehrt, schildert sein Leben, das von musikalischen Höhenflügen und Abstürzen in die Sucht geprägt ist. Roland Berger, der große Unternehmensberater und Vertraute aller Top-Entscheider, schenkt sich zum 70. Geburtstag eine Autobiografie.
Obwohl es noch vier Jahre sind bis zum 200. Todestag, bringen sich in diesem Herbst die ersten Kleist-Biografen in die Poleposition: der Emeritus Gerhard Schulz legt die solidere, der Journalist Jens Bisky (Rowohlt Berlin) die womöglich leidenschaftlichere Darstellung vor.
Einer der Größten der englischen Literatur, Joseph Conrad, erhält zum 150. Geburtstag endlich eine bedeutende Biografie in deutscher Sprache. Conrad schrieb bestechend klar über das Mysteriöse »Fahrt ins Geheimnis« lautet deshalb passenderweise der Titel von Elmar Schenkels Buch. Als Übersetzung erscheint außerdem die Conrad-Biografie von John Stape im Marebuch Verlag.
Hanser macht sich seit längerem um den Schriftsteller und Zollbeamten Herman Melville verdient. Jetzt gibt es eine Biografie von Andrew Delbanco (Hanser), die trotz ihres Umfangs von 500 Seiten als schmale, populäre, gut lesbare Variante von Hershel Parkers zweibändiger Mammutdarstellung daherkommt. Eine Ikone der Kritik, eine intellektuelle Provokateurin mit Glamour das war die Essayistin (und Friedenspreisträgerin) Susan Sontag, deren Leben Daniel Schreiber bei Aufbau erzählt.
Auch Ernst Jünger (Piper) und Stefan George (Blessing) werden mit großen Biografien gewürdigt. Bernd Mattheus legt das »Porträt eines rasenden Skeptikers« vor. Gemeint ist der rumänisch-französische Philosoph und Hardcore-Pessimist Emil Cioran. Ein lachender Pessimist war auch Wilhelm Busch, der Comic-Erfinder und Knittelvers-Verfasser, dem aus Anlass des Doppeljubiläums gleich zwei Biografien (bei Aufbau und Kiepenheuer & Witsch) gewidmet sind.
Novitäten (Auswahl)
Roland Berger
Die Kunst der Beratung. Autobiographie
Econ, 300 S., 22,90 Euro
Jens Bisky
Kleist
Rowohlt Berlin, 400 S., 19,90 Euro
Eric Clapton
My Life
Kiepenheuer & Witsch, 464 S., 19,90 Euro
Andrew Delbanco
Herman Melville
Hanser, 512 S., 34,90 Euro
Jeff Gerth/Don Van Natta Jr.
Hillary Rodham Clinton. Ihr Weg zur Macht
Piper, 432 S., 16,90 Euro
Thomas Karlauf
Stefan George
Blessing, 400 S., 22,95 Euro
Bernd Mattheus
Cioran. Porträt eines rasenden Skeptikers
Matthes & Seitz, 448 S., 28,90 Euro
Peter Merseburger
Rudolf Augstein
DVA, 576 S., 29,95 Euro
Elmar Schenkel
Fahrt ins Geheimnis. Joseph Conrad
S. Fischer, 460 S., 24,90 Euro
Daniel Schreiber
Susan Sontag. Geist und Glamour
Aufbau, 280 S., 22,95 Euro
Gerhard Schulz
Kleist
C.H. Beck, 608 S., 29,90 Euro
Gudrum Schury
Ich wollt ich wär ein Eskimo
Wilhelm Busch. Aufbau, 400 S., 24,95
Heimo Schwilk
Ernst Jünger
Piper, 580 S., 24,90 Euro
Dieter Wedel
Volles Risiko
Lübbe, 320 S., 19,95 Euro
Eva Weissweiler
Wilhelm Busch. Der lachende Pessimist
Kiepenheuer & Witsch, 304 S., 19,90 Euro
Klaus Wowereit
Und das ist auch gut so. Mein Leben für die Politik
Blessing, 300 S., 19,95 Euro
Glaubensfragen
Wer hätte gedacht, dass die uralte Form des Pilgerberichts zu Beginn des dritten Jahrtausends die Bestsellerlisten erobern würde? Reisen unter erschwerten Bedingungen wird zum Luxus in Zeiten der Billigflieger, wenn es spirituelle Bonusmeilen einträgt.
Päpste, Pilger, Prediger das Thema Religion ist wieder ein Schwerpunkt in den Programmen. Man mag sich fragen, ob das Christentum noch maßgeblich unsere Gegenwartskultur prägt, von Ostern, Weihnachten und dem Gedränge auf dem Jakobsweg einmal abgesehen. Kirchen werden abgerissen und Gemeinden zusammengelegt, sodass Menschen, die es früher nicht weit zur nächsten Dorfkirche hatten, oft lange fahren müssen, wenn sie einen Gottesdienst besuchen möchten. Aber auf den Büchertisch ist die Religion tatsächlich »zurückgekehrt«. Ist es die neue Frömmigkeit? Oder empfinden die Leser die Religion, gerade weil sie aus dem Alltag fast gänzlich verschwunden ist, als »intellektuelles Abenteuer«?
Auf jeden Fall richten sich viele Titel nicht an Überzeugte, sondern wollen ein »Kursbuch für Zweifler« sein, wie der Untertitel von Keith Wards Buch »Gott« lautet. »Was ist eine gute Religion?«, fragt ein Band bei C.?H. Beck und liefert Antworten von 18 Praktikern und Theoretikern des Glaubens. Was Glauben überhaupt ist das will noch grundsätzlicher Martin Riesbrodt in seiner »Theorie der Religion« erkunden. Rituale und Heilsversprechen werden hier als Schlüssel für die alle Aufklärung überdauernde Anziehungskraft von Religionen begriffen.
Natürlich geht es auch um den Trialog der Religionen der Theologe Karl Josef Kuschel sieht die Zukunft nicht im Kampf der Kulturen, sondern in einer gemeinsamen monotheistischen Neubesinnung, die der jahrhundertelangen Abgrenzung voneinander ein Ende machen soll. Ohne milde Versöhnungsmusik kommt dagegen Betsy Udink aus. Ihr Bericht »Allah & Eva« prangert die »unvorstellbare Brutalität« der Männer in der patriarchalischen islamischen Gesellschaft an.
Der Rückkehr der Religion entspricht längst auch die Rückkehr der Religionskritik. Mit voltaireschem Furor attackiert der berühmte Evolutionsbiologe Richard Dawkins den »Gotteswahn«, der die Intelligenz in Fesseln lege. Es ist ein Plädoyer für die Vernunft, gegen glaubensgestützte Wissenschaftsfeindlichkeit und den Fundamentalismus, schon jetzt ein internationaler Bestseller.
Nicht weniger vehement kommt das Buch von Christopher Hitchens daher: »Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet«. Hitchens beklagt den unheilvollen Einfluss der Religion auf Politik und Gesellschaft in einer Welt, die zu klein geworden sei für Ausschließlichkeitsansprüche. Nicht nur als archaische Staatsdoktrin, auch als vermeintlich modernes Sinnstiftungsangebot führe der Glaube in eine Sackgasse.
Als aufgeklärtes Kursbuch in einer kleinen Welt der vielfältigen Kulturen empfiehlt sich schließlich Kwame Anthony Appiahs Werk »Der Kosmopolit«. Gegen die Überbetonung der Differenz im abendländischen Denken macht Appiah die »Gemeinsamkeit des Menschseins in einer Welt von Fremden« zur Grundlage seiner an klassische Ideale anschließenden, fürs 21. Jahrhundert aufpolierten Philosophie des Weltbürgertums.
Novitäten (Auswahl)
Kwame Anthony Appiah
Der Kosmopolit
C. H. Beck, 240 S., 19,90 Euro
Richard Dawkins
Der Gotteswahn
Ullstein, 560 S., 22,90 Euro
Christopher Hitchens
Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet
Blessing, 320 S., 17,95 Euro
Karl Josef Kuschel
Juden, Christen, Muslime
Patmos, 500 S., 29,90 Euro
Martin Riesbrodt
Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religion
C.H. Beck, 320 S., 29,90 Euro
Betsy Udink
Allah & Eva. Der Islam und die Frauen
C.H. Beck, 237 S., 18,90 Euro
Keith Ward: Gott. Das Kursbuch für Zweifler
Primus, 256 S., 29,90 Euro
Revolutionäres
Nun erinnern sie sich wieder: die Achtundsechziger, deren Revolte im nächsten Jahr Jubiläum hat. Noch lässt sich aus den Büchern zum Thema keine Barrikade bauen, aber da wird noch einiges nachkommen. Als erstes meldet sich Daniel Cohn-Bendit zu Wort, mit einem Lesebuch über »das magische Jahr 1968« und wieder scheint es, als hätten die Studenten auch die Rockmusik und die freie Liebe erfunden. Jörg Magenau hat der publizistischen Spätgeburt der Bewegung, der wunderbar überlebensfähigen »taz«, ein andächtiges Buch gewidmet, wobei der Untertitel ausgerechnet eine Formel des bürgerlichen Thomas Mann variiert: »Eine Zeitung als Lebensform«.
Auch zum gewaltsamen Widerstand der 70er Jahre gibt es einen Memoirenband. Magdalena Kopp beschreibt, wie sie aus den Krei- sen von »Feierabendterroristen« schließlich an die Seite des damaligen Topmanagers der politisierten Gewalt geriet: Sie wurde die Lebensgefährtin von Carlos, einem der meistgesuchten Terroristen der Epoche. Das Buch verspricht intime Einblicke ins radikalisierte Milieu. Vertraute Nähe zu einem Leitfossil der Protestgeneration sucht auch Jürgen Schreiber: »Meine Jahre mit Joschka« (Econ) lautet der Titel seiner Hommage.
Und heute? Haben wir wieder gute Zeiten für Straßenkämpfer? Mancher ruft bereits zum Generalstreik auf. Der Kapitalismusverdruss wächst stündlich. Dass Naomi Klein ein neues, flammendes Werk geschrieben hat gegen den »Katas-trophen-Kapitalismus«, der Kriege und Naturkatastrophen zu satten Gewinnen macht, dass diese Autorin die Gewalt der ungezügelten Marktwirtschaft beklagt man konnte damit rechnen. Aber auch Dieter Balkhausen, der honorige Börsenmann des ZDF, legt ein Buch vor, dessen Titel auf blutrotem Umschlag den Leser förmlich anspringt: »Raubtierkapitalismus«! Es geht um die »angloamerikanisierten Finanzmärkte« mit ihren Spielern, Großspekulanten und Firmenjägern.
Amerika-Kritik der fundierten Art bietet das Buch des renommierten US-Reporters und Auslandskorres-pondenten Stephen Kinzer. »Putsch!« ist eine gründliche »Geschichte des amerikanischen Imperialismus«. Immer wieder sieht Kinzer dasselbe Muster: Hinter der ver-meintlichen Ausbreitung demokratischer Ideale stehen kapitalis-tische Interessen, seitdem amerikanische Plantagenbesitzer Ende des 19. Jahrhunderts mithilfe der Regierung die Monarchie von Hawaii stürzten. Man liest dergleichen nicht zum ersten Mal, aber Kinzers systematische Darstellung der »gerechten« Kriege und gelenkten Putsche stimmt auch den größten Freund des Imperiums nachdenklich.
Doch hierzulande gibt es ebenfalls harsche Kritik. Das von Walter van Rossum herausgegebene »Schwarzbuch Deutschland« sammelt all jenes politisch relevante Wissen, das sich mit vorherrschenden Meinungen nicht verträgt. Den unverantwortlichen Rückzug des Staates aus vielen zentralen Aufgaben der Infrastruktur beklagt Rüdiger Liedtke in »Wir privatisieren uns zu Tode Wie uns der Staat an die Wirtschaft verkauft«. Was sich das Gemeinwesen über Generationen mit Steuergeldern aufgebaut habe, werde von der Politik im Zuge des »Privatisierungswahns« gegen schnelles Geld verschleudert. Ein Staat, der die Daseinsfürsorge seiner Bürger aufgebe, entziehe sich selbst jedoch die Legitimation. Also doch: Revolution? Erst einmal abwarten und lesen.
Novitäten (Auswahl)
Dieter Balkhausen
Raubtierkapitalismus
Fackelträger, 320 S., 19,95 Euro
Daniel Cohn-Bendit/Rüdiger Dammann (Hg.)
1968. Die Revolte
S. Fischer, 256 S., 14,90 Euro
Naomi Klein
Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus
S. Fischer, 560 S., 22,90 Euro
Magdalena Kopp
Die Terrorjahre. Mein Leben an der Seite von Carlos
DVA, 300 S., 19,95 Euro
Stephen Kinzer
Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus Eichborn, 576 S., 32 Euro
Rüdiger Liedtke
Wir privatisieren uns zu Tode
Eichborn, 208 S., 14,95 Euro
Jörg Magenau
Die taz. Eine Zeitung als Lebensform
Hanser, 272 S., 21,50 Euro
Jürgen Schreiber
Meine Jahre mit Joschka
Econ, 220 S., 19,90 Euro