"Klagenfurt - Kasachstan, und zurück" - Doris Plöschberger berichtet für "Spiegel online" aus Klagenfurt:
Die Diskussionen verliefen zum Teil schleppend, gerne wurde der Inhalt nacherzählt und ausführlich zitiert, was man ohnehin gerade gehört hatte, und manche konnten sich gerade dann zu keiner Wortmeldung aufraffen, wenn es ganz offensichtlich Stoff für eine Kontroverse gab, wie beim Auftritt des deutschen Musikers und Autors PeterLicht. Der sorgte für ein weiteres kurioses Element in der an Kuriosa nicht armen Wettbewerbsgeschichte. Für seinen Auftritt in der wahrscheinlich längsten Live-Literatur-Fernsehsendung der Welt hatte er ein Bilderverbot erlassen, durfte nicht gefilmt und fotografiert werden. Das TV-Publikum bekam ihn während seiner Lesung dann konsequent nur von hinten zu sehen. So viel Selbstinszenierung brachte einige in Rage. "Affentheater" nannte es Karl Corino, allerdings erst am letzten Wettlesetag, als ausgerechnet ein eindeutig misslungener Text über den Schrecken des hohen Alters einiges an Furor, aber keine neue Qualität in die Diskussion brachte. Dass nicht ästhetische Fragen, sondern Antipathien und persönliche Betroffenheit zu einer hitzigeren Auseinandersetzung führten, sprach jedenfalls nicht gegen die Texte. Gegen Teile der Jury schon.
"Schlingernd durch Kasachstan" - Elmar Krekeler schreibt in der "Welt" über den Literaturwettbewerb in Klagenfurt:
Man wurde geradezu dankbar für Sprachkunststücke wie Thomas Stangls Streifzüge eines geschichts- und bildersüchtigen, lebenssüchtigen, lebensuntüchtigen eigensinnigen Riesen durch ein steinernes Wien. Das ließ einen zwar in der Regel kalt und ausgesperrt, erinnerte inmitten der Ödnis früh an Sprach-, Leblosigkeit oder Gedankenarmut verendeter Texte aber immerhin ans Wesentliche: die Fähigkeit von Sprache, Räume und Zeiten aufzureißen, Chronologien zu zerstören, und zur höheren Erkenntnis und ästhetischen Freude, so wieder zusammenzusetzen, wie es eben keine andere Kunst kann.
Es musste schon weit weg gehen, um zu gelingen, das Erzählen. Jochen Schmidts Kosmonaut flieht ins All (dass es am Ende wahrscheinlich sein Kinderzimmer ist, in dem er endet, spielt keine Rolle). Über der Welt kreisend, blickt er auf sie und das Leben der unvollkommenen Menschen, und was ihm einfällt, ist ein hochkomisches, sehr melancholisches Poesiealbum voller nutzloser erkenntnistheoretischer Weisheiten. Lutz Seiler unternahm eine Fahrt mit der TurkSib durch Kasachstan. Auf seinem schlingernden Weg durch diesen Zug, auf dem er uns mitnimmt, entdeckt man in jedem neuen Textabteil, jedem neuen Textwaggon immer mehr an Subgeschichten, literarischen Allusionen, die der genuine Lyriker fast unsichtbar untergebracht hat. Ein beinahe altmeisterliches Meisterwerk der modernen Erzählkunst.
Und dann kam PeterLicht und fegte mit leiser Stimme fast schon gewalttätig mitten hinein ins Hirn nicht nur der Literatur, sondern gleich des ganzen 21. Jahrhunderts. Ein kabarettistisches, dekonstruktivistisches Meisterstück über das Einbrechen einer Apokalypse und das Weiterleben mit ihr und in ihr. Brüllkomisch, todtraurig, sprachwütig, an den Herz- und Hirnströmen unserer Zeit.
"Ohne ihr Wissen?" - Ina Hartwig schreibt in der "Frankfurter Rundschau" über die am Wochenende bekannt gewordenen NSDAP-Mitgliedschaft von Walser, Lenz und Hildebrandt:
Eine Information ist noch kein Vorwurf. Wenn jetzt im Bundesarchiv in Berlin Unterlagen aufgetaucht sind, die die NSDAP-Mitgliedschaft der Schriftsteller Siegfried Lenz und Martin Walser und des Kabarettisten Dieter Hildebrandt belegen, dann handelt es sich um eine Information, die zunächst einmal von Historikern erläutert werden sollte, bevor irgend jemand sonstige Schlüsse daraus ziehen mag. Alle drei sagen übereinstimmend, von ihrer Mitgliedschaft nichts gewusst zu haben. "Ich war im Februar 1944 als Luftwaffenhelfer in Oberschlesien. Ich habe nie einen Aufnahmeantrag gekriegt", sagte Hildebrandt. Dennoch scheint festzustehen, dass er am 20. April 1944, dem 55. Geburtstag des "Führers", in die Partei aufgenommen wurde, ebenso wie Walser und Lenz. Diese Generation, die in ihren besten Jahren für die kriminellen Ambitionen und Vernichtungsorgien der Nationalsozialisten verheizt worden ist und daraus nicht selten eine biographische Bitternis ableitet, hat es schwer. Man würde ihr auch gern einmal Ruhe gönnen, zumal jenen, die in Jahrzehnten als Künstler und Intellektuelle die bundesdeutsche Demokratie mitgeprägt haben. Dennoch: So einfach ist es leider nicht.