Interview

"Immer neue exotische Bäumchen"

5. Juli 2007
Redaktion Börsenblatt
"Der Kriminalroman ist die ideale Landschaft, um eine harmonische Verbindung von U und E zu gewährleisten." Meint Heinrich Steinfest, mit dem boersenblatt.net zum Erscheinen des Extra Krimi im aktuellen BÖRSENBLATT (27 / 2007) gesprochen hat.
Deutschsprachige Autoren von Kriminalromanen kommen bei Kritik und Publikum immer besser an. Was hat sich da in den letzten fünf Jahren verändert? Steinfest: Die deutsche Literatur steht allgemein gerne für eine gewisse Kopflastigkeit. Man muss das nicht per se für ein Verbrechen halten, dies kann auch seine Reize haben. Diese "Liebe zur Kopflastigkeit" besteht eben nicht nur bei den Autoren, sondern auch bei vielen Lesern, die scheinbar überhaupt kein Problem damit haben, von einem Text herausgefordert zu werden, ja, denen es sogar Spaß bereitet, mit schwierigeren Dingen als den Grundrechnungsarten konfrontiert zu werden. Was den neuen deutschen Krimi so interessant macht, ist, dass er soeben in Bereiche höherer Mathematik vorstößt. Zumindest teilweise. Ist für Sie die deutschsprachige Krimi-Szene heute innovativ genug oder könnte eine Brise Pfeffer noch gut tun? Steinfest: Der Pfeffer ergibt sich von selbst, da eine lebhafte Diskussion darüber besteht, was der Krimi darf und was nicht. Die Front der "klassischen Schreiber" animiert die "Neuerer". Das Genre ist attraktiv und wird viele junge Autoren anziehen, so dass die alten sich auch was überlegen müssen. Jedenfalls glaube ich kaum, dass wir bereits bei einem Endpunkt angelangt sind. Der Kriminalroman ist die ideale Landschaft, um eine harmonische Verbindung von U und E zu gewährleisten und immer neue exotische Bäumchen zu pflanzen. In Ihren Kriminalromanen spielen Satire und philosophische Überlegungen keine kleine Rolle. Überfordert man da nicht den klassischen Krimi-Leser, der eine Leiche und einen Kommissar haben will, der ihn dann bei der Hand nimmt und zum Mörder führt? Steinfest: Na, meine Kommissare nehmen die Leser ja auch an der Hand, führen sie aber zu Wittgenstein, den schönen Künsten, in merkwürdige Alpträume und hinein in die Labyrinthe des Lebens – und immer wieder auch zu einem Mörder, nur dass dieser Mörder nicht in der üblichen Klarheit vor uns steht. Ich sehe keine Klarheit im Leben, also vermittle ich sie auch nicht. Und ich verdinge mich auch nicht als Verfasser von Gebrauchsanleitungen für Hobbydetektive. Sie haben ja auch surreale Geschichten geschrieben. Wie realitätsnah oder wie surreal darf ein Kriminalroman eigentlich sein? Steinfest: Das Surreale ist für mich Teil der Wirklichkeit, der Einbruch des Unwirklichen in eine mühsam aufrecht erhaltene Normalität. Das passt zum Kriminalroman sehr gut, in welchem Menschen aus ihrem Alltag herausgerissen werden und in das Fahrwasser einer Geschichte geraten, die sie bisher nur aus "Romanen" kannten. Der surreale Anteil ist nicht aufgesetzt, sondern notwendig, um eine Wirklichkeitsnähe herzustellen. Ihr neuer Kriminalroman "Die feine Nase der Lilli Steinbeck" erscheint im September. Was können Sie uns Lesern schon darüber verraten? Steinfest: In diesem Roman geht es um das Gegensatzpaar "Rasanz & Langsamkeit". Einerseits haben wir es mit einer James-Bond-artigen Hetzjagd um die halbe Welt zu tun. Andererseits gibt es zwei Hauptfiguren, von denen die eine, Lilli Steinbeck, in erster Linie auf die Eleganz ihrer Erscheinung bedacht ist, während der griechische Detektiv Kallimachos von seiner Körpermasse und seiner Unbeweglichkeit bestimmt wird. Und so ist es nur folgerichtig, dass nach Schauplätzen wie Athen, Mauritius und der Vulkaninsel Saint Paul der Showdown der Geschichte inmitten der erstarrten Wildnis des Stuttgarter Naturkundemuseum stattfindet. Interview: Andreas Trojan Zur Person Heinrich Steinfest wurde 1961 im australischen Albury geboren, wuchs aber in Wien auf. Zuerst veröffentlichte Steinfest surreale und SF-Geschichten, 1996 seinen ersten Kriminalroman, auf den bislang neun weitere folgten. Im September erscheint bei Piper sein neuer Roman "Die feine Nase der Lilli Steinbeck" (352 S., 12 Euro). Heinrich Steinfest lebt als Autor und Maler vorwiegend in Stuttgart.