Erfahrungen mit der Indie-Bestsellerliste des Börsenblatts

Resonanzverstärker

30. August 2018
von Isabella Caldart
Auch in unabhängigen Verlagen werden Bestseller geschmiedet. Die Indie-Charts des Börsenblatts wollen diese verkaufsstarken Titel sichtbar machen. Erfahrungswerte und Erfolgsgeschichten.

Mit dem Anspruch, eine zusätzliche Orientierung zu bieten und die Aufmerksamkeit für unabhängige Verlage zu erhöhen, hat das Börsenblatt im März die erste Indie-Liste ver­öffentlicht, die seitdem jeden Monat über die 25 bestverkauften Belletristiktitel der Indies informiert. Verlage sehen die Liste als Chance – auch wenn es noch Verbesserungsideen gibt. Die Grundsatzfrage jedoch bleibt: Wie schafft man es als unabhängiger Verlag überhaupt, gegen die Großen zu bestehen?


Um einen Titel erfolgreich zu platzieren, gelten die gleichen Regeln wie für Konzernverlage: "Man kann das auf zwei Punkte runterbrechen", sagt Anika Germann, die den Vertrieb der Frankfurter Verlagsanstalt (FVA) leitet. "Ein Buch braucht ein ansprechendes Äußeres; Ausstattung, Haptik und Paratexte müssen überzeugen. Aber das hilft natürlich nur, wenn der Inhalt stimmt." Glück spielt ebenfalls eine Rolle, vor allem im belletristischen Segment: Es geht darum, mit dem richtigen Thema den Nerv der Zeit zu treffen. "Es schadet auch nicht, wenn der Autor sympathisch ist und auf Lesungen überzeugt."

Bei der FVA funktioniert diese Erfolgsrezeptur: Neben Bodo Kirchhoff, der vor zwei Jahren mit "Widerfahrnis" den Deutschen Buchpreis gewann, erzielte Mareike Fallwickl mit ihrem literarischen Debüt "Dunkelgrün fast schwarz" große Erfolge, und vor allem Nino Haratischwili, für den diesjährigen Buchpreis nominiert, hat sich als Zugpferd des Verlags etabliert. "Nino hat mit ihrem letzten Roman 'Das achte Leben (Für Brilka)' 115 Lesungen absolviert. Außerdem haben wir Aktionspakete für den Buchhandel geschnürt und dafür unter anderem Geschenkpapier mit dem Covermotiv bedruckt", so Germann. "Mit kleinen, gezielten Marketingaktionen und einer persönlichen Ansprache machen wir generell gute Erfahrungen. Und Fallwickl funktionierte sehr gut über die sozialen Medien, vor allem Instagram, und darüber, dass wir bereits ein Vierteljahr vor dem Erscheinungstermin Leseexemplare versenden konnten."

Als bekannte Literaturbloggerin hatte Mareike Fallwickl zudem ein großes Netz an anderen Bloggern, die bereits lange vor dem Erscheinungstermin über ihren Roman informiert waren. Überhaupt Blogger: "Gute und effiziente Pressearbeit, die sowohl die klassischen Printmedien als auch Blogger anspricht, ist wichtig", befindet Julia Eisele mit ihrem neu gegründeten Eisele Verlag. "Meiner Erfahrung nach kann die Begeisterung von Bloggern für ein Buch sehr viel Aufmerksamkeit schaffen und für Umsatz sorgen." Pressearbeit ist für Eisele viel wichtiger als Marketing. "Indie-Verlage sollten sich die Sympathien, die ihnen vom Handel und der Presse entgegengebracht werden, zunutze machen und eher mit Leseexemplaren und der persönlichen Ansprache des Buchhandels arbeiten."

Ähnlich wie die FVA setzt auch das Team von Kein & Aber auf gezielte Aktionen, um Titel ins Rampenlicht zu rücken. "Im Bestfall findet man im Buch selbst etwas Besonderes", sagt Pressereferentin Julia Strack. So wurde für "Hundert" von Heike Faller und Valerio Vidali, in dem Brombeermarmelade eine Rolle spielt, zusätzlich mit kleinen Marmeladengläschen geworben. Alles andere als klein sind hingegen die Buchmessen-Ideen von Kein & Aber. Letztes Jahr in Frankfurt ging es hoch hinaus mit einem Containerturm, der prominent vor ­Halle 3 platziert war. "Durch den Turm konnten wir unbekannteren Autoren mehr Sichtbarkeit geben. In der Presse hat das auch gut funktioniert", so Strack. Kein & Aber sei vertrieblich "einer der lautesten Verlage unter den Independents, gesegnet mit einem Verleger, der vor Spektakulärem nie zurückschreckt", konstatierte im März auch die Jury für den branchenweiten Sales Award – und sprach Vertriebsleiterin Kathrin Döring und Verleger Peter Haag den Hauptpreis für das Jahr 2017 zu.

Allerdings: Längst nicht alle Indie-Verlage haben ein Budget für solche Aktionen – und können derartige Erfolge vermelden. Margitt Lehbert jedenfalls, die sich mit ihrer Edition Rugerup auf Lyrik spezialisiert hat, muss um ihre Leserschaft kämpfen. "Es gibt über Lyrikbände leider keine langen Rezensionen mehr in den Tageszeitungen. Damit konnten Buchhändler wie Leser erreicht werden, auch jene, die nicht speziell nach Gedichten gesucht haben." Vor allem über ihren eigenen Verteiler und mitunter über Facebook informiert Lehbert heute über ihre Neuerscheinungen, die Indie-Liste spielt für sie derzeit keine Rolle.

Dass es generell schwieriger geworden ist, den Handel für Titel aus unabhängigen Verlagen zu begeistern, empfinden die Verlage aber nicht unbedingt. "Ich weiß gar nicht, wie sehr die Buchhändler überhaupt auf Indie oder Nicht-Indie schauen", meint Julia Strack. Eisele, deren erstes Verlagsprogramm vor einem Jahr auf den Markt kam, kann sich ebenfalls nicht beklagen: "In dieser kurzen Zeit haben wir sehr viel Aufmerksamkeit bekommen."

Anika Germann allerdings sieht ein Problem darin, dass neben dem kleinen auch der mittelständische Handel wegzubrechen droht. "Die Struktur- und Lesekrise hat auch mittelgroße Filial- und Traditionsbuchhandlungen erreicht." Gleichzeitig spürt sie durchaus Rückenwind, da es zahlreiche engagierte, inzwischen gut etablierte Neugründungen im Sortiment gibt. "Und die interessieren sich sehr oft im besonderen Maße für Indie-Titel. Exemplarisch genannt seien der Weltenleser in Frankfurt, die Strandläufer Verlagsbuchhandlung in Stralsund, Montag in Berlin, Ein guter Tag in Schwerin oder herr holgersson in Gau-Algesheim."

Die Indie-Charts des Börsenblatts werden von den befragten Verlagen gut aufgenommen. "Die Liste macht nicht nur die Leser auf Bücher und interessante unabhängige Verlage aufmerksam, sondern auch Buchhändler", sagt Julia Eisele – ein Eindruck, den Julia Strack für Kein & Aber bestätigt: "Wir haben positive Rückmeldungen von unseren Vertretern: Sie nehmen die Liste zu ihren Gesprächen im Buchhandel mit."

Anika Germann ist bei der Einschätzung etwas zurückhaltender. "Die Titel, die darauf landen, haben ja schon eine bestimmte Sichtbarkeit, ein Erfolgsniveau", wägt sie ab. Immerhin: "Die Indie-Liste hilft dabei, die Bücher breitenwirksamer und mit höherer Nachhaltigkeit auszuspielen. Und man erreicht dadurch Buchhandlungen, zu denen man keinen persönlichen Kontakt hat." Größere Nachhaltigkeit sieht auch Julia Strack. "Die Indie-Liste ist repräsentativer als die kurzlebige Bestsellerliste, da sie stabile Backlist-Verkäufe zeigt." In der Tat: Gerade Kein & Aber ist mit auffällig vielen Büchern vertreten. Woran liegt's? "Wir arbeiten an unserer Markenbildung", erläutert Strack. Und das funktioniert besonders gut über die Pockets von Kein & Aber. "Der Farbschnitt hat einen Wiedererkennungswert, der neben Lesern auch Buchhändlern bei der Orientierung hilft. Die Bücher sehen zudem schön aus – wir bekommen oft Bilder von dekorierten Auslagen."

Alle Impulse, die Indie-Titel im Handel weiter stärken, begrüßen die Verlage selbstverständlich. Ob Hotlist, Katalog der Kurt Wolff Stiftung, Indiebookday oder Börsenblatt-Bestsellerliste: "Jede Initiative, die die Aufmerksamkeit darauf lenkt, ist wichtig", sagt Margitt Lehbert. "Nur ob das reicht, ist natürlich die andere Frage." Zumindest für Presse und Vertrieb sei die neue Bestsellerliste interessant, befindet Julia Strack. Verlegerin Julia Eisele bewertet das ähnlich: "Wir verbreiten sie zudem über so­ziale Medien, klar." Auch bei der FVA wird die Liste aktiv genutzt. "Wir können dadurch das Marktniveau besser einschätzen", so Germann. "Zudem leiten wir die Charts weiter an Vertreterteam, Einkäufer und Multiplikatoren." Jetzt liege es am Buchhandel, die Liste noch bekannter zu machen.

Bei allem Lob gibt es aber auch Verbesserungswünsche. "Hardcover und Taschenbuch sollten unterschieden werden", empfiehlt Anika Germann. "Das würde ebenso der Aktualität der Liste einen Schub verleihen." Julia Eisele findet, man solle über die Größe der Verlage nachdenken, die aufgenommen werden. "Wenn 11 von 25 Titeln aus demselben Verlag kommen, wie das momentan der Fall ist, sollte nachjustiert werden." Leicht ist die Unterscheidung nicht immer. "Was definiert man als unabhängig, bis zu welcher Umsatzgröße sind Verlage Indies?", fragt Germann.

Eine Frage, die gerade dem Eisele Verlag gestellt werden kann – der ist vertrieblich nämlich an Ullstein gebunden. Die Verlegerin sieht da keinen allzu großen Diskussionsbedarf, denn: "Warum sollte ein unabhängiger Verlag, der eine Vertriebskooperation mit einem größeren Verlag eingeht, kein Indie-Verlag mehr sein?" Entscheidend sei, ob ein Gründer ins eigene finanzielle Risiko gehe und unabhängig entscheide. "Eisele bezahlt die Ullstein Buchverlage für eine Dienstleistung. Das macht uns aber in keiner Weise weniger autonom."

Und wie schätzen die Verlage die Zukunft der neuen Indie-Liste ein? "In der Praxis muss sie sich noch beweisen", sagt Germann. "Ich habe Buchhandlungen gesehen, in denen die Bücher der Indie-Liste extra ausgestellt wurden; sie war also die Initialzündung und erleichtert die Selektion. Es müssen aber noch andere folgen." Toll sei auch, wenn die Liste nicht nur innerhalb der Branche zirkulieren, sondern beispielsweise über Anzeigen in Magazinen weitere Kunden erreichen würde. "Genau das ist ein wichtiger Schritt für die Etablierung." Julia Eisele regt an, ähnlich dem "Spiegel"-Bestseller-Aufkleber für mehr Sichtbarkeit einen Indie-Listen-Aufkleber zu entwerfen.

Taschenbuch und Hardcover separat zu verzeichnen, ist der am vehementesten geäußerte Vorschlag. Für weitere Teilungen sind die Befragten allerdings nicht. "Bloß nicht auf die Idee kommen, Prosa und Lyrik generell zu trennen", warnt Margitt Lehbert von der Edition Rugerup. Zwar könne man durch diese Aufspaltung Lyrikleser besser erreichen und informieren, doch gerade bei den klassischen Prosalesern gebe es immer wieder "Zufallstreffer", die durch Bestsellerlisten erst auf Lyrikbände aufmerksam würden. Aufmerksam werden, das ist das Stichwort. "Buchläden sollten darin bestärkt und unterstützt werden, nicht nur die 'Spiegel'-Bestsellerliste auszulegen", empfiehlt Lehbert: "Somit haben die Kunden die Chance, die Indie-Liste überhaupt zu entdecken."

Derzeit sieht es so aus, als würden die Unabhängigen bald noch mehr Resonanzverstärkung bekommen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat den Ruf der Branchen-Indies vernommen – und will einen eigenen Preis für kleine und mittlere Verlage ausloben. "Ich halte das für einen wichtigen Schritt, um eine vielfältige Programmkultur auf dem Buchmarkt zu sichern", sagt Anika Germann für die FVA. "Dadurch gibt es nicht nur Aufmerksamkeit für die Indies im Spe­ziellen, es werden auch Belange der gesamten Verlags- und Buchhandelsbranche in der Öffentlichkeit gestärkt."

Julia Eisele sieht das ähnlich: "Der Preis könnte für inhaber­geführte Verlage ein ähnlicher Erfolg werden wie der Deutsche Buchhandlungspreis, der auf die unersetzliche Arbeit unabhängiger Buchhändler hinweist. Alles, was Eigeninitiative fördert und dabei hilft, die Indies neben den großen Konzernen bestehen zu lassen, ist begrüßenswert. Denn Originalität, Innovation und Vielfalt kommen nun mal eher von den Indies als von den Großverlagen."

Börsenblatt Indie-Charts

Seit März bieten Börsenblatt und media control ein monatliches Verkaufsranking für Belletristik aus unabhängigen Verlagen an. Die Top 25 werden formatübergreifend ermittelt. Sechs Listen sind bislang erschienen (für Februar bis Juli).

Berücksichtigt werden deutschsprachige Werke aus Verlagen, die unabhängig von anderen Verlagsgesellschaften sind. Der von media control ermittelte Umsatz des jeweiligen Vorjahres muss dabei unter zehn Millionen Euro liegen (Basis: Endverbraucherpreise, mehr hier).

Die nächste Liste (für August) erscheint am 13. September. Die aktuelle Liste und Plakat-Download für den Buchhandel finden Sie hier.