Der Fachleser von morgen

Hauptsache relevant

29. November 2018
von Börsenblatt
Fachbücher müssen sich auf einem immer ausdifferenzierteren B2B-Informationsmarkt behaupten, bei sinkenden Verkaufszahlen. Wie sieht der Fachleser von morgen aus? Auf diese Frage suchen die Verlage heute Antworten, um ihr Angebot entsprechend anzupassen.

Juristische Nachschlagewerke, Steuergesetze, Loseblattwerke, Wirtschaftshandbücher – das war für Verlage immer ein gutes Geschäft. Schließlich gab es mit jeder Änderung eine neue Auflage. Welche Kanzlei konnte es sich leisten, nicht den neuesten Kommentar im Regal stehen zu haben?

Das ändert sich. 2017 sanken die Fachbucherlöse bezogen auf alle Themengebiete im Vergleich zum Vorjahr erneut um 2,5 Prozent, wie die Deutsche Fachpresse ermittelt hat. Bei gleichzeitiger Erhöhung der Aktualisierungszyklen (weitere Marktzahlen Seite 30). Im Digitalbereich wird nur einiges davon auf-gefangen, obwohl das RWS-Segment als eines der ersten seine Inhalte in Datenbanken und Online-Portalen zur Verfügung stellte. Steuerberater, Rechtsanwälte und Unternehmenslenker schauen rationaler und kostenorientierter auf die Literatur. Und sie suchen gezielter nach Spezialgebieten, nach Antworten auf konkrete Fragestellungen in ihrem Arbeitsalltag. »Wir spüren das sich aufbauende Fachwissen unserer Leser und die Veränderung unserer Zielgruppen«, heißt es bei Springer Gabler.

Die größte Expertise bei bestimmten Themen kommt mittlerweile aus den Unternehmen selbst. Immer häufiger schreiben Praktiker darüber, wie sie bestimmte Probleme in ihren eigenen Teams gelöst haben. Dieses Wissen mit der Welt zu teilen, hat sich Murmann Publishers auf die Fahnen geschrieben.

Praxisnähe und Anwendbarkeit des Inhalts sind laut einer von Murmann in Auftrag gegebenen Studie am wichtigsten bei der Kaufmotivation von Fachbuchlesern. Dass digitale Angebote dabei Features wie Suchfunktionen bieten, wird geschätzt. Ab einer gewissen Dokumentenlänge jedoch greift ein Großteil der User zum guten alten Papier. Online und Print ergänzen sich bei der Nutzung, heißt es bei C. H. Beck. »Noch.«

Wolters Kluwer und C.H. Beck

Bei Wolters Kluwer kommen bereits 87 Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes aus dem Digital- und Dienstleis­tungsgeschäft. Im Geschäftsbereich Legal & Regulatory sind es 68 Prozent, mit steigender Tendenz, wie der Verlag mitteilt. Trotzdem seien die Kunden in Recht und Verwaltung generationsübergreifend sehr printaffin, sagt Stephanie Walter, Geschäftsführerin Legal. »Die Arbeit mit Gedrucktem hat im Vergleich zu anderen Branchen einen hohen Stellenwert.«

Allerdings sei der Beschaffungsprozess in Kanzleien und in der Verwaltung heute in hohem Maße professionalisiert. »Wir müssen Inhalte und Nutzwert deutlich stärker in den Vordergrund stellen. Kaufentscheidungen werden fundierter getroffen, es wird weniger Wert auf Vollständigkeit, sondern mehr auf Relevanz der Inhalte als praxisnahe Arbeitsgrundlage gelegt.«

Wie viele Fachverlage im juristischen Bereich hat Wolters Kluwer seine Inhalte titelübergreifend in einem Portal verfügbar gemacht (wolterskluwer-online.de). Für die Zukunft richtet man in Köln den Blick vor allem auf digitale Expertenlösungen, die den juristischen Arbeitsprozess als solchen unterstützen, wie etwa die Sachverhalts- und Dokumentenerfassung. »Diese Kombination aus traditionellem Inhalteangebot und der kundenfokussierten Entwicklung digitaler, die Arbeitseffizienz und Qualität verbessernder Workflow-Lösungen stößt bei unseren Zielgruppen auf großen Zuspruch«, erklärt Stephanie Walter.

Wolters Kluwer Deutschland: Die Kunden legen mehr Wert auf Relevanz als auf Vollständigkeit. Sie erwarten eine praxisnahe Arbeitsgrundlage.

In Kundeninterviews hat der Verlag herausgefunden, dass digitale Inhalte für User attraktiver werden, je stärker sie aus der systematischen Aufbereitung ausbrechen: Muster, Checklisten oder das Hervorheben bestimmter Themen nennt Walter als Beispiele. »Durch gezielte Vor­auswahl für den Leser geben wir ihm die wichtigsten Informationen für den Mandatsalltag an die Hand, ohne dass er diese selbst aus dem Gesamtzusammenhang herauslesen muss.«

Man erkenne, so Walter, außerhalb des rein akademischen Umfelds »eine klare Tendenz zu einer kompakten, praxisorientierten Darstellung. Gewünscht werden einfacher Zugriff, gute Lesbarkeit und eine eindeutige Struktur mit praxisrelevanten Informationen«. Gleichzeitig nimmt die Spezialisierung der Kundschaft zu. »Der Allrounder-Anwalt ist auf dem Rückzug«, weiß Klaus Weber, Mitglied der Geschäftsleitung bei C. H. Beck und selbst Rechtsanwalt. Parallel findet in der Kanzleienlandschaft gerade ein Konzentrationsprozess statt, was dazu führt, dass auch bei der Beschaffung von Fachinformationen gespart wird. In bestimmten Rechtsgebieten – als Beispiel nennt Weber die Fluggastrechte – kommt es zudem immer öfter zu rationalisierten und digitalisierten Verfahren. Weber spricht von der »Industrialisierung des Rechtsmarkts«. Die Folge: Es werden rein stückmäßig weniger Gesetzestexte benötigt.

C. H. Beck: Weil sich die Änderungszyklen ständig verkürzen, wollen die Kunden über jede Gesetzesänderung informiert werden.

Trotzdem steigt der Aktualisierungsdruck. Themen wie Migrationsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit sind wichtiger geworden. »Die Änderungszyklen haben sich beschleunigt, unsere Kunden wollen über jede noch so kleine Gesetzesänderung auf dem Laufenden sein, um zum Beispiel Haftungsrisiken auszuschließen«, erklärt Weber. Das führt dazu, dass Standardwerke wie Fischer, Strafgesetzbuch, oder Meyer-Goßner /Schmitt, Strafprozessordnung, mittlerweile jährlich und zu einem festen Termin neu aufgelegt werden.

Murmann Publishers und Springer Gabler

Für Murmann Publishers war es ein besonderes Geschäftsjahr. Mit Frank Thelens Autobiografie »Startup-DNA« auf der Bestsellerliste (Seite 21) konnte der Verlag eine breitere Zielgruppe als sonst mit seinen Titeln ansprechen. Ein weiterer Erfolg war das »New Workspace Playbook«. Insgesamt bemerke man »ein großes Interesse an hochwertigen, zukunftsoptimistischen und innovativen Titeln«, sagt Alexander Karl, Editing Manager Digital. Und das, obwohl im Wirtschaftsbuchsegment der Trend eher zum Schwarzsehen geht. »Dem verweigern wir uns seit Jahren, indem wir auf lösungsorientierte Titel wie etwa ›Der Milliarden-Joker‹ zur Rettung des Klimas setzen. Wir wollen mit unseren Büchern dazu einladen, sich über die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft Gedanken zu machen und sie zu gestalten.« Beim »Milliarden-Joker« ist dies auch in einer ausführlicheren Scientific-Edition möglich, mit mehr wissenschaftlichem Hintergrund.

Um herauszufinden, worauf es den Lesern bei Business-Büchern ankommt, hat Murmann kürzlich eine Umfrage in Auftrag gegeben. Ergebnis: Fast jedem Zweiten (46,5 Prozent) sind die Praxisnähe und Anwendbarkeit des Inhalts besonders wichtig, gefolgt vom sinnvollen Aufbau des Inhalts (42,3 Prozent) sowie der umfassenden Behandlung des Themas (31,5 Prozent). »Das sind alles zentrale Faktoren für unsere Produktentwicklung«, sagt Karl.

Murmann Publishers: Jedem zweiten Kunden sind Praxisnähe und Anwendbarkeit des Inhalts besonders wichtig.

Charakteristisch für das Fachbuchsegment ist, dass Käufer heute meistens auch User sind. Daher suchen sie mit konkreten Fragen nach Büchern, so wie sie auch bei Google suchen: Wie kann ich mein Unternehmen agiler machen? Wie gelingt mir die digitale Transformation? Sie suchen problemorientiert. Viele der Murmann-Bücher stammen deshalb von Autoren aus der Praxis. Die Neuerscheinung etwa zur Sprengung des Organigramms, »Tasks & Teams«, haben der Vorstandsvorsitzende und die Personalchefin des Medizintechnik- und Pharma-unternehmens B. Braun geschrieben (siehe auch Seite 40). »Wenn solch ein global tätiges Unternehmen nach neuen Formen der Zusammenarbeit sucht und für sich ein Modell wie ›Tasks & Teams‹ entwickelt, können wir recht sicher sein, dass es auch für andere Unternehmen und deren Mitarbeiter relevant ist«, glaubt Alexander Karl. Die Zusammenarbeit mit Unternehmen heißt bei Murmann »Professional Publishing«. Ziel ist, deren Expertise öffentlich zugänglich zu machen.

Besonders vielschichtige Leserinteressen und Zielgruppen bedient Springer Gabler: Studenten, Wissenschaftler, Professionals. Entsprechend breit ist das Verlagsprogramm – vom Lehrbuch über die wissenschaftliche Monografie und das anwendungsorientierte Praxisbuch bis hin zum Sachbuch. »Wir haben es uns zur grundsätzlichen Aufgabe gemacht, in allen relevanten Themen der Wirtschaft Fachinformationen in unterschiedlicher Tiefe und Aufbereitung des Inhalts anzubieten«, sagt Andreas Funk, Editorial Director Business Economics.

Auch wenn seit einigen Jahren speziellere Titel wie etwa zur Besteuerung von Kryptowährungen nachgefragt werden, sind vor allem Leser aus Unternehmen an kurzen und prägnanten Darstellungen für die Praxis interessiert, die aktuell weiterhelfen. Ob Fragestellungen des modernen Marketings, Informationen zum Brexit oder Finanzthemen wie Mobile Payment – für solche Fragen hält Springer Gabler speziell zugeschnittene Buchformate wie die »Springer Essentials« oder die neuen »Quick Guides« parat. »Unsere Leser schätzen praxisnahe Informationen auf den Punkt und zielgerichtete Handlungsempfehlungen«, sagt Funk.

Springer Gabler: Kunden aus Unternehmen sind an kurzen, prägnanten Darstellungen interessiert, die aktuell weiterhelfen.

Neue Themen und Impulse kommen vor allem durch die Fachlektoren und ihr Netzwerk. Parallel dazu ist Springer Gabler auf Twitter, Xing und Facebook aktiv. Nicht nur, um über neue Titel zu informieren, sondern auch, um in der direkten Interaktion mit den Lesern und Kunden Ideen zu sammeln oder an neuen Konzepten zu arbeiten.

Im Digital Publishing ist der Verlag mit seinen Plattformen SpringerLink und Springer Professional präsent. »Wir stellen fest, dass Kunden gern die Vorteile der digitalen Nutzung, wie zum Beispiel die der schnellen Durchsuchbarkeit, mit der eines gedruckten Buchs verbinden wollen«, berichtet Funk. »Die Anreicherung und Verknüpfung gedruckter Bücher mit digitalen Zusatzmaterialien für einen spürbaren Mehrwert wird künftig über den Erfolg dieser Titel entscheiden.«

Dr. Otto Schmidt und NWB

Die kombinierte Nutzung von Print- und Digitalangeboten steht auch bei den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern im Vordergrund. Der Generationenwechsel in vielen Kanzleien sorge für einen »anderen, moderneren Umgang mit den Fachinformationen«, sagt Thomas Fischer, Geschäftsbereichsleiter Steuern beim Verlag Dr. Otto Schmidt. Die meis­ten Leser fahren zweigleisig: Findet die Recherche fast ausschließlich online statt, kommt im nachfolgenden Workflow häufig das gedruckte Nachschlagewerk zum Einsatz.

»Wir entwickeln unsere Produkte ständig nach den Bedürfnissen unserer Zielgruppen weiter – beispielsweise mit einem intelligenten Online-Aktualisierungs-System«, sagt Birgitta Peters, Geschäftsbereichsleiterin Recht. »Wir versuchen zudem, aus der Perspektive des Kunden auf unser Programm und die benötigten Inhalte immer wieder neue Impulse zu bekommen. Wir brauchen Alternativen zum klassischen Handbuch. Die Informationen müssen aktueller, kürzer und eingängiger werden – natürlich ohne Abstriche bei der Qualität.« Die Kaufbereitschaft für qualifizierte Fachliteratur sei in der Zielgruppe weiterhin vorhanden, meint Peters. »Sie ist aber immer stärker durchzogen von ökonomischen Gesichtspunkten wie Budgetierung oder Konzentration auf Online-Angebote mit möglichen Einsparpotenzialen.«

Dr. Otto Schmidt: Die Kunden wollen Informationen aktueller, kürzer und eingängiger – ohne Qualitätseinbuße.

Auch bei NWB ist das Interesse an den qualifizierten Fachinformationen nach wie vor hoch, gerade auch bei gedruckten Büchern und Loseblattwerken. In diesem Jahr wurden besonders Titel zu aktuellen Themen wie der EU-Datenschutzgrundverordnung DSGVO (Wickert / Potthoff: »Das neue Datenschutzrecht in der Steuerberaterkanzlei«) und zur Kassenprüfung (Teutemacher: »Handbuch zur Kassenführung«) nachgefragt.

NWB beobachtet, »dass die Spezialisierung der Zielgruppe der Steuerprofis immer weiter zunimmt«. Gleichzeitig steige die Erwartung an das Angebot unterschiedlicher Medien für die gleichen Inhalte. Deshalb stellt man in Herne »aktuelle Produktzuschnitte und Angebote regelmäßig auf den Prüfstand, um sie gegebenenfalls mit neueren, zeitgemäßeren Auftritten zu ersetzen«. Zum Jahreswechsel 2017/18 hat NWB seine Datenbankmodule erweitert und den Zugriff auf neue Online-Fassungen von Kommentaren und Büchern ermöglicht.

NWB: Die Steuerberater erwarten einen medienübergreifenden Zugang zu den Inhalten – auch bei Kommentaren.

Demnächst soll das NWB Nautilus-System an den Start gehen, ein persönliches Informationssystem für den Berufsalltag von Steuerexperten. »Es holt individuell zugeschnittene Informationen aus der Tiefe des Steuer- und Wirtschaftsrechts an die Oberfläche und hilft, die immer größer werdende Informationsflut zu bewältigen«, so der Verlag. »Der immense Zeitdruck ist für unsere Kunden ein großes praktisches Problem. Trotzdem darf die Be­ra­tungsqualität natürlich nicht darunter leiden.« Ein redaktionell bearbeiteter Livefeed soll die Aktualität aller relevanten Nachrichten garantieren. Auch feststehende Werke wie der Einkommensteuergesetzkommentar werden in der NWB-Datenbank fast tagesaktuell überarbeitet.

"Die Arbeit mit Gedrucktem hat im Vergleich zu anderen Branchen einen hohen Stellenwert."

"Die Änderungs­zyklen haben sich beschleunigt, unsere Kunden wollen über jede noch so kleine Gesetzesänderung auf dem Laufenden sein, um zum Beispiel Haftungsrisiken auszuschließen."

"Wir wollen mit unseren Büchern dazu einladen, sich über die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft Gedanken zu machen und sie zu gestalten."

"Wir haben es uns zur grundsätzlichen Aufgabe gemacht, in allen relevanten Themen der Wirtschaft Fachinformationen in unterschiedlicher Tiefe und Aufbereitung des Inhalts anzubieten."