Für Lektorinnen und Lektoren ist es immer eine Herausforderung, manchmal auch eine echte Bewährungsprobe, beim Bearbeiten eines Textes inhaltlich Position zu beziehen. Wo ein Gedanke allzu verquer ist oder die Regeln der Logik »überstrapaziert« werden, fällt es noch leicht, eine Argumentation aufzubauen, aber je subjektiver die Einschätzung bleibt, desto schwieriger wird es. Manchmal geht es dabei auch bloß um Schrulligkeiten eines Verfassers, die wir tolerieren müssen.
Eine Art solcher Besonderheiten ist schon seit Längerem die gegenderte Sprache. Stritten wir in den 80er Jahren noch darüber, ob wir das große I oder eher den Schrägstrich zulassen würden, haben wir es längst, jeder weiß es, mit Schreibweisen wie diesen zu tun: »Die Autor_innen beschlossen, dass die Lektor*innen gefälligst ihren VerlegerInnen deutlich machen sollten, dass die Schreibungen weiblicher* Formen heutzutage dem allgemeinen Sprachempfinden entsprächen und dass entsprechende Schreibungen auch von den Mitarbeiter/inne/n in den Marketingabteilungen erwartet werden.« Mehr noch aber, inzwischen gibt es von weiblicher Seite auch die Forderung, man solle sich die maskulinen Formen »zurückerobern«. Jüngst begegneten mir Substantive wie »die Coach«. Andere wollen jede Genus-Endung in der Sprache tilgen. Und auch das gibt es nach wie vor, dass nämlich ein Autor, der betont haben möchte, er denke durchaus auch an die Frauen, den Satz unter sein Vorwort schreibt: »Aus Lesbarkeitsgründen werden nur die männlichen Formen verwendet, Frauen sind aber mitgemeint.« Noch mal andere Autorinnen und Autoren kümmert das alles einen Kehricht, was uns dann aber auch wieder nicht (mehr) recht ist.
In unserer Zeit werden solche Fragen heftig diskutiert, und dass das neu verhandelt werden muss, ist eine gesellschaftskulturelle Frage, an der grundsätzlich nichts auszusetzen ist. Eine plurale Gesellschaft mit dem Selbstverständnis offener Meinungsäußerung muss so etwas aushalten können.
Entsprechend haben viele Lektorate und Redaktionen allerdings kapituliert. Wenn Autorinnen und Autoren eine besondere Schreibweise wollen, bekommen sie sie. Und Ruhe ist!
Und die Lesbarkeit?
Oder? Nein, die Lesbarkeit unserer Produkte treibt uns doch um, zumal wenn die Zielgruppe eines Buchs nicht so ganz klein bleiben und der Absatz nicht nur in einer Nische stattfinden soll. Und verlacht werden wollen Verlage für ihre Texte auch nicht gern. So gehen eben doch viele Lektoren und Lektorinnen daran, manche Verfasserinnen davon zu überzeugen, dass man doch auch weniger sperrige Schreibweisen verwenden könne, um nun nicht jeden Satz (ortho-)grafisch völlig zu zerschießen. Dabei stellt sich plötzlich heraus: Die Autorinnen wollen gar nicht nicht auffallen mit einer stilistisch schlanken gegenderten Sprache, sondern sie wollen gerade all jene Formen verwenden, die uns schon vor dem Lesen auf der Seite direkt anspringen. Warum das so ist? Ganz einfach: Diese Personen wollen deutlich sichtbar zeigen, dass sie das Gendern durchführen, entweder weil es ihnen ein extremes Anliegen ist oder aber weil sie aus einer sozialen Gruppe stammen, der sie zeigen müssen, in diesem Punkt konsequent zu bleiben. Hier steht also die Auffälligkeit sogar im Zentrum des Anliegens, und dem ist eben über stilistische Raffinesse nicht beizukommen. Es geht nicht um den Inhalt, es geht um eine Geste. Wer von »Lesenden« spricht, kann eben die Leserinnen nicht betonen.
Wer mit solchen Autoren zu tun hat, wird nur hier und da mal eine sprachliche Abschwächung erreichen. Bemühen sollten wir uns aber trotzdem weiterhin darum, denn die Lesbarkeit bleibt ein Argument guter Textarbeit und die weit überwiegende Mehrheit der Lesenden ist von allzu zerschossenen Texten auch genervt. Verlage, die grundsätzlich Flagge zeigen für Geschlechtersensibilität, sollten also auch mal einen Pflock setzen, wenn die Schriftvarianten ins Kraut schießen.
Dieser Artikel ist zuerst in der Printausgabe des Börsenblatts (3/2019) erschienen.
Martin Holtermann.
Im Übrigen bin ich immer wieder erstaunt, wie unhistorisch in diesem Zusammenhang über Sprache und ihre Funktion gesprochen wird – als wüssten wir nicht, was mit ihr alles angerichtet werden kann – und wurde. Der Rückfall in das bequeme Alte aus Angst vor manch schriller Blüte des Neuen drückt allenfalls Bequemlichkeit aus.
Und die können wir uns gerade heute nicht leisten.
Leider wird weder auf die Gründe der Bemühungen um geschlechtersensible Sprachen eingegangen noch werden konkrete Vorschläge unterbreitet. Wenn die Profession der Lektor_innen und vielleicht gar die Duden-Redaktion hier mal eine griffige Norm erarbeiten würden, wären viele zeit- und damit kostenintensive (von den Nerven nicht zu sprechen) Diskussionen in den Redaktionen überflüssig.
Ein "Wir haben es schon immer so gemacht" gegen ein "Haha, Profx, haha" auszuspielen, beides Extreme in der Debatte, bringt uns auf Dauer nicht weiter. Ok, die Kolumnen hierzu lesen sich ja auch ganz nett.
Gendergerechte Sprache in Büchern?
Warum nicht. Sprache ist kein Kulturdenkmal.
Bloß nicht. Das macht Bücher unlesbar.
?? Ich weiß nicht, ob man sich in der (Online)Redaktion eigentlich noch darüber wundert, einen Bedeutungsverlust zu erleiden, statt Strahlkraft und Profil zu entwickeln. Das ist .. ach, egal.
Taugt „Gendergerechte Sprache“ als Mittel zu mehr Geschlechtergerechtigkeit?
Akteure:
- Feministische Sprachwissenschaftlerinnen der 70er Jahre (Pusch, Trömel-Plötz) (Bitte googeln) und ihre Nachfolgerinnen
- „Gender mainstreaming“ seit den 80er Jahren (Butler) (Bitte googeln),
- fest angestellte Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in Universitäten, Parteien, Schulen, Behörden, Gewerkschaften, Medien, Institutionen seit den 90er Jahren; fast 200 Gender-Professuren im deutschsprachigen Raum (Bitte googeln)
Befund:
Deutsch ist eine „Männersprache“ (L. Pusch) und soll zu einer „Frauensprache“ (S. Trömel-Plötz) umgeformt werden.
Ziel:
Geschlechtergerechtigkeit, Förderung der Frauen, Zurückdrängen der „Männerlastigkeit“ der Sprache, „Sichtbarmachen“ der Frauen in der Sprache
Mittel:
Anleitungen zum „richtigen Gendern“, Sprech- und Schreibvorschriften vor allem in Parteien (z. B. die Grünen), Universitäten, Behörden, Parteien, Gewerkschaften, Institutionen, Medien
Das Gendern der Sprache ist aus folgenden Gründen problematisch:
- Gendern verkennt den Unterschied zwischen grammatischem „Geschlecht“ (Genus) und biologischem Geschlecht (Sexus)
Genus Sexus
maskulinum femininum neutrum männlich weiblich (div.)
der Baum die Blüte das Blatt der Mann die Frau ?
der Tisch die Vase das Hemd die Männer der Frau ?
der Storch die Amsel das Pferd der Herr die Herrin ?
der Mensch die Person das Leben das Männchen das Weibchen ?
der Mond die Sonne das Weltall das Jüngelchen das Mädchen ?
der Tod die Geburt das Ende das Männlein das Weiblein ?
der Sex die Sexualität das Bett der Star der Star ?
der Zaster die Münze das Geld der Stier die Kuh ?
der BH die Polizei das Alibi der Mensch (m/w)
Was wird hier sichtbar? Die grammatischen „Geschlechter“ (Genus, pl. Genera) sind nicht „logisch“, sondern historisch gewachsen, sie sind sprachliche Übereinkünfte.
Genus und Sexus haben nur in wenigen Fällen direkt miteinander zu tun, zum Beispiel dann, wenn Lebewesen allgemein oder Menschen und ihre Funktionen/Tätigkeiten/Berufe bezeichnet werden. Die meisten Nomen stehen im Deutschen übrigens im generischen Femininum, weil alle Abstrakta auf die Endungen -ung, -heit, -keit, -schaft, -tum, -lichkeit, -ligkeit „weiblich“ sind (z. B. die Mannschaft). Nomen mit der Endung -ismus sind dagegen alle „männlich“ (z. B. der Feminismus). Verkleinerungsformen (Diminutive) sind alle „sächlich“ (z. B. das Männchen).
Hauptthese: Die aktuell geltenden Formen der Sprache reichen aus, um hinreichend zu differenzieren und auch die Frauen „sichtbar zu machen“:
einzelne Personen: mehrere Personen unbestimmte Menge, anonym, beiderlei Geschlechts unbestimmtes Geschlecht
gezielte Ansprache: gezielte Ansprache:
der Wähler (m) die Wähler (m) und /oder
die Wählerinnen (f) die Wähler, (der) Wähler (neutral)
die Wählerin (f) in der Anrede: Sexus spielt keine Rolle (!),
Liebe Wählerinnen und
Wähler
Wo ist hier das Problem? Der Zankapfel ist das generische Maskulinum. Die feministischen Sprachwissenschaftlerinnen und die Gender-Ideologinnen behaupten, im generischen Maskulinum die Wähler, (der) Wähler würden die Frauen unsichtbar gemacht. Bei einem Ausdruck wie Wähler würden (ausschließlich) Männer assoziiert. Die Sprachfeministen wirken deshalb darauf hin, dass zukünftig von Wählenden gesprochen wird. In der substantivierten Partizipform seien alle Geschlechter angesprochen. Diese Sichtweise ist aber nur nachvollziehbar, wenn man die Gender-Brille auf der Nase hat. Sprachwissenschaftlich gesehen sind die generischen Pluralformen im Hinblick auf den Sexus neutral. Sie bezeichnen einfach nur Menschen, die wählen. In der geschriebenen, gegenderten Sprache sind mehrere Varianten im Umlauf:
Wähler(innen), Wähler/innen, WählerInnen, Wähler_innen, Wähler*innen, Wählx, Wählas.
Diese Schreibweisen sind streng genommen Verstöße gegen die deutsche Rechtschreibung. Ein Problem ist auch die Aussprache. Wie sollen z. B. der Gender-Stern, der Gender-Gap oder das x gesprochen werden?
Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass die deutsche Sprache an einigen Stellen männerlastig ist. Dass bei Ausdrücken wie Ingenieur, Arzt, Experte fast immer Männer assoziiert werden, liegt jedoch nicht an Boshaftigkeit der Männer, sondern an den historisch entstandenen (aktuellen) Realitäten. Das wird sich erst dann ändern, wenn Frauen in nennenswerter Anzahl den Ingenieursberuf ergreifen. Bei Erzieher werden fast immer Frauen assoziiert. Auch das wird sich nur ändern, wenn mehr Männer sich für den Erzieherberuf entscheiden. Die Sprache wird sich dann über den Gebrauch ebenfalls ändern, falls die Sprecherinnen und Sprecher eine Änderung für nötig halten.
- Gendern sieht den Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken zu einfach
Die Gender-Ideologie unterstellt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken. Deshalb kann überhaupt erst die Idee aufkommen, dass über feministische Sprachpolitik (Gendern) ein neues Denken (Geschlechtergerechtigkeit) gefördert werden könnte. Das stellt die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf.
Der Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken ist in Wahrheit wesentlich komplexer. Festzuhalten ist, dass neue Begriffe und Formen nicht durch Verordnung von oben entstehen, sondern auf Grund von Veränderungen in der gesellschaftilchen Realität. Das Internet als neue Technologie hat zum Beispiel in kurzer Zeit eine Menge neuer Begriffe hervorgebracht: googeln, downloaden, scannen, bloggen usw. Diese Begriffe werden wahrscheinlich in kurzer Zeit zu ganz selbstverständlichen Bestandteilen der deutschen Sprache.
Man darf erwarten, dass sich mit zunehmender Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch das Sprachverhalten verändert. Das ist bereits geschehen durch selbstverständliche Verwendung weiblicher und männlicher Formen (Wählerinnen und Wähler). Wie sich das in Zukunft entwickelt, ist schwer vorherzusehen. Problematisch sind auf jeden Fall ideologisch motivierte Eingriffe ins Sprachsystem.
- Gendern macht die deutsche Sprache hässlicher, komplizierter, für Deutsche schwerer lesbar und für Ausländer schwerer lernbar.
Ein Beispiel aus einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartements:
"Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer ‘Rolle des Verantwortungstragens’ (Arzt/Ärztin) von einer ‘Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens’ (Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die ‘beratende Arzt/Ärztin’ zum/zur ‘entscheidenden Arzt/Ärztin’. In bestimmten Situationen haben Patient/in und Arzt/Ärztin natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines/einer Bewusstlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der/die mündige Patient/in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der/die unmündige Patient/in seine/ihre Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne dass er/sie durch zwingende Gründe daran gehindert würde."
Das ist zwar ein Extrembeispiel, zeigt aber sehr gut die Problematik. Ist dieser Text noch lesbar? Ist er für Menschen, die mit der deutschen Sprache Schwierigkeiten haben, noch verständlich? Worin besteht hier der Fortschritt für mehr Geschlechtergerechtigkeit?
- Gendern ist grammatisch zum Teil widersinnig
Am Studentenhaus der Frankurter Universität ist die alte Inschrift durch eine neue ersetzt worden. Das Studentenhaus heißt jetzt offiziell „Studierendenhaus“, weil sich im Begriff „Studenten“ angeblich nicht alle Geschlechter wiederfinden können. Das „Studentenwerk“ heißt neuerdings „Studierendenwerk“.
Die Umbenennung wirft jedoch nicht nur politische, sondern auch grammatische Fragen auf. Ist die Partizip-Form „Studierende“ bedeutungsgleich mit dem Nomen „Studenten“?
Was ist mit
Studentenkneipe Studierendenkneipe?
Studentenfutter Studierendenfutter?
Studentenwohnheim Studierendenwohnheim?
Wie sieht es mit der Verallgemeinerbarkeit dieser Neuregelung aus? (Endung -enten)
Dissidenten Dissidierende? Dezernenten Dezernierende?
Abonnenten Abonnierende?
Absolventen Absolvierende? Abschluss innehabende Person?
(Vorschlag aus einem Gender-Ratgeber)
Auch an den Tätigkeitsbezeichnungen haben sich die Sprachfeministen zu schaffen gemacht:
Das alte Wort „Lehrling“ ist schon lange durch „Auszubildender“ oder „Azubi“ ersetzt worden, weil alle Nomen mit der Endung -ling im generischen Maskulinum stehen und weil diese Endung nach Ansicht der Sprachveränderer eine Abwertung ausdrückt. Was ist aber mit
Säugling zu Säugender, Saugender?
Liebling zu Liebender?
Feigling ?
Auch alle Tätigkeits- und Berufsbezeichnungen mit der Endung -er stehen im generischen Maskulinum, Gendern führt zu seltsamen Gebilden:
Metzger Metzgende?
Fleischer Fleischende? Fleischverarbeitende?
Bäcker Backender
Fahrradfahrer Fahrradfahrende „Der Fahrradfahrende kam zur Tür herein.“
Steuerberater Steuerberatender
Raucher Rauchende? Raucherbein Rauchendenbein?
Christen Christ*innen? Christentum Christ*innentum?
Redner Redende? Redner*innen?
Bürger Bürgende? Bürger*innen
Meister Meisternde? Meister*innen
Werden dann aus den Bürgermeistern Bürger*innenmeister*innen? Oder aus dem Einwohnermeldeamt ein Einwohner*innenmeldeamt?
Redewendungen werden zum Problem:
Jeder ist seines Glückes Schmied Jede/jeder ist ihres/seines Glückes Schmied*in?
Übung macht den Meister Übung macht den/die Meister*in?
Frauen sind die besseren Autofahrer Frauen sind die besseren Autofahrer*innen?
Die Polizei – dein Freund und Helfer Die Polizei – deine Freund*in und Helfer*in)
Die Neuregelungen sind in der Regel nicht verallgemeinerbar. Sie schaffen viele neue grammatische Zweifelsfälle und sprachliche Unklarheiten.
- Gendern geht in einigen Fällen gar nicht
der Mensch die Menschin? Menschen Mensch*innen?
die Deutschen, die Deutsch*innen? Deutsche Deutsch*innen?
der Feiglinge die Feigling*in? Feiglinge Feigling*innen
Sollen literarische Texte (Gedichte, Romane) gegendert werden? Sollen bereits geschriebene Texte nachträglich gegendert werden? Fast alle Dichter und Schriftsteller lehnen das ab und halten das Gendern ihrer Texte für eine Zumutung.
Dennoch gibt es auch sinnvolle Vorschläge. Nichts spricht dagegen, das „Rednerpult“ statt in „Redner*innenpult“ in „Redepult“ umzubenennen, wie es einige Gender-Anleitungen vorschlagen.
- Gendern kostet viel Geld, weil Formulare, Aufschriften, Schriftstücke aller Art (z. B. in Behörden) neu hergestellt werden müssen
Das ist zwar kein sprachwissenschaftliches Argument, aber trotzdem wichtig, weil die Kosten für Gender-Anleitungen sowie neue Formulare in Behörden und Institutionen von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen. Es sind bereits große Summen dafür ausgegeben worden (jüngstes Beispiel: Stadtverwaltung Hannover).
Kurze Bewertung aus sprachwissenschaftlicher Sicht:
1. Das Gendern der Sprache ist bereits im theoretischen Ansatz falsch, weil der Impuls von der Gender-Ideologie ausgeht, nicht vom tatsächlichen Sprachgebrauch. Sprache verändert sich aber durch den Sprachgebrauch und nicht am sprachfeministischen Reißbrett. Sie verändert sich von unten nach oben, nicht umgekehrt, es sei denn, man betreibt bewusst Sprachpolitik in manipulativer Absicht.
2. In der praktischen Wirkung ist das Gendern der Sprache kontraproduktiv. Mehr Geschlechtergerechtigkeit wird nicht durch Sprachvorschriften erreicht, sondern durch politische und gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in den letzten vierzig Jahren verstärkt stattgefunden haben. Dieser Prozess wird weitergehen, und die Sprache wird ihn angemessen abbilden. Das kann vielleicht etwas länger dauern, als bestimmte Aktivisten es sich wünschen. Eine feministische Sprachpolitik braucht es dazu nicht. Es ist – nebenbei bemerkt – schon irritierend, wenn ausgerechnet Menschen, die sich selbst für sensibel und achtsam halten, keine Skrupel haben, die Sprache zu misshandeln.
Letztlich geht es um Deutungshoheit und um Macht. Obwohl die Verfechter des Genderns eine kleine Minderheit sind, haben sie großen Einfluss. Ihr Hebel ist eine bestimmte Moral. Wer sich der neuen Sprachpolitik verweigert, gilt als rechts, frauenfeindlich, reaktionär, gestrig. Sachargumente aus der Sprachwissenschaft haben keine Chance, denn nicht die Sache – die Sprache – ist wichtig, sondern die „richtige“ Gesinnung. Der Mehrheit soll eine Sprachregelung verordnet werden, um das Bewusstsein in Richtung der Gender-Ideologie zu verändern. Man kann das auch Manipulation und Bevormundung nennen. Geschlechtergerechtigkeit wird dadurch nicht befördert, eher im Gegenteil. Das Gendern der Sprache durch eine Minderheit erweist der Sache der Frauenemanziation einen Bärendienst, weil die Veränderungen im Kern sprachfremd sind und weil die große Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher Eingriffe „von oben“ in das Sprachsystem ablehnt.
Die Ablehnung ist oft intuitiv, weil die meisten Menschen wenig Einblick in das Sprachsystem haben, aber merken, dass da etwas in die falsche Richtung läuft. Die Zustimmung auf der anderen Seite ist oft blind, weil sie aus einer Mischung aus Unkenntnis über die Funktionsweise der Sprache, schlechtem Gewissen und falscher Solidarität mit feministischen Aktivistinnen erfolgt.
Fazit: Unbedachte und ideologisch motiverte Eingriffe in das gewachsene Sprachsystem verursachen Unsicherheiten und grammatisches Durcheinander.
Paul Pfeffer
haben Sie herzlichen Dank für diesen ausführlichen, differenzierten, polemikfreien Beitrag. Es wäre dies die Sorte solider Beitrag, die als Grundlage für eine weitere Auseinandersetzung dienen kann, ganz im Gegensatz zum ursprünglichen Artikel.
Ich möchte gern (alles andere erschliesst sich vollkommen) einen Absatz hinterfragen:
„Die Gender-Ideologie unterstellt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken. Deshalb kann überhaupt erst die Idee aufkommen, dass über feministische Sprachpolitik (Gendern) ein neues Denken (Geschlechtergerechtigkeit) gefördert werden könnte. Das stellt die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf.“
Ich wüsste gern, warum Sie das meinen. Also, wenn die GI (a) unterstellt = Zusammenhang und Sie (b) = stellt die Verhältnisse auf den Kopf, dann wüsste ich gern mittels welcher Erkenntnis/Forschung/Konsens Sie das tun. An der einen Stelle scheint mir die Argumentation dünn.
Nich einmal: vielen Dank für die vielen sinnvollen und inspirierenden Denkanstöße!
vielen Dank zunächst einmal für die positive Beurteilung des Artikels. So ganz polemikfrei ist er allerdings nicht. Ich positioniere mich schon deutlich als Gegener des Genderns, allerdings nicht mit einer bloßen Meinung, sondern mit hoffentlich gut nachvollziehbaren Argumenten.
Sie fragen nach dem Verhältnis von Sprache/Sprachgebrauch/Sprechen auf der einen und Denken/Bewusstsein auf der anderen Seite. Sie fragen zu Recht, denn dieses Kapitel der Sprachwissenschaft ist äußerst schwierig. Der Grund dafür ist, dass sich beides im Gehirn abspielt und dass die Vorgänge dort behandelt werden müssen als black-box-Phänomene, wie das die Hirnforschung generell tut. Was sich in unseren Gehirnen beim Hören und Verwenden gegenderter Sprachformen (wie z. B. Wähler*innen) abspielt, lässt sich empirisch nur schwer fassen. Es nützt auch nichts, Hirnströme zu messen und zu interpretieren. Man kann nur Hypothesen aufstellen. Etwa so:
Ein Teil der Sprecher hat eine positive Einstellung zum Gendern und wird Wähler*innen als Bestätigung der eigenen Einstellung interpretieren.
Ein anderer Teil wird achselzuckend darüber hinweggehen und denken: Was ist den das für ein seltsamer Rechtschreibfehler?
Wieder ein anderer Teil fühlt sich durch den Gender-Stern provoziert und ärgert sich über die Verhunzung der Sprache durch die Sprachfeministinnen.
Daneben und dazwischen gibt es wahrscheinlich noch viele andere Varianten der Reaktion auf den Ausdruck Wähler*innen.
Wenn ich sage, die Gender-Ideologie stelle die Verhältnisse auf den Kopf, dann meine ich, dass die Gender-Ideologie das Pferd vom falschen Ende aus aufzäumt. Sie will das Ziel "Geschlechtergerechtigkeit" durch Sprachpolitik von oben erreichen. Gerechtigkeit gegen wen auch immer ist aber nicht eine Kategorie des Sprachsystems, sondern der gesellschaftlichen Realität. Deshalb wird sie nicht über die Veränderung der Sprache, sondern der realen Verhältnisse erreicht, denen dann der Sprachgebrauch folgt. Sprachliche Bevormundung ist deswegen kontraproduktiv, weil sie häufig zu einer intuitiven Abwehrreaktion führt, das heißt, dass die Annahme, man könne durch Spracherziehung das Bewusstsein linear (!) beeinflussen, ad absurdum geführt wird. Das Verhältnis zwischen Sprechen und Denken ist eben hochkomplex.
Kurz, knapp und präzise waren hier früher die Formulierungen!
Vermeintlich tief im Frieden treibt die Gender-Ideologie jedoch ein Unwesen ungeahnten Ausmaßes:
Sämtliche Vorschriften sind mittlerweile gegendert, tägliche Befehle müssen gegendert werden - hier wacht die Gleichstellungsbeauftragte.
Die Stabsdienstordnung einer bestimmten Division (und wahrscheinlich nicht nur bei dieser einen) ist so herrlich bzw. dämlich gegendert, dass man beim Lesen spätestens auf der dritten Seite eingeschlafen ist.
Die Fürsorge des bzw. der Vorgesetzten ist heute weit gefasst. Muss ich (m) als Vorgesetzter bei der Geländeausbildung nicht nur vor dem Eichenprozessionsspinner, sondern auch gleich vor der Eichenprozessionsspinnerin warnen? Oder wie verhält es sich bei einem angeforderten Sprengstoffspürhundeführer? Hier öffnet sich ein wahres Füllhorn der sprachlichen Möglichkeiten: Sprengstoffspürhundeführer bzw. Sprengstoffspürhundeführerin bzw. Sprengstoffspürhündinnenführer bzw. Sprengstoffspürhündinnenführerinnen … bis das alles korrekt in einen Befehl eingefügt wurde, ist der Sprengstoff schon in die Luft gegangen.
Ja, „früher“ war es einfacher bzw. einfacherin!
Wir dienen Deutschland! ... weil wir es uns leisten können!