Lektor Uwe Britten übers Gendern

/ * _ I & Co.

18. Januar 2019
von Börsenblatt
Das Gendern der Sprache ist ein Muss in der Textarbeit geworden. Gut so, denn es geht um ein inhaltliches Anliegen. Manchmal aber spielen für Autorinnen und Autoren auch andere Ziele eine Rolle. Meint Uwe Britten.

Für Lektorinnen und Lektoren ist es immer eine Herausforderung, manchmal auch eine echte Bewährungsprobe, beim Bearbeiten eines Textes inhaltlich Position zu beziehen. Wo ein Gedanke allzu verquer ist oder die Regeln der Logik »überstrapaziert« werden, fällt es noch leicht, eine Argumentation aufzubauen, aber je subjektiver die Einschätzung bleibt, desto schwieriger wird es. Manchmal geht es dabei auch bloß um Schrulligkeiten eines Verfassers, die wir tolerieren müssen.
Eine Art solcher Besonderheiten ist schon seit Längerem die gegenderte Sprache. Stritten wir in den 80er Jahren noch darüber, ob wir das große I oder eher den Schrägstrich zulassen würden, haben wir es längst, jeder weiß es, mit Schreibweisen wie diesen zu tun: »Die Autor_innen beschlossen, dass die Lektor*innen gefälligst ihren VerlegerInnen deutlich machen sollten, dass die Schreibungen weiblicher* Formen heutzutage dem allgemeinen Sprachempfinden entsprächen und dass entsprechende Schreibungen auch von den Mitarbeiter/inne/n in den Marketingabteilungen erwartet werden.« Mehr noch aber, inzwischen gibt es von weiblicher Seite auch die Forderung, man solle sich die maskulinen Formen »zurückerobern«. Jüngst begegneten mir Substantive wie »die Coach«. Andere wollen jede Genus-Endung in der Sprache tilgen. Und auch das gibt es nach wie vor, dass nämlich ein Autor, der betont haben möchte, er denke durchaus auch an die Frauen, den Satz unter sein Vorwort schreibt: »Aus Lesbarkeitsgründen werden nur die männlichen Formen verwendet, Frauen sind aber mitgemeint.« Noch mal andere Autorinnen und Autoren kümmert das alles einen Kehricht, was uns dann aber auch wieder nicht (mehr) recht ist.
In unserer Zeit werden solche Fragen heftig diskutiert, und dass das neu verhandelt werden muss, ist eine gesellschaftskulturelle Frage, an der grundsätzlich nichts auszusetzen ist. Eine plurale Gesellschaft mit dem Selbstverständnis offener Meinungsäußerung muss so etwas aushalten können.
Entsprechend haben viele Lektorate und Redaktionen allerdings kapituliert. Wenn Autorinnen und Autoren eine besondere Schreibweise wollen, bekommen sie sie. Und Ruhe ist!

Und die Lesbarkeit?
Oder? Nein, die Lesbarkeit unserer Produkte treibt uns doch um, zumal wenn die Zielgruppe eines Buchs nicht so ganz klein bleiben und der Absatz nicht nur in einer Nische stattfinden soll. Und verlacht werden wollen Verlage für ihre Texte auch nicht gern. So gehen eben doch viele Lektoren und Lektorinnen daran, manche Verfasserinnen davon zu überzeugen, dass man doch auch weniger sperrige Schreibweisen verwenden könne, um nun nicht jeden Satz (ortho-)grafisch völlig zu zerschießen. Dabei stellt sich plötzlich heraus: Die Autorinnen wollen gar nicht nicht auffallen mit einer stilistisch schlanken gegenderten Sprache, sondern sie wollen gerade all jene Formen verwenden, die uns schon vor dem Lesen auf der Seite direkt anspringen. Warum das so ist? Ganz einfach: Diese Personen wollen deutlich sichtbar zeigen, dass sie das Gendern durchführen, entweder weil es ihnen ein extremes Anliegen ist oder aber weil sie aus einer sozialen Gruppe stammen, der sie zeigen müssen, in diesem Punkt konsequent zu bleiben. Hier steht also die Auffälligkeit sogar im Zentrum des Anliegens, und dem ist eben über stilistische Raffinesse nicht beizukommen. Es geht nicht um den Inhalt, es geht um eine Geste. Wer von »Lesenden« spricht, kann eben die Leserinnen nicht betonen.
Wer mit solchen Autoren zu tun hat, wird nur hier und da mal eine sprachliche Abschwächung erreichen. Bemühen sollten wir uns aber trotzdem weiterhin darum, denn die Lesbarkeit bleibt ein Argument guter Textarbeit und die weit überwiegende Mehrheit der Lesenden ist von allzu zerschossenen Texten auch genervt. Verlage, die grundsätzlich Flagge zeigen für Geschlechtersensibilität, sollten also auch mal einen Pflock setzen, wenn die Schriftvarianten ins Kraut schießen.

Dieser Artikel ist zuerst in der Printausgabe des Börsenblatts (3/2019) erschienen.