Wie viele Dichter braucht das Land? Darüber scheint noch niemand ernsthaft nachgedacht zu haben. Hingegen sind sich alle darüber einig, dass es zu viele Bücher gibt. Wer in Gottes Namen soll das alles lesen? Ganz zu schweigen von der Hilflosigkeit jedes verantwortungsvollen Buchhändlers angesichts einer solchen Flut, für die er die Schleuse sein soll. Kann man das denn nicht schon im Vorfeld spürbar reduzieren?
Man könnte, gewiss. Und hat ja auch schon oft genug den Verlagen dringend nahegelegt, die Programme zu verkleinern. Nur das wirklich Wichtigste. Nur das Nötige. Nur nur das noch. Und das. Und so weiter.
Es klappt nicht, es klappt ganz und gar nicht. Aus lauter Angst, einen Marktanteil, geschweige denn ein Marktsegment zu verlieren und horribile dictu dem Konkurrenten zu überlassen, produziert man lieber weiter, nicht munter, aber doch. Kurz und schlecht: von den Verlegern ist da nichts zu erwarten. Also?
Also muss man das Problem noch früher angehen: von den Schreibern her. Sie sind es nämlich, die zu viele sind. Konnte man sich bis jetzt noch darauf verlassen, dass in den Hauptschulen wie in den Gymnasien ein Deutschunterricht geboten wird, der die Zahl der literaturwilligen Jugendlichen verlässlich Jahr um Jahr weniger werden ließ, so scheinen mittlerweile die Deutschprofessoren das Eitelkeitsbedürfnis ihrer Musterschüler so zu kitzeln, dass die, begeistert von dem Wort Selbstverwirklichung, schreiben, schreiben, schreiben. Gerade hat man es noch geschafft, dass die Schüler nichts lesen, also nichts gelesen haben, wenns drauf ankommt, da schreiben sie schon, als könnten sie die ganze Literatur neu erfinden.
Und es wird nicht nur geschrieben, sondern es wird auch alles an die Verlage geschickt, die nehmen, was kommt. Aus Angst, siehe oben. Oder sind sie wirklich so unentwegt begeistert?
Jedenfalls, sie nehmen es. Drucken es. Bieten es an. Warten. Nehmen es zurück. Verramschen und makulieren es. Nicht immer, natürlich nicht. Aber zu oft. Und also: zu den Quellen. Um die rechtzeitig zu verstopfen und jedes Überlaufen zu verhindern.
Wie das geht? So kompliziert ist es nicht, andere Branchen zeigen seit Langem, dass ein wenig Standesbewusstsein, ein wenig Kollegialität und Zukunftsdenken rechtzeitig für Ordnung sorgen können. Die Ärzte, die Apotheker, die Anwälte, die machen es erfolgreich vor, wie man eine Branche davor bewahrt überzuquellen. Man bestimmt, wie viele Vertreter einer bestimmten Sparte mit auskömmlichem Auskommen vorkommen sollen, und mehr werden einfach nicht zugelassen. Stirbt einer, kommt ein neuer; stirbt keiner, müssen die Aspiranten warten.
Klingt hässlich? Klingt hässlicher, als es ist. Und wäre auch in der Dichterzunft leicht zu verwirklichen, seit es die allseits beliebten Dichterschulen gibt. Das Originalgenie ist ja Illusion von gestern; heute tritt man die Geniekarriere mit Siegel, Stempel und Ausweis an. Was doch nur heißen kann: Wenn man einen dieser Stempel verweigert, dann wird nichts mit dem Dichter, dann muss er Bibliothekar werden, dann bleibt das eine oder andere Buch ungeschrieben, dann atmet der Buchhändler auf und der Leser am Ende ebenso. Wenn er auch nicht so genau weiß, warum.