Interview mit Logistikexperte Christian Kille

"Die Logistiksparte von KNV und der Standort Erfurt sind hochattraktiv"

18. Februar 2019
von Börsenblatt
Zwischenbuchhändler KNV hat in der Insolvenz eigentlich ganz gute Karten, einen Investor zu finden – wenn der Mehrwert des Transportnetzes erkannt wird. Meint Professor Christian Kille vom Institut für angewandte Logistik in Würzburg.

Ist die Logistikbranche besonders gefährdet für Insolvenzen – etwa durch die steigende Kostenbelastung bei Benzin und Mautgebühren?
Viele Unternehmen sind sehr klein, die Marge ist niedrig, die Austauschbarkeit der Dienstleistung hoch. Kommt all das zusammen, dann ist das Insolvenzrisiko in der Logistikbranche in der Tat vergleichsweise hoch. Aber sind Logistikunternehmen so spezialisiert und so umsatzstark wie KNV – dann ist die Gefahr nicht größer als in anderen Branchen auch. Zumal auch die Geschäftspartner in der Regel kein Interesse an einer Insolvenz haben, weil sich Strukturen, die zerschlagen wurden, nur schwer wiederaufbauen lassen. Diese enge Zusammenarbeit ist ähnlich wie in der Autoindustrie: Dort wird einem Zulieferer sogar unter die Arme gegriffen, damit er dem Markt erhalten bleibt – so weit ist es in der Logistik allerdings bislang noch nicht.

Sie kennen KNV aus Ihrer Zeit als fachlicher Beirat der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services, die den Zwischenbuchhändler in Sachen Netzwerkoptimierung beraten hat. Hätten Sie mit einer Insolvenz gerechnet?
Das kann ich nicht beantworten, da ich kein Experte für den Buchmarkt, sondern für Logistik bin. Das logistische Netzwerk jedenfalls ist aus meiner Sicht ein wichtiger Aktivposten im Gesamtportfolio des Unternehmens, der von potenziellen Investoren nicht vernachlässigt werden darf, kann und mittlerweilse auch nicht mehr wird. Die Logistik nimmt eine immer höhere Relevanz für Unternehmen ein.

Leistet sich die Branche, etwa mit der Übernachtlieferung durch die Bücherwagendienste, einen logistischen Luxus, den sie sich eigentlich nicht mehr leisten kann?
Einen gewissen Luxus muss sich die Branche leisten, um sich gegen E-Commerce-Anbieter und die Digitalisierung behaupten zu können. Aber ein solches Logistiknetzwerk exklusiv für Bücher zu unterhalten – das ist aus meiner Sicht schon eher luxuriös. Das gibt es ansonsten beispielsweise nur bei Ersatzteilen für die Automobilbranche oder in der Pharmaindustrie. Ich sehe eigentlich auch keinen Grund für diese Exklusivität. Denn während man auf PKW-Spezialtransportern eben nur Autos transportieren kann, lassen sich zusammen mit einer Bücherkiste problemlos noch viele andere Produkte in das gleiche Gebiet bringen. Es ist interessant, dass sich die Branche diese eigene, engmaschige Lieferkette leistet – obwohl es viele Logistikunternehmen gibt, die den Service auch als externe, nicht exklusive Anbieter übernehmen könnten.

Welche Überlebenschancen sehen Sie für KNV?
Dass KNV als Branchenlogistikdienstleister komplett wegbricht, würde mich wundern. Denn die Wettbewerber können eine Lücke in der Logistik in dieser Größenordnung nicht füllen. Ein Weg in die Zukunft könnte sein, die KNV-Logistik unabhängig am Markt und als Dienstleister für andere Branchen und Produkte agieren zu lassen. Das könnte beispielsweise Ware von Einzelhändlern sein, etwa für den immer beliebter werdenden Click & Collect-Service. Auch kann das KNV-Netz für einen Logistik-Dienstleister interessant sein – dieser hätte mit dem Großhandel von KNV schon mal einen "Ankerkunden", den er um weitere Auftraggeber ergänzen könnte.

KNV hat in das hochmoderne, 2014 eröffnete Logistikzentrum 150 Millionen Euro investiert. Riskant oder überlebensnotwendig?
Natürlich ist es wichtig, räumlich und technisch auf der Höhe der Zeit zu sein, heutzutage insbesondere in der Logistik. Ob es besser gewesen wäre, die Investition nicht selbst zu stemmen, sondern als Mieter in eine fremdfinanzierte Immobilie einzuziehen, kann diskutiert werden. Denn eine Investition in dieser Größenordnung belastet die Bilanz nun mal ganz außerordentlich. Aber im Nachhinein ist das naturgemäß leichter zu beurteilen.

Ein potenzieller Investor ist offenbar kurz vor dem Insolvenzantrag wieder abgesprungen. Ist die Buchlogistik nicht interessant genug für Geldgeber?
Ich würde da gerne zwischen den beiden KNV-Geschäftsfeldern Logistik und Großhandel unterscheiden. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass die Logistik einem Deal im Weg steht.

Ist die Logistikbranche denn grundsätzlich ein attraktives Feld für strategisches Investment?
Ja, es gibt immer mehr Investoren, die sich hier engagieren, aus gutem Grund: Der Bedarf an guter Logistik ist hoch, die vorhandenen Kapazitäten reichen nicht aus. In den USA und auch in Deutschland beispielsweise fließt im Moment viel Geld in Logistik-Start-ups. Das Segment ist also sehr wohl attraktiv.

Kurzum: Sie rechnen damit, dass sich am Ende ein Investor für KNV finden wird?
Wenn jemand den Wert der Logistik erkennt, kann ich mir das schon vorstellen. Natürlich kenne ich die Zahlen und auch die Erfurter Immobilie von KNV nicht, aber wenn man ein gut funktionierendes, deutschlandweites Distributionsnetz hat, das Güter derart schnell verteilen kann wie KNV, dann ist das ein großer Mehrwert! Immer vorausgesetzt, man kann das Logistikzentrum auch für andere Produkte nutzen. Erfurt ist ja ein Superstandort mitten in Deutschland.

Welche branchenfremden Produkte würden in Frage kommen?
Alles, was in die Innenstadt geliefert wird und in einen Karton passt, etwa Kleidung oder Schuhe oder Konsumgüter des täglichen Bedarfs. Auch fürs Endkundengeschäft lässt sich die Logistik nutzen. Amazon hat ja bereits begonnen, für die schnelle Belieferung (Stichwort "Same Day Delivery"), eigene Transportnetze aufzubauen, etwa in Berlin oder München. Das Netz von KNV sollte entsprechend für andere Versender außerhalb der Buchbranche sehr interessant sein.

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